Sonntag, 9. November 2014
Ältere Frauen zuerst
Mein Wochenende in umgekehrter Reihenfolge
Die Lichtgrenze - 8000 Ballons fliegen in leicht unregelmäßigen Abständen in den Berliner Abendhimmel, ein jeder von einem persönlichen Ballonpaten aus seiner Verankerung befreit, Barenboim und die Berliner Staatskapelle musizieren die "Ode an die Freude" und ich weine - schon wieder. Vor wenigen Tagen erst hat mich "Bornholmer Strasse" ein Fernsehfilm über "den Mann der die Grenze öffnete" mit voller Wucht erwischt und ließ mich überrascht schluchzend vor meinem Fernseher zurück und heute flenne ich bei einem Staatsakt. Was ist los? Ist das eine mit 25-jähriger Verspätung einsetzende Posttraumatische Belastungsstörung? Beiden Ereignissen ist gemeinsam, dass sie auf leichte Weise einen Moment von Glück beschreiben, purem Glück, weil das Vorher endlich, endlich vorbei war und das Nachher noch ganz unbekannt.
Das Weihnachtsmärchen - "Peterchens Mondfahrt" - Kinder zwischen vier und acht sind einfach das allerbeste Publikum.
Der Streik - Die Nachwehen des rechtmäßigen und berechtigten Arbeitskampfes der GDL finden mich und viele andere Reisende weit nach Mitternacht auf dem Stuttgarter Hauptbahnhof ohne heimwärtsfahrenden Zug. Die freundliche Dame vom Service bietet Taxis für alle an, schaut auf die Gruppe frierender Bahnkunden, fast ausschließlich schwäbische Jugendliche in Partylaune, fixiert mich und sagt: "Ältere Frauen zuerst". Die meinte mich.
Der Taxifahrer, Türke, ehemaliger Fischer, Olivenhändler und leidenschaftlicher Leser war ein wunderbarer Gastgeber, zwei Stunden durch das nächtliche Schwaben mit spannender Diskussion über die politische Lage in der Türkei.
Er hat diesen Monat schon andere gestrandete Reisende auf Bahnkosten nach München und Karlsruhe gefahren, dass heißt, die Bahn hat gewaltige Extra-Kosten und wird wohl demnächst die Fahrkartenpreise erhöhen. Da werden die Lokführer bald wieder für höhere Löhne streiken müssen. Der wirrsinnige Kreislauf der gar nicht so freien Marktwirtschaft.
Das politische Theater - Dirk Lauckes "Furcht & Ekel. Das Privatleben glücklicher Leute am Staatstheater Stuttgart" beruft sich auf Brecht und Kroetz und ist doch nur hilflos irgendwelchezeitungsartikelzitierendes moralisierendes Kinder-Kabarett ohne Bewußtsein der eigenen Harmlosigkeit. Die Spieler sind teilweise wirklich gut, doch das hilft nicht. Ein Abend, der nichts erreicht, als dass wir einander ernsthaft und besorgt bestätigen, dass wir Nazis nicht leiden können, uns aber bemühen wollen, zu verstehen, wie sie zu Nazis wurden. Was genau ist eigentlich ein Nazi? Einer mit Ideologie? Einer mit Wut? einer mit Sozialneid? Ein Relikt? Ein Idiot? Ein Verführter, ein Verführer? Was?
(Alle Nazi-Geschichten spielten übrigens im Osten.)
Der erste Durchlauf - 90 Minuten, 6 Tote, das Stück ist 2500 Jahre alt. Wir lernen nichts dazu.
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