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Mittwoch, 5. November 2014

Die letzte Rose


Weil das Wetter heute so grässlich feuchtkaltscheußlich war!


Johan Laurentz Jensen, Dänemark 1800-1856


Ich sah des Sommers letzte Rose stehn,
sie war, als ob sie bluten könnte, rot;
da sprach ich schauernd im Vorübergehn:
so weit im Leben ist zu nah am Tod!

Es regte sich kein Hauch am heißen Tag,
nur leise strich ein weißer Schmetterling,
doch, ob auch kaum die Luft sein Flügelschlag
bewegte, sie empfand es und verging.

Christian Friedrich Hebbel

Sonntag, 21. September 2014

DER ABSINTHTRINKER



DER ABSINTHTRINKER


Angel Fernandez de Soto
Picasso 1903

ABSINTH
(An Richard Dehmel)

Im Oceane des Absinths
Fand ich den Continent des Rausches!
Dort ist das Klima capriciös
Wie — eine schwangre Frau.

Das Meer ist trunken wie die Luft
Und tanzt in grünlich gelben Wogen.
Im Oceane des Absinths
Fand ich den Continent des Rausches!

Doch wehe! Was umklammert jäh
Mein Schiff? — Polypen, widrig, klebrig!
Ein Riesenarm zerknickt den Mast —
Und ohne Klagelaut versink ich
Im Oceane des Absinths.

Albert Giraud
 
Aus: Albert Giraud, Pierrot lunaire
Übersetzung von Otto Erich Hartleben
Der Verlag deutscher Phantasten, Berlin
1893

Die Bezeichnung Absinth stammt vom lateinischen Namen der Pflanze Wermut
 Artemisia absinthium



Dienstag, 16. September 2014

LICHT - Turner & Eliasson


        
        Neulich war ich in einer Ausstellung des mir bis dahin völlig unbekannten
        Künstlers, namens Otto Piene. Nicht die große Installation während
        deren Aufbaus er verstarb, sondern eine Auswahl seiner Bilder und 
        Installationen in der Kunsthalle der Deutschen Bank Unter den Linden.

        Der Mann machte in Licht. Er malte Licht. Und es leuchtete wirklich, ich
        konnte Lichtwellen sehen/spüren.
        Und heute in der Tate Britain Turner mit zusätzlicher Sonderausstellung
        zu seinem Spätwerk. Im ersten Saal gleich Arbeiten von Olafur Eliasson
        (So ein schöner Name!) zu Turner. Er hat Turners Gebrauch von Farbe 
        und Licht untersucht, indem alle Farbschattierungen, die er in einigen
        seiner Bilder fand, genauestens in eine Reihe von abstrakten Farbstudien 
        übertrug.
        "In den Turner Farbexperimenten habe ich Licht und Farbe in Turners 
        Arbeiten isoliert, um seinen Sinn für Vergänglichkeit von den begehrten
        Objekten, die seine Bilder geworden sind, herauszufiltern. ... Die 
        schematische Anordnung der Farben auf runden Leinwänden schafft
        ein Gefühl von Endlosigkeit und erlaubt es dem Betrachter das Kunst-
        werk in einer dezentralisierten, meandernden Art aufzunehmen."
        O. Eliasson

        Und Gott sprach: Es werde Licht! 
        Und es ward Licht. 
        Und Gott sah, daß das Licht gut war. 
        Da schied Gott das Licht von der Finsternis.

        Erstes Buch Mose

        Ob es stimmt, das Goethe kurz vor seinem Tod nach "Mehr Licht!"
        verlangt hat? "Wo viel Licht ist, ist starker Schatten", ist ja auch
        von ihm, aus dem Götz.

 Friede - Seebegräbnis 
W. Turner 1842

       Die Essenz von Turners Errungenschaft in den späten Jahren findet
       man dort, wo das Subjekt sich in Raum und Licht auflöst, wie die
       moderne Wissenschaft Masse in Energie umformt.    
      
William Gaunt 

Farbproben
William Turner


Olafur Eliasson

 Olafur Eliasson

Boot auf wilder See
William Turner

Scharlachroter Sonnenuntergang 
William Turner 1830-40

      Schönes Wikizitat: Bis weit in die Neuzeit hinein war weitgehend unklar,
      was Licht tatsächlich ist. Man glaubte teilweise, dass die Helligkeit
      den Raum ohne Zeitverzögerung ausfüllt, und dass „Strahlen“ von den 
      Augen ausgehen und die Umwelt beim Sehvorgang abtasten. 
      Es gab jedoch auch schon seit der Antike Vorstellungen, nach denen das 
      Licht von der Lichtquelle mit endlicher Geschwindigkeit ausgesendet wird.

Sonntag, 10. August 2014

Edgar Degas - Maler mit Puppe


            

                 Puppe - lateinisch pupa - „kleines Mädchen"
                          Püppchen, verpuppen, entpuppen, Püppi, Zuckerpuppe,
                          Puppenstube, puppig, Puppendoktor, bis in die Puppen

                 Edgar Degas
                 Portrait Henri Michel-Levy & Puppe



       Zuerst die Palette, der Pinsel, dann zum Maler und dem ausgedient 
       habenden Modell & zuletzt die Bilder im Bild. Eine Welt der Kunst, 
       eine künstliche Welt.



       Die Modellpuppe auf dem Boden ist auch die Frau auf dem Bild links,
       oder?


       Sie puppt mit Puppen

        Die Puppen puppen mit kleinen Puppen,
        Die kleinen Puppen puppen mit winzigen Puppen,
        Die winzigen Puppen puppen mit Püppchen,
        Die Püppchen puppen mit kleinen Püppchen,
        Die kleinen Püppchen puppen mit winzigen Püppchen,
        Die winzigen Püppchen puppen,
        Keiner puppt mit ihr.
        Ah, Du meine Puppe,
        Meine süße Puppe;
        Mir ist alles schnuppe,
        Wenn ich meine Schnauze
        Auf die Deine - bauze.
        Püppchen Schnüppchen
        Puppe Schnuppe
        Schnuppe bauze.
        Die bäuzchen, Püppchen, Puppenfraun
        Sie machen nur noch schnauze bauze. 

        
        Kurt Schwitters


        Casanovas trauriger Tanz mit der schönen Puppe - Fellini
        https://www.youtube.com/watch?v=zPE-c43cOGc


Freitag, 8. August 2014

Lissabon 1 - Hieronymus Bosch


Es ist schön hier. Nicht so schwer, grandios und geschichtsstolz wie Madrid, nicht so übervoll, sinnüberflutend und selbstbewusst wie Rom, auch voll von Geschichte, aber hauptsächlich eine Stadt in der gelebt wird. 
Es ist laut. Es ist voll. Es riecht oft nach Pisse. Es ist grün. Nicht in meinen Bildern, aber überall sonst sind Parks und baumbestandene Alleen. Der Verkehr staut mehr als er fährt. Der Kaffee ist hervorragend, außer im Hotel, das ein Nichtraucherhotel ist, aber in dem der Concierge, auf meine Frage nach dem Rauchen, nur leise antwortete: "Wissen sie, manche Gäste rauchen auf dem Zimmer, dann weinen wir, aber...", es folgte das zarteste vorstellbare Schulterzucken.


Der Platz - Plaza - Plaqua - Praca - des Handels
an der Mündung des Tejo in den Atlantischen Ozean


 Dito


 Ein Friseur nur für Männer und Hunde


 Dito

 Die Strassen sind so,


 und deshalb sehen die Strassenbahnen, zumindest die alten, so aus.
Hab schon lang nicht mehr soooo viele Grafitti gesehen!

 Lissabon im sogenannten atlantischen Licht.

 Varietetheater der altmodischen Art gibt es hier viele. Die Photos der Darsteller auf den Plakaten erinnern an Schlagerplattencover aus den frühen Fünfzigern.

Stripclubs haben ebenfalls ein leicht altertümliches Ambiente, zumindestens von außen.

 Kaffeewerbung der ungewöhnlichen Art. Ist Kaffee schlecht für die Zähne?



UND! 
Und im Museu Arte Antigua hing zwischen einer großen Anzahl mittelmäßiger Bilder,
dieses Triptychon: Die Versuchung des Heiligen Antonius von Hieronymus Bosch!

Oh. Oh. Schön! Verstörend! Witzig! Erschreckend! Unergründbar.

Tafel 1:

 Antonius in der Luft von Dämonen geplagt


 
 Antonius kniend an der Treppe auf den Erlöser und sein Abbild in der Kapelle zeigend


Antonius lesend



Des Antonius von Padua Fischpredigt



Antonius zur Predig
Die Kirche findt ledig,
Er geht zu den Flüssen,
Und predigt den Fischen;
Sie schlagn mit den Schwänzen,
Im Sonnenschein glänzen.

Die Karpfen mit Rogen
Sind all hieher zogen,
Haben d' Mäuler aufrissen,
Sich Zuhörens beflissen:
Kein Predig niemalen
Den Karpfen so gfallen.

Spitzgoschete Hechte,
Die immerzu fechten,
Sind eilend herschwommen
Zu hören den Frommen:
Kein Predig niemalen
Den Hechten so gfallen.

Auch jene Phantasten
So immer beym Fasten,
Die Stockfisch ich meine
Zur Predig erscheinen.
Kein Predig niemalen
Den Stockfisch so gfallen.

Gut Aalen und Hausen
Die Vornehme schmausen,
Die selber sich bequemen,
Die Predig vernehmen:
Kein Predig niemalen
Den Aalen so gfallen.

Auch Krebsen, Schildkroten,
Sonst langsame Boten,
Steigen eilend vom Grund,
Zu hören diesen Mund:
Kein Predig niemalen
Den Krebsen so gfallen.

Fisch große, Fisch kleine,
Vornehm' und gemeine
Erheben die Köpfe
Wie verständige Geschöpfe:
Auf Gottes Begehren
Antonium anhören.

Die Predigt geendet,
Ein jedes sich wendet,
Die Hechte bleiben Diebe,
Die Aale viel lieben.
Die Predig hat gfallen,
Sie bleiben wie alle.

Die Krebs gehn zurücke,
Die Stockfisch bleiben dicke,
Die Karpfen viel fressen,
Die Predig vergessen.
Die Predig hat gfallen,
Sie bleiben wie alle.



Abraham a Santa Clara

Sonntag, 27. Juli 2014

KRIKELKRAKEL KRAKELEI KRITZELEI KRIKELEI


KRIKELKRAKEL KRAKELEI KRITZELEI KRIKELEI

Im Digitalen Wörterbuch der Deutschen Sprache findet man unter krakeln: 
‘zittrig, ungleichmäßig, schlecht leserlich schreiben’ (19. Jh.). Die Herkunft des nd. md. Verbs ist unbekannt. Vergleichbar sind mnd. krōken, krāken ‘falten’, krōke, krāke, krōkel, krākel ‘(Gesichts)falte, Runzel’, vielleicht auch nhd. Krakel ‘dürrer Zweig’ (danach der diesem ähnliche Schriftzug?). Vgl. Krakelfüße ‘seltsame Schrift’ (Lessing), Krakelwerk ‘seltsam gestaltetes Werk’ (Goethe). – krak(e)lig Adj. ‘zittrig, unleserlich geschrieben’ (19. Jh.). Krakelei f. ‘das Krakeln, Gekrakelte’, nd. Krakelie (19. Jh.). 
klieren, krickeln, kritzeln 


Im Etymologischen Wörterbuch steht: Krakel "unregelmäßiger Schriftzug" std. stil. (16. Jh., Bedeutung 19. Jh.) Stammwort. In der Bedeutung "dürrer Ast" bezeugt seit dem 16. Jh. (zunächst in der Form Gragel). Dann übertragen auf Schriftzüge usw.; bei krakelig "zerbrechlich" tritt ein anderes Merkmal der dürren Äste in den Vordergrund. Wohl lautmalend zu krachen (Krach). Verb: krakeln; Abstraktum: Krakelei. S. auch krickeln.
 
 
WIEDERGEBURT

Ein Kunstbarbar mit schlaffer Hand
Befleckt das Bild eines Genies,
Indem er es voll Unverstand
Mit eignen Krakeln überzieht.

Die fremden Farben mit den Jahren
Platzen schuppenwelk herab;
Bis das, was das Genie gestaltet,
In alter Schönheit wieder strahlt.
 
So muss auch jener Irrtum schwinden,
Der lang schon meine Seele quält,
Bis sich Visionen wiederfinden,
Die rein der erste Tag enthält.

Alexander Puschkin 1819
übersetzt von Eric Boerner  

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EDWARD HOPPER 
KRAKELEIEN - SCRIBBLES





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Jakob Krakel-Kakel

Jakob Krakel-Kakel war schon ein alter Rabenvater. Aber – dem Himmel sei es geklagt – er machte noch immer Seitenflüge. Besonders häufig traf er sich in einer Felsengalerie mit seiner Nichte, der Nebelkrähe. Er schwärmte so für aschblonde Federn. Da saß er und schnäbelte, statt sich die Felsenbilder zu besehen, wie es ehrbare Leute tun. Denn dazu sind die Felsengalerien da, wie jeder weiß. Die Felsen blieben freilich ungerührt, aber sonst war es betrübend.
»Krah«, sagte Jakob Krakel-Kakel und ließ sich elegant auf den Rand seines Nestes niedergleiten. »Jakob«, sagte Frau Krakel-Kakel, die häuslich auf ihren Eiern saß, »Jakob, wo sind die bestellten Regenwürmer?« »Regenwürmer sind dieses Jahr sehr schwer zu beschaffen. Ich fand nichts als einen Engerling, den ich im Versehen verschluckte.« Jakob Krakel-Kakel hatte Übung in solchen Dingen. »Jakob, wo warst du?« fragte Frau Krakel-Kakel. »Ich sagte es dir schon«, sagte Jakob Krakel-Kakel, »ich habe alle Felder abgesucht. Ich bin erschöpft. Außerdem bin ich erkältet.
»Du bist eher erhitzt«, sagte Frau Krakel-Kakel. »Jakob – hat nicht deine Nichte, die Nebelkrähe, aschblonde Federn auf der Brust?«
»Was wird sie haben«, sagte Jakob Krakel-Kakel, »sie wird schon aschblonde Federn haben.«
»Jakob«, sagte Frau Krakel-Kakel, »du hast eine aschblonde Feder auf dem Rock.«
»Ich werde eben grau«, sagte Jakob Krakel-Kakel, »es ist kein Wunder.« Er putzte sich die Feder fort.
»Jakob, kakle die Wahrheit! Du bist polygam. Pfui!«

 
Jakob Krakel-Kakel senkte schuldbewußt den großen Schnabel. In der Tiefe seiner Rabenseele aber war er wütend und beschloß, Rache zu nehmen – Rabenrache!
»Krah«, sagte Jakob Krakel-Kakel und flog davon. Er flog zum Kuckuck.
»Ich habe gehört, daß Sie Ihre Eier vergeben. Ich will eins haben.«
»Mit Vergnügen«, sagte der Kuckuck.
»Mehr als einen oder höchstens zwei Regenwürmer möchte ich nicht anlegen«, sagte Jakob Krakel-Kakel, »ich bin verheiratet und kann mir keine Extravaganzen gestatten.
»O bitte, das genügt vollkommen, ich tue es überhaupt nur aus reiner Vogelfreundlichkeit", sagte der Kuckuck. »Ich will das Ei dann gleich mitnehmen«, sagte Jakob Krakel-Kakel.
»Das geht nicht«, sagte der Kuckuck pfiffig. »Eierlegen ist eine produktive Tätigkeit. So was ist doch nicht vorrätig. Man braucht Stimmung dazu. Das müßte solch ein alter Vogel doch eigentlich selbst wissen.«
Jakob Krakel-Kakel tat, als wisse er das nicht.
»Wann kann ich es mir holen?« fragte er.
»Ich liefere es Ihnen loco Rabennest«, sagte der Kuckuck zuvorkommend.
»Das tun Sie lieber nicht«, sagte Jakob Krakel-Kakel, »Sie könnten da auf ungeahnte Schwierigkeiten stoßen. Ich hole es mir selbst ab.«
Nach einigen Tagen flog Jakob Krakel-Kakel von hinten auf seine Frau zu. Er hatte ein Ei im Schnabel und schob es ihr vorsichtig ins Unterrockgefieder. Dann segelte er von dannen – ruchlos krächzend.
Nach einer kurzen Weile kam er wieder und setzte sich auf den Nestrand. Er sagte nicht einmal »Krah« zur Begrüßung und kehrte seiner Frau den Rücken zu. Dann wandte er den Schnabel und sprach über die Schulter.
»Lea«, sagte er, »was ist das für ein Ei?«
»Was werden es für Eier sein«, sagte Frau Krakel-Kakel, »unsere Eier – Rabeneier.«
»Lea – kakle die Wahrheit! Du hast ein fremdes Ei im Nest!«
»Ach, du meinst das kleine, das du mir heute zugesteckt hast?« sagte Frau Krakel-Kakel. »Das hab' ich ausgetrunken. Es war doch eine Aufmerksamkeit für die bestellten Regenwürmer, die du vergessen hast? Nicht wahr?« Jakob Krakel-Kakel war zumute, als müsse er selber Eier legen.
»Natürlich«, sagte er und sah seine Frau mit Rabenaugen an. Er tat es nicht lange. Frau Lea Krakel-Kakel hatte einen Zug um die Schnabelwinkel – einen Zug, den man niemand beschreiben kann, der ihn nicht kennt. Jakob Krakel-Kakel wurde hundert Jahre alt. Den Zug vergaß er nie. Er hat auch auf dem tadellos schwarzen Rock nie wieder eine aschblonde Feder gehabt. Und das heißt: Er hat sie sich stets vorher sorgsam abgeputzt.

Manfred Kyber um 1926

Mittwoch, 16. Juli 2014

Schwäbisch Hall - Holbeins Madonna des Bürgermeisters Jacob Meyer zum Hasen

 
Die Madonna 
des Bürgermeisters Jacob Meyer zum Hasen
oder prosaischer, die Darmstädter Madonna, 
da das Bild bis 2011 in Darmstadt beheimatet war.




Das Bild ist 1526 von Hans Holbein in Basel, als Auftragswerk des Basler 
Bürgermeisters Jakob Meyer zum Hasen, gemalt worden. Es zeigt ihn, sowohl 
mit seiner bereits verstorbenen als auch seiner lebenden Frau sowie mit seiner 
Tochter, alle um Maria mit dem Kind gruppiert. Die Identität des jüngeren Mannes 
links ist ungeklärt. Ich glaube Jakob hat gern getrunken, solch rote Bäckchen 
und auch die Nase hat man nicht umsonst.





AN DIE MADONNA

Viel hab’ ich dein
Und deines Sohnes wegen
Gelitten, o Madonna,
Seit ich gehöret von ihm
  In süßer Jugend;
Denn nicht der Seher allein,
Es stehen unter einem Schiksaal
Die Dienenden auch. Denn weil ich
Und manchen Gesang, den ich
Dem höchsten zu singen, dem Vater
Gesonnen war, den hat
Mir weggezehret die Schwermuth.

Doch Himmlische, doch will ich
Dich feiern und nicht soll einer
Der Rede Schönheit mir
Die heimatliche, vorwerfen,
Dieweil ich allein
Zum Felde gehe, wo wild
Die Lilie wächst, furchtlos,
Zum unzugänglichen,
Uralten Gewölbe
Des Waldes,
das Abendland,

und gewaltet über
Den Menschen hat, statt anderer Gottheit sie
Die allvergessende Liebe. 

Friedrich Hölderlin
(Entwurf zu einer Hymne)




Sonntag, 1. Juni 2014

Sankt Sebastian - Pfeil und Keule



Eine herrliche Bereitschaft zum Tod


ANDREA MANTEGNA

DER HEILIGE SEBASTIAN
1480


 Der Heilige Sebastian: Schutzpatron der Soldaten, Kriegsinvaliden, Sterbenden, Eisenhändler (sic Castorf!), Töpfer, Gärtner, Bürstenbinder, Büchsenmacher, Homosexuellen und Schutzheiliger gegen Pest und Kirchenfeinde, wenn das keine bunte Mischung ist!
Offizier der Prätorianer Garde des römischen Kaisers Diokletian, wurde er von diesem auf Grund seiner christlichen Missions- und Hilfsarbeit zum Tode verurteilt, auf ein Feld geführt, an einen Baum gebunden und von numidischen Bogenschützen mit Pfeilen beschossen. "Und die Bogenschützen schoßen auf ihn, bis er so voll Pfeilen war wie ein Seeigel" sagt die Legenda aurea.
Eine mitfühlende Witwe namens Irene will den Armen begraben, bemerkt gerade noch rechtzeitig, dass er noch lebt und pflegt ihn zurück ins Leben. Er gesundet und tut was? Je nach Quellenlage, geht er schnurstracks zum Kaiser oder wartet auf einer Treppe bis dieser vorbeikommt, und bekennt sich erneut zum Christentum. Diokletian reagiert erwartungsgemäß, verurteilt ihn erneut zum Tode, nur soll er dieses Mal mit Knüppeln tot geprügelt und sein Leichnam dann in die städtische Kloake geschmissen werden. Von diesem zweiten Märtyrertod gibt es, verständlicherweise, nur sehr wenige Bilder.

Susan Sontag hat sehr schön beschrieben, wie in den Gemälden Sebastians Gesicht nie die Leiden seines Körpers registriert. Seine Schönheit und sein Schmerz sind in Ewigkeit voneinander geschieden.

Ein Mann mittleren Alters, untersetzt und mit der kräftigen Statur eines ausgebildeten Soldaten, hier an eine Säule gebunden an Stelle des vorgeschriebenen Baumes. Anstatt schmerzverzerrtem Leiden, sehen wir etwas wie irritierte strapazierte Geduld.
Kein schönes Bild, finde ich. Bis man auf die Details schaut.
(Das Bild ist heute im Louvre zu finden.)
 "Was habe ich gerade getan?" scheinen die Augen zu sagen, oder?
Sein Kollege hat da kein Problem.

SANKT SEBASTIAN

Wie ein Liegender so steht er; ganz
hingehalten von dem großen Willen.
Weitentrückt wie Mütter, wenn sie stillen,
und in sich gebunden wie ein Kranz.

Und die Pfeile kommen: jetzt und jetzt
und als sprängen sie aus seinen Lenden,
eisern bebend mit den freien Enden.
Doch er lächelt dunkel, unverletzt.

Einmal nur wird seine Trauer groß,
und die Augen liegen schmerzlich bloß,
bis sie etwas leugnen, wie Geringes,
und als ließen sie verächtlich los
die Vernichter eines schönen Dinges.

Rainer Maria Rilke 1907
Der Heilige Sebastian wird in Roms Cloaca Maxima geworfen
Lodovico Carracci 1612
heute im J. Paul Getty Museum


Für mich, der schönste der Sebastiane. Und er weiß es!
Sandro Botticelli
1447 

Rom, der Neujahrsabend im Jahre des Herrn 1499.
Auf einer der kleinen Piazzas überschattet von einer Kathedrale wird den Bewohnern der umliegenden Palazzos, noch halb im Schlaf, die Show ihres Lebens geboten, Michelangelo, Leonardo und Botticcelli prügeln sich. Faustschläge werden ausgeteilt und eingesteckt, Fußtritte verteilt und, natürlich, bedenkend, dass alle Beteiligten Italiener sind, wird viel geflucht und geschrien.
Leonardo mag zwar der Älteste sein, ist aber immer noch ein nicht zu unterschätzender Gegner, Michelangelo hat eine wirklich fiese Rechte, aber letzten Endes ist Botticelli der Kämpfer mit der größten Ausdauer. Verdreckt, angeschlagen und außer Atem anerkennen die anderen beiden seinen Sieg. Die schläfrigen Gaffer jubeln kurz und und gehen wieder zu Bett. Am Morgen werden sie eine tolle Geschichte erzählen können!
Der Stein des Anstoßes? Ein junger Mann, still, mit dunklen Augen, folgt dem Gewinner langsam in sein Atelier. Es ist ein Job wie jeder andere. Er muß essen. Botticelli bezahlt seine Modelle gut.
Der Siegerpreis, gefangen auf einer Leinwand, Sankt Sebastian, unwirklich schöner Märtyrer, blutend aus vielen Wunden, arrogant noch im Sterben und gänzlich einsam, wird Botticelli bis zum Tag seines Todes verfolgen. Er hat ihn gewonnen, er hat ihn gemalt, behalten konnte er ihn nicht.

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Der Titel ist zitiert nach:
Saint Sebastian: Or a Splendid Readiness for Death
Gerald Matt, Wolfgang Fetz, Kunsthalle Wien
Kerber, 2003 - 143 Seiten

Freitag, 9. Mai 2014

Lear & seine Narren


"Wie könnten Narren müde werden!" 
Franz Kafka
Aus Kinder auf der Landstraße

     Ich habe einen Narren am Narren gefressen! Im Lear gibt es viele. Erstmal den Profi,
     der in Narrenfreiheit so schonungs- wie hoffnungslos dem König die Wahrheit um die
     Ohren schleudert. Und Arm-Tom, verwöhnter Sohn, nun enttäuscht & gejagt, der sich
     in anarchisch zornige Narrheit flüchtet. Und Kent, der in verbissener Narrentreue dem 
     König in den Abgrund nachstolpert. Und der König selbst, der närrisch glaubt, dass er
     bleibt was er war, auch wenn er nicht mehr ist was er war, nämlich König. Und... Genau
     betrachtet, finde ich in jeder Figur des Stückes einen tiefen närrischen Kern. Sie wissen
     auf irgendeine Art um die Schreccklichkeit ihres Tuns und können oder wollen dieses 
     Wissen nicht zulassen. Die Gier ist zu groß, der Zorn, die Angst, die Eitelkeit. Lieber blind
     wütend in die Katastrophe, als sehen und ertragen. O Narr, ich werde wahnsinnig. sagt
     Lear bevor er in den Sturm hinausgeht. Wahnsinnig zu werden, ist seine größte Angst. 
     Sehen zu müssen ist seine größte Angst.


     EDGAR:
     Den Druck der trüben Zeit muss man nun tragen;
     Was man fühlt, sprechen, nicht, was man sollte, sagen.
     Was sagst du? Sprich.

     KENT:
     Nichts. Mylord.

    EDGAR:
    Nichts?

    KENT:
    Nichts.

  
Jan Matejko 1862
Der Narr Stańczyk, wie er während des Hofballs um den Verlust von Smolensk trauert


Nicht Narr, nicht Clown, nicht Trottel, nicht Idiot.
Ihr Zuschaukünstler habt für mich kein Wort.
Ich komm aus England. Daher kommt der Tod.
Ich bin der Sterbewitz. Ich bin der Mord-

Versuch, jaja, ich weiß. Auch der macht Spaß
Weil er sich reimt und ist nicht so gemeint,
denkt ihr. Ihr denkt? Sieh an, seit wann denkt Aas.
Ich bin mein eignes Volk. Ihr seid vereint.

In dem Verein, der richtet und der henkt.
Ich will, dass ihr euch hier zu Tode lacht,
voll faulem Mitgefühl das Herz verrenkt,
ersauft in Tränen mitten in der Nacht.

Ihr seid das Volk. Ich bins, der euch verhetzt.
Ich heiß: The Fool. Das wird nicht übersetzt.
 
Thomas Brasch 
aus Liebe Macht Tod

Nur Narr! Nur Dichter!

....
"Der Wahrheit Freier - du?" so höhnten sie -
"Nein! nur ein Dichter!
ein Tier, ein listiges, raubendes, schleichendes,
das lügen muss,
das wissentlich, willentlich lügen muss,
nach Beute lüstern,
bunt verlarvt,
sich selbst zur Larve,
sich selbst zur Beute,
das - der Wahrheit Freier?...
Nur Narr! nur Dichter!
Nur Buntes redend,
aus Narrenlarven bunt herausredend,
herumsteigend auf lügnerischen Wortbrücken,
auf Lügen-Regenbogen
zwischen falschen Himmeln
herumschweifend, herumschleichend -
nur Narr! nur Dichter!..
....
Friedrich Nietzsche