Sonntag, 25. Juni 2017
Judenhass, Antisemitismus, Selbsthass - harter Tobak
Ich hasse niemanden weil er Jude ist. Keinen Menschen, und schon gar kein ganzes Volk. Wie blöd wäre das denn?
Ich kenne dumme Juden, schlaue Juden, reiche Juden, arme Juden. Verbissene und analytische, lustige und humorlose. Ich kenne Holocaustopfer und solche, die diese Ungeheuerlichkeit, als billige Entschuldigung für eigenes Fehlverhalten mißbrauchen.
Ich bin Jude.
Ich hasse niemanden weil er Muslim ist. Aber jeden, der Muslime, weil sie Muslime sind, für besser, gottnäher, entscheidungsfähiger, gerechter hält.
Ich bin kein Muslim.
Ich bin Jude.
Ich bin es, nicht durch eigene Wahl, nur durch ererbtes Recht, genetisches Lotto.
Meine Mutter, den Nazis knapp entkommen, trifft auf meinen Vater, der dem eigenen Nazisein knapp entkam. Ein gutes Paar.
Manche meiner Leute sehen so aus, das man sie gleich erkennt, meine Oma zum Beispiel, meine Cousins. Andere, ich zum Beispiel, sehen aus, wie jeder zweite hier, in diesem verwirrten Deutschland, dunkelblond, blauäugig, stabil. Meine Tante fand das schlau, unsichtbar für den Feind, untergetaucht. Falls...
Idioten und Ideologen aller Nationen greifen zum Antisemitismus, wenn ihnen nichts besseres einfällt, um eigenverschuldete ökomische Katastrophen wegzuerklären. Auch Leute mit dem Herzen am "rechten" Fleck, die es einfach tief innen fühlen, das es da eine dunkle Absprache gibt, greifen gern zu wabrigen Visionen von jüdischen Verschwörungen. Weltverschwörungen. Wir sind nämlich alle immer in Kontakt.
Wir opfern christliche Babies, horten Geld, sind eigentlich Echsenwesen, haben allgemein was Übles vor. Rothschild, die Weisen von Zion und ähnlicher durchsichtiger Dreck.
Wir dienen als Ausrede für jedwede Schrecklichkeit. Leichtes Ziel von übler Nachrede jeglicher Art.
Heute, wird von mir eine klare pro-jüdische Haltung verlangt. Ich bin kein Israeli, kein gläubiger Jude, nur ein Teil der Auchdazugehörigen, dass jedes Volk so hat. Ich bleibe ein deutscher, atheistischer Zweifler.
Dumme Sache, wir haben Volk und Religion in ein Paket gepackt und nun müssen wir mit mir, und den anderen lästigen ungläubigen Juden umgehen, ob wir wollen oder nicht.
Und ich kann nicht aufhören meine eigenen Leute strenger zu betrachten, als unsere Widersacher. Ich verachte auch die Organisatoren des verkrüppelten, verdorbenen Sozialismus mehr als jene, die ganz offen für den Kapitalimus sind. Eine gute Idee zu verderben, scheint mir übler, als einer schlechten anzuhängen.
Wir bauen Siedlungen auf der Westbank, die uns nicht gehört. Wir mißachten die Rechte der Palästinenser, die wohnten, wo wir jetzt wohnen, den Engländern sei Dank. Und das die zunehmend mörderischer und verbohrter werden, entschuldigt unser eigenes Versagen nicht.
Erdogan nimmt die Evolutionstheorie aus dem Lehrplan. Der Stellvertreter von Trump möchte, dass wir Darwins "Evolutions-Theorie" nur als eine von vielen möglichen Theorien sehen. Orthodoxe Juden glauben auch, dass G'tt die Erde vor wenigen tausend Jahren erschaffen hat.
Wir erlauben jüdischen Frauen alle Rechte, wenn sie nicht den familiären Rahmen überschreiten.
Wir wählen, wen wir können, jeden amerikanischen Präidenten, der uns, in diesem Fall Israel, nicht den Geldhahn zudreht.
Wir stellen Volk über Recht. Unsere Sicherheit, vor Gerechtigkeit für alle.
Die vollständige Gleichsetzung von Antisemitismus und Kritik an israelischer Politik zum einen und die Sonderstellung des Antisemitismus gegenüber allen anderen Formen von Minoritätenverachtung will mir nicht schmecken.
Wir sind genauso kritikwürdig wie alle anderen. Jeder Schwule, der angegriffen wird, weil er schwul ist, ist einer zu viel. Jede Lesbe ebenso und jeder, der sich als transgender beschreibt. Aber auch jeder Muslim der, ohne Grund zu geben, als unwerter, als irgendeiner von uns, angesehen wird, verdient meine Solidarität.
Zwei Gedanken, die in mir beim lesen entstanden.
AntwortenLöschenZum ersten Teil... Vorurteile reisen durch Generationen, sie werden weitergegeben wie Masern... sie sind wie Ratten, die immer zeitgleich mit den Menschen irgendwo neu ankamen... sie sind im Gepäck des Menschen. Und selbst wenn sie überdeckt und gesellschaft geächtet werden... dann leben sie eben in der Kanalisation weiter, im gesellschaftlich trüben. Alle Italiener können singen, Schwarze spielen gut Basketball, Deutsche sind immer pünktlich, Juden können gut mit Geld umgehen... Vorurteile werden als Klischee geboren. Ein Klischee entsteht wenn eine Beobachtung überproportioal häufig gemacht wird. Das Ergebnis dieser Beobachtung wird dann über alle dafür in Frage kommenden Menschen gestülpt. Viele Frisöre sind schwul - wird zu - du bist Frisör, also bist du schwul.
Weil es im Kern aus einer irgendwann mal irgendwie zutreffenden Beobachtung entstanden ist verselbstständigt es sich zu einer unbewussten "Wahrheit"... die sich immer dann in unserem Denken bestätigt, wenn wir sie vorfinden... alles andere klassifizieren wir als Ausnahme - deswegen kann man Vorurteile so schwer ausrotten.
Wie unstatthaft das ist kann man schnell deutlich machen... fast alle Serienmörder sind Männer... das ist wahr. Alle Männer sind Serienmörder? Nein, nicht wahr... da fällt es auf. Aber beim Frisör ist es verankert... und lebt sich so durch von Generation zu Generation. Bei Juden und Jedem.
Zweiter Gedanke. Menschen genießen es besser zu sein als andere. Ein Weg... sich verbessern. Anderer Weg... andere verschlechtern. Der erste ist arbeitsintensiv und sehr selbstkritisch. Der zweite begründet die Suche nach den anderen, die unter einem stehen... wegen ihrer Abstammung, ihrer Hautfarbe, ihrem Glauben - der Art halt, wie sie sind und wie sie leben.
Und Menschen sind faul... deswegen haben wir den Salat... und sehr viel vom zweiten Weg. Denn je mehr ich finde, was die anderen falsch machen, desto weniger muss ich richtig machen. Das ist höchst praktisch. Erhabenheitsgefühle zum Discountpreis.