Donnerstag, 12. März 2020

Das C-Wort

CORONA 

Hilflosigkeit & Handlungsunfähigkeit sind körperlich intensiv spürbare Gefühle.

Ich weiß, das mein Rauchen zu Lungenkrebs oder Ähnlichem führen kann. Ich könnte aufhören und meine Chance auf ein längeres Leben würden sich erhöhen.
Ich altere dem Tod entgegen, wie alle anderen Menschen auch, das ist nicht immer angenehm, aber unvermeidlich und letztendlich die gerechteste Sache überhaupt, denn wir alle sterben. Über die Fairness des wie und wann können wir streiten und die Wahllosigkeit der Auswahl verunmöglicht mir den Glauben an irgendeinen Gott.

Aber jetzt dieses C-Ding. Aus unzähligen Filmen habe ich einen Vorrat von Tsunami-Wellen-Bildern im Kopf, und immer stehen Leute herum und starren, bevor sie, viel zu spät, anfangen wegzurennen. Und jetzt, ohne jede Möglickeit mich zu verhalten, stehe ich, mir brav die Hände waschend, zwischen Tsunamiwellen, die aus unterschiedlichen Richtungen auf uns heranrollen, und bin hilflos und handlungsunfähig.

Sollen wir morgen eine öffentliche Probe abhalten? Ist das wichtig? Wird überhaupt jemand kommen? Ist das wichtig? Unser Publikum ist eher dem älteren Bevölkerungsquadranten zugehörig, der besonders gefährdet ist, könnten wir sie gefährden? Wird es überhaupt eine Premiere im April geben, wenn, laut Aussage des Chef-Virologen der Berliner Charité, die Infektionswelle erst im August ihren Höhepunkt erreichen wird? Ist das wichtig?

Was tue ich dann zwischen jetzt und August?

Eine wahrhaft neue und äußerst unangenehme Erfahrung. Niemand den ich hassen kann, niemand den ich bekämpfen kann. Kismet.

Ein Virus.

Übertreiben all die Fachleute? Die WHO und die Ärzte? Ist die rechte Zeit für paranoide Verschwörungstheoretiker gekommen? Oder müssen wir uns beugen und die Welle in Demut und unter größtem möglichen Widerstand und mit größt möglicher Hoffnung über uns rollen lasssen?

Ich weiß es nicht.


5 Kommentare:

  1. Das Absurde daran ist, daß der Corona-Virus schafft, was kein Klimaforscher, kein Klimaaktivist und keine Klima-on-friday Demonstration schafft: das Wirtschaftswachstum wird ausgebremst und der fossile Rohstoffverbrauch wird reduziert. Was der Weisheit eines homo sapiens zu verdanken sein sollte, ist bloß ein weiterer viraler Effekt.

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  2. Asymmetrie:
    Im Radio geht es unentwegt um die Notwendigkeit von Kontaktvermeidungen.
    Also rufe ich in dem geriatrischen Zentrum an, wo ein todkranker Freund im Mehrbettzimmer liegt, und frage, ob ich ihn heute überhaupt besuchen dürfe.
    Auskünftler: Ja. Wieso?
    Ich: Corona.
    Auskünftler: Nee, mit Corona ham wir nischt zu tun.

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  3. ... klingt irgendwie typisch berlinerisch. :-)

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  4. Corona
    Bei uns im Krematorium
    da herrscht Normalbetrieb.
    Die Asche fällt dort durch ein Sieb,
    man schuftet um und um.

    Wenn der Kremiere jetzt erkrankt,
    dann stapeln sich die Leichen.
    Die Armen und die Reichen,
    sie liegen mitten Mank.

    Warum- so frage ich im Rund-
    der Mensch sich noch bekriegt?
    Wo schon ein Virus siegt,
    sind Kriege Dreck und Schund!

    © A. Gröpler

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  5. Florenz ist menschenleer, geschlossen. Es scheint so, als ob nicht ein paar Menschen krank wären, infiziert, sondern eine ganze Welt. Das erste mal zeigt ein weltumspannender Vorgang sein Gesicht, ganz still. Es ist die Ruhe am Morgen danach, die einige Wochen dauern könnte. Wer bestimmt ihr Ende? Selbst die Regierenden lassen sich von ihr beherrschen. Irgendwo bunkern ein paar Leute Waren. Andere nehmen sich vor wieder Bücher zu lesen. Wieder andere streamen die leeren Zuschauerränge und spielen weiter vor ihnen, dem abwesenden Publikum, das nun zuhause am Monitor verharrt, abwartend, ruhig, glücklich oder gehässig. Aus den Kassen fließt das Geld ins Leere. So hatte man sich das Ende, welches keines ist, nicht vorgestellt. Es gibt hemmungslosen staatlichen Kredit auf alle Unternehmen ab zwei Millionen Jahresumsatz aufwärts. Darunter ist keiner würdig. Erst retten wir die Großen und die Banken. Milliarden stehen bereit. Danach verteilen wir die Krumen an die Bedürftigen. Es muss weiter gehen. Der Lappen muss hoch, auch wenn in der Elbphilharmonie und in den Stadien niemand mehr sitzt. Auch ich arbeite weiter. Ich habe Pläne. Für mich ändert sich kaum etwas. Autoren arbeiten von zu Hause aus, schon immer, traditionell. Es gibt ein Problem damit eine neue Software auf meinen Computer zu laden. Ansonsten bereite ich eine gemalte Welt mit Text vor. Es fehlt nur noch die Tonspur mit Musik und Sprache vom Band. Wenn alles fertig ist, verschicke ich es an den Dramaturgen eines leeren Theater. Dann können wir uns gemeinsam eine Aufführung vorstellen, insgeheim. Jetzt dürfte eigentlich nichts mehr schief gehen, denn es kommt ja eh keiner, nicht einmal mehr die Kritiker. Endlich Ruhe. Keine Angst mehr vor dem Scheitern. Schaut ja niemand zu, außer der Dramaturg und ich und vielleicht ein naher Verwandter. Endlich frei sein. Von zuhause aus hört man weder den Applaus noch die Buhrufe. Keiner verlässt den Saal. Endlich dürfen wir alles ausprobieren. Auch den Aufstand. Denn er findet bequem auf dem Sofa statt. Warum auch nicht? Die Kinder sitzen auf dem Schoß und quengeln. Sie wollen raus. Man soll die Alten nicht mehr besuchen. Sie sind die Risikogruppe. Davon wissen die Kinder nichts. Am Ende überlebt vielleicht die Zielgruppe. Wer weiß das schon? Noch ist es früh am morgen. Wen wird es tatsächlich treffen? Vielleicht auch die Erschöpften, die noch weniger Widerstand haben als die Alten. Draußen singen die Vögel wie immer ihr Lied. Rab rab. Es geht mir gut. Gleich gibt es Kaffee und aufgebackte Brötchen mit Ei. Ich muss noch die Küche und das Bad reinigen. Aber das hat Zeit. Zuerst möchte ich nach dem Frühstück wieder arbeiten. Es gibt soviel zu tun. Es nimmt kein Ende. An Sterben ist noch nicht zu denken. Draußen, fünf Straßen weiter, eine Regierung, die von alledem nichts ahnt. Es ist Berlin und ich lächle es an. Mir egal, ob heute geschlossen ist. Bei mir ist immer offen.

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