Sonntag, 30. Juni 2024

Münster & Leopoldstadt

Münster, Universitätsstadt, hübsch anzusehen, angenehm geschäftig, munter, gutbürgerlich. Die Cafes sind gut gefüllt, die Läden gut besucht, das sehr lebendige Theater übrigens auch.

Ich wohne hier hinterm Bahnhof, wo sich Elende aus aller Herren Länder, im Rollstuhl, ohne Schuhe, ohne Hoffnung, fast ohne Scham, out of their heads, mit denen, die an ihnen verdienen, in einem schick sanierten Park treffen. Tagsüber geht es zu, wie auf einem kleinen runtergekommenen Marktplatz. Nachts wird viel gebrüllt. Viel geweint.

Es gibt auch eine Kneipe für ernsthafte Trinker. Neulich habe ich einen Rollstuhlfahrer sturzbetrunken und sabbernd zu seiner Busstation gefahren. Der Bus bringt ihn ins Altenheim. 

Vor demselben Bahnhof eine pro-palästinensische Demonstration, die die Gewalt in Gaza benennt und alle andere Gewalt ausblendet. Jüdische weiße brutale Kolonisatoren gegen leidende nicht-weiße Opfer. Die kleine Menge ruft: "Es lebe die internationale Solidarität!" Den Spruch habe ich noch aus der DDR im Ohr. Es wurden auch Gebete aus dem Koran verlesen und man sprach sich mit "Genosse" an.

Derweil probieren wir unser Stück über eine Wiener jüdische Familie zwischen 1899 und 1955. 

1899 sagt eine Figur: "Bei den Wassern von Babylon saßen und  weinten wir, aber das ist vorbei, und alles danach, Vertreibungen, Massaker, Scheiterhaufen, Blutfehden, vorbei wie das Mittelalter – Pogrome, Ghettos, gelbe Flicken ... alles zusammengerollt und weggeschmissen wie ein alter Teppich, weil Europa es überwunden hat. Vorurteile sterben etwas schwerer."  Tom Stoppard "Leopoldstadt"

Mir tut das Herz weh.

Apropos: 

Wiki schreibt: Schon im 12. Jahrhundert war in Münster eine Jüdische Gemeinde mit eigenem Bethaus ansässig, die jedoch 1350 durch Pogrome vernichtet wurde. Ab 1536 siedelten sich erneut Juden an, die unter der Protektion des Bischofs standen, aber nach dessen Tod 1553 nicht der Ausweisung entgehen konnten. Bis zum 19. Jahrhundert existierte in Münster keine jüdische Gemeinde. ... Erst 1810 begann die Wiederansiedlung jüdischer Bürger, die während des 19. Jahrhunderts um ihre gesetzliche Emanzipation in Preußen kämpften. 

1553 bis 1810 war Münster bis auf Gastauftritte von nützlichen Hofjuden judenfrei. 


Die ehemalige Synagoge von Münster wurde in der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 von SA-Männer angezündet und die jüdische Gemeinde wurde von der Stadt aufgefordert, die Ruine auf eigene Kosten zu beseitigen. Von der Gemeinde, die 1938 430 Mitglieder zählte, blieben nur 20 am Leben. (Quelle: Wiki)

Here comes the sun, Here comes the sun, and I say
It′s alright

Little darlin', it′s been a long, cold, lonely winter
Little darlin', it feels like years since it's been here

Here comes the sun, Here comes the sun, and I say
It′s alright

Little darlin′, the smile's returning to their faces
Little darlin′, it seems like years since it's been here

Here comes the sun
Here comes the sun, and I say
It′s alright

 

 

4 Kommentare:

  1. Eine gute Beschreibung des hinteren Bahnhofsbereichs. Ich habe viele (zu viele?) Jahre in Münster studiert und auch danach noch dort gelebt. Inzwischen wohne ich in der Nähe, westlich von Münster, und hatte tatsächlich überlegt, ob ich mich mal bei Ihnen in der Bahnhofsstraße 'melde'. Habs dann doch nicht gemacht und warte seit dem, wie es bei Ihnen auf ihrem Blog weitergeht. Inzwischen sind Blogs ja schon wieder veraltet, und die jungen Leute tummeln sich anderswo.

    Trotzdem also hier noch mal Grüße aus dem Münsterland!

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    1. Wir haben am 7.9. Premiere, vielleicht wäre das ein Anlass Münster wieder mal zu besuchen?

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    2. Gute Idee! Gerade habe ich eine Karte gekauft. :-)

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