Freitag, 30. Oktober 2020

Volker Pfüller - Ein guter Mann

 

IM NEUEN JAHR MUSST DU MIT ALLEM RECHNEN!

Ich war also gewarnt, aber lag trotzdem falsch. 

1978, Alexander Lang inszeniert "Miss Sara Sampson" von Gotthold Ephraim Lessing, das zentrale Trio: Gudrun Ritter, Katja Paryla und Christian Grashoff. Ich, zwanzigjährig, spiele meine erste wirkliche Rolle, die Tochter der Marwood, Arabella, sitze in Volkers Bühne, in dem von ihm entworfenen Kostüm und bin gänzlich ahnungslos, überwältigt in Liebe - zum Theater. 

1981, wieder Alex, wieder Volker, diesmal Büchners "Dantons Tod", im schönsten Kostüm meines Lebens, in einem roten Raum schwebe ich im weißen Empirekleid, ein totgeweihter Engel, weiß geschminkt umschattet von Rot, Ahnung der drohenden, kommenden Brände. Volker hat es mir so sehr leichter gemacht.

Volker, ein gutaussehender Riese von einem Kerl, stabil und warm, idealer Kontrapunkt zu Alexanders schlacksiger Intensität. Immer unangestrengt elegant gekleidet, was schon an sich eine Sensation war in unserer höchst unkleidsamen DDR. 

Er war unser Ruhepunkt.

"Ich habe Theater eigentlich gemacht, weil ich gerne Theater gemacht habe." V.P.

1986, Stella, immer weint eine von uns Frauen, Volker beruhigt, Alex verrät uns nicht, dass wir das Satyrspiel zu Medea sind, das Lachen des Premierenpublikums ist ein Schock. Aber unsere Kostüme, Kleider überlegt mit Gaze, den Schatten der Vergänglichkeit, unsere Gesichter ins Extrem geschminkt, tragen uns durch die Verwirrung.

1995, die Dreigroschenoper, Volker muß betonieren, Alex, irritiert von der Unterhaltsamkeit des Materials, kämpft dagegen an. 120 Vorstellungen machten Mühe.

Ich beginne, mich als Regisseur auszuprobieren. In den Kammerspielen des DT, mein erster Shakespeare, die Zähmung der Widerspenstigen: Volker entwirft die Kostüme. Was waren die bunt und wild und eigenartig. Inge Keller, als Matrone trug einen Hut mit Ente, den habe ich besonders geliebt. Die klassische Gassenbühne, ihre Zentralperspektive ins Extrem getrieben,  erdachte Phillip Stölzl, einer seiner Studenten.

Er hat Türen geöffnet für Begabungen, ihnen Möglichkeiten eröffnet, uneigensüchtig.

Zu Premieren verschenkte er seine Kostümentwürfe, zauberhafte Vorahnungen unserer Rollen.

Für ein Lina Werthmüller Musical in Bremen baute er mir einen italienischen Eissalon in hellblau, rosa und creme, die Schwangerschaft der zentralen Figur verbildlicht durch ihren wachsenden Bauch mittels einer im Sofa versteckten Gasflasche.

Mein Vater in seiner letzten Rolle am Theater 89, Ein Kind unserer Zeit von Horvath, Volkers Plakat trifft es auf den Punkt, ein Mann verstirbt ohne Widerwehr auf eine Bank im Schnee.

Die Kinder-Tier-Gedichte meines Vater illustriert von Volker - er wußte wie Kinder schauen, ohne sie zu verharmlosen.

Dann haben wir uns eine Weile nicht gesehen, wie das so passiert am Theater.

Jahre später in einer kleinen Galerie in der Chausseestrasse, ich tippe ihm auf die Schulter, er dreht sich zu mir um, sieht mich an und sagt: Ich freue mich, dich zu sehen. Ein Glücksmoment. Ich erwerbe einen wunderbaren Holzschnitt von Beckett, so filigran, dynamisch. Er begleitet mich, neben meinem Schreibtisch, täglich.

So tut es auch sein Mann in Rot und eben seine Neujahrskarten.

Wenn die die sterben, die nicht sterben sollten, ist es besonders schlimm. Und viele Arschlöcher leben so sehr lang. 

Ein Künstler und ein Gentleman, wie oft gibt es das? Zu selten.


IM NEUEN JAHR MUSST DU MIT ALLEM RECHNEN! 

Corona 2020 und dann ist auch noch Volker ist gestorben, kurz nach einer letzten Premiere mit Sascha Stillmark in Rudolstadt - er hatte ein gutes Leben, glaube ich.

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