Sonntag, 15. März 2020

Das C-Wort II

Wir probieren in einem Theater, dass nicht mehr für sein Publikum spielen darf.
Wir treffen uns immer noch zu unserer täglichen Arbeit.
Früh und Abends.
Aber wir alle haben Kinder.
Eltern.
Großeltern.
Um uns herum verändert sich gerade alles.
Grenzen werden geschlossen, Regale sind leer, Versammlungen sind verboten.
Oberflächliche Erinnerungen an die DDR werden wach.
Europa. Die EU. Werden diese Risse post-Corona wieder verheilen?
Wann ist das?
Ich fasse möglichst nichts mehr mit meinen Händen an, das ich nicht persönlich kenne.
Huste ich den gewohnten Raucherhusten oder klingt der heute etwas anders?
Mein Mißtrauen gegen irgendwas, das ich nicht einmal benennen könnte, bleibt bestehen.
Aber.
Aber. Wir werden nicht weiterprobieren. Mein Theater-Herz wird etwas zerbrechen. Wie schon öfter zuvor.
Aber diesmal ist es auch anders.
Größer. Unverständlicher. Unhandbarer.
Wie lange wird das dauern?
Bis nach Ostern?
Bis in den August?
Kinder ohne Freunde, ohne Schule, ohne Großeltern.
Jugendliche ohne Tanz und Gedankenlosigkeit, ohne Körpernähe.
Erwachsene ohne ihre üblichen Ablenkungen, mit Dauersorgen. Sozialdistanz? Gräßliches Wort.
Aber notwendig.
Aber was benötigen wir jetzt mehr als soziale Nähe?
Nähe ohne Körperkontakt.
Unvorstellbar, wenn die digitale Welt zusammenbräche.

das besondere ist nicht, dass etwas nicht mehr funktioniert, sondern dass es überhaupt jemals funktioniert hat 
pollesch

2 Kommentare:

  1. Sicher kann man das alles bedauern und beklagen. Aufgeben, was man gewohnt ist oder liebt ist schwer. Aber sehen Sie es mal anders. Ich lebe derzeit in einem Land, das von einem Idioten regiert wird. Es hat kein funktionierendes Gesundheitssystem. 40% aller Menschen sind nicht oder unterversichert. Es kennt kein nennenswertes Sozialsystem oder Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Es testet kaum, weil es darauf besteht den eigenentwickelten Test zu nutzen - und der ist nicht verfügbar. Die USA fliegt gerade blind. Manche Gouverneure haben dazu aufgerufen in Bars und Restaurants zu gehen... am nächsten Tag mussten sie den Notstand ausrufen. Blamabel ist eine Untertreibung, fahrlässig zu milde ausgedrückt.
    Weil der Präsident sich um seine Wiederwahl sorgt kommen von der Regierung nichts als Ausflüchte und Verschlimmerungen. Es bleibt den Lokalpolitikern vorbehalten auf die Wissenschaftler zu hören und geeignete Maßnahmen anzusetzen. In New York habe ich Glück, einige Politiker sind bei Trost. Theater sind geschlossen, Schulen sind geschlossen, Restaurants sind geschlossen, die Subway ist voll. Nicht Gequetscht voll, aber voll. Was soll man machen?
    New York müsste drastisch 'runterfahren und das wird auch versucht. Geht aber halt nicht. Also wird die Stadt entweder vom Virus lahmgelegt, mit allen ekelhaften Folgen, oder sie übersteht's irgendwie.
    Nicht zu reden von den Freischaffenden, den Künstlern, allen, die paycheck to paycheck leben und nie viel zurücklegen konnten. Es gibt hier keine Grundsicherung. Und dann fährst du halt Uber, auch wenn Deine Fahrgäste husten. Und du gehst zur Arbeit so lange es eben geht und verantwortlich ist. Tests gibt's ja eh keine.
    Die drakonischen Maßnahmen in Europa sind richtig. Und egal, was sie kosten, materiell und mental, sie werden Menschenleben retten und die Versorgung aufrecht halten. Irgendwann werden Sie dankbar sein für alle diese Einschränkungen. Weil Sie nach Amerika schauen werden und der Blick über den Atlantik wird nicht schön werden.

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  2. Im Deutschlandfunk hörte ich eine Sendung über Luxemburg. Das kleine Land investiert in eine Weltraumtechnologie, um Rohstoffe, die auf der Erde knapp geworden sind, auf dem Mond und auf Asteroiden abzubauen. Die Vernichtung der irdischen Ressourcen soll also für einen weiterhin ungebremst expandierenden Kapitalismus auf den Weltraum ausgedehnt werden. Bislang hatte ich davon nur in Büchern gelesen. Die Unternehmen – für Star-Trek-Fans: Enterprises – beginnen also allen Ernstes, gefördert von der Regierung von Luxemburg, die dafür nötigen Technologien zu entwickeln. Anstatt alle unsere intellektuellen und kreativen Potentiale auf die Einrichtung einer globalen und regionalen Kreislaufwirtschaft zu richten, geht es wiedermal nur darum, das ständige Wachstum von Profit und Konsum auch für die Zukunft sicherzustellen.

    We go to outer space, to save the human race. Aber wie sich aktuell zeigt: ein Virus stellt alle Versprechen, die diese Zukunft betreffen, in Frage. Bevor die Flucht in den Weltraum beginnen kann, kollabiert die Globalisierung und alle mit ihr verbundenen Gewißheiten. Der Weltbürger wird in häusliche Quarantäne geschickt.

    Was für ein Mensch wird aus dieser Quarantäne hervorgehen? Wird er noch Bargeld in die Hand nehmen wollen? Wird e-learning den Lehrer ersetzen? Wird menschliche Nähe künftig durch anderthalb Meter Abstand und durch digitale Kommunikation definiert?


    Nietzsche dachte, der Mensch sei ein Übergang, eine Brücke auf dem Weg zum Übermenschen. Ich denke: meine Individualität ist ein Vorübergang; eine Brücke, die verrottet ist und nicht mehr trägt. Das ist meine Bildung. Sie wird zugrundegehen. Sie ist es schon. Ihr Untergang geht vielen anderen Untergängen voraus, die noch kommen werden und von denen ich noch Augenzeuge werde.

    Klingt düster, aber die Welt verändert sich. Was war, kenne ich; was kommt kenne ich nicht. Und vor Nietzsches Übermenschen fürchte ich mich.

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