Sonntag, 5. Juni 2022

Freundlichkeit im Angesicht des Krieges

Wir alle, und ich weiß, dass ich zu diesem "wir" gehöre, kritisieren, schimpfen, meckern gern und ausgiebig. Wir brüllen unentwegt empört unsere Wahrheit in die mediale Welt. 

Warum begreift keiner, was wir so klar sehen?

Früher war es besser. Oder wenn es schlimm war, dann war es nur der damaligen Zeit und Situation geschuldet. So schlimm wie jetzt war es noch nie. 

Und (fast) keiner begreift das außer uns. Warum nur?

Bald wird die Welt untergehen. Die Menschen werden immer dümmer und böser. Die da oben, die Politiker, die Medien, die Trill-, Bill-, Millionäre machen alles kaputt, weil sie gierig, zynisch, korrupt sind. Die da unten sind blind, korrumpiert, verblendet oder von Qanon oder ähnlichem  gehirngewaschen. 

Warum begreift (fast) keiner, was "wir" klar sehen?

Klimakatastrophenleugnung, Coronaepidemie und Ukrainekrieg - Inflation, Hungersnöte, Trumpismus, Fundamentalismus, Populismus, Antisemitismus, Rassismus, Incels, Wokeness, Frauenfeindlichkeit. 

"Wir" sind frei davon, warum all die anderen nicht?

Seit drei Wochen laufe ich mit einer Krücke und erlebe eine andere Realität, eine, wo mir Menschen Hilfe anbieten, ungefragt, höflich und durchaus ernsthaft. Ich bin eine ältere Frau mit Gehhilfe, nix weltbewegendes, nur ein Detail, eine Kleinigkeit, eine mich beglückende Erfahrung.

Ich befürchte, hoffe, meine, unsere selbstgewisse Weltuntergangsgewissheit ist möglicherweise nur unserer, meiner Empathiefaulheit geschuldet. Denn wenn wir, ich, die Anderen so ernst nehmen würden, wie wir uns, ich mich selbst, dann müssten wir, müsste ich, Zweifel einräumen, Grautöne akzeptieren, unangenehme Fragen zulassen.

Es ist ungemein schön, sich, mich im Recht zu fühlen. Ich bin schlau, habe den Durchblick, weiß was läuft. Im Recht zu sein kostet mich allerdings auch nichts.  

Dieser bequeme Salonkommunismus, dieser Pazifismus ohne Achtung der Opfer, dieses Ich-bin-auf jeden Fall-besser-als-ihr-Denken, es kotzt mich an.

Momentan versucht keiner mich zu töten. Keiner bedroht mein Haus, mein Heim, meine Liebsten, meine Existenz.

Den Mund halten. Einatmen. Ausatmen. Einfühlen. Nachfühlen. Nachdenken. Nochmal nachdenken.

 



 


 

3 Kommentare:

  1. Es ist wahr, daß es zurzeit in Europa Menschen gibt, die keine Luft zum Ein- und Ausatmen haben. Weil es Systeme gibt wie das in Rußland. Aber es ist auch wahr, daß wir dort, wo uns diese Luft noch zur Verfügung steht, nicht aus Solidarität darauf verzichten dürfen, ein- und auszuatmen. Und wir sollten nicht wieder damit anfangen, in 'Völkern' zu denken. Völker gibt es nicht. Nur Menschen, die das Recht haben, sich zu politisch und staatlich zu organisieren. Auch in der Ukraine.

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  2. Geschieht dir recht

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  3. Geschieht mir recht? Ätsch? Ätsch bätsch? Wie alt sind Sie? Fünf?

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