Mittwoch, 7. August 2019

Die Moskauer - Wie das Stalintrauma die DDR prägte

Die Moskauer - Wie das Stalintrauma die DDR prägte von Andreas Petersen

Heute Abend in der "Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Kommunismus", die sich passend unpassender Weise mitten im Berliner Nikolaiviertel befindet, ein Vortrag zu einem Buch, das eine für mich erschreckende, aber durchaus glaubwürdige Behauptung aufstellt:

Die DDR wurde gegründet, auf den Weg gebracht, von Leuten, die zutiefst traumatisiert waren. Verstört, zerstört, schuldig und gestraft, aller Illusion verlustig gegangen und doch weiter der verzweifelt aufrechterhaltenen großen Lüge anhängend. Die erste Führungsriege der DDR-Politik, unter strenger Kontrolle Moskaus stehend, wird dann genau die Methoden, die sie selbst jahrelang als tödliche Bedrohung erlebt hatten, auf die Konstruktion des "neuen, besseren" Deutschland anwenden. Eine Gruppe von zurecht von Verfolgungswahn geprägten Paranoikern will eine frohe, gerechte Zukunft erschaffen. Wir haben erlebt, wie gut das gelungen ist.

Diese Leute hatten jahrelang, von 1933 bis 1941, unter ständiger akuter Angst gelebt: Wer wird heute geholt? Wohin wendet sich der der mörderische Wind morgen? Hält ein Auto vor meiner Tür? Höre ich Schritte auf meinem Flur? Wurde ich denunziert oder sollte ich denunzieren? Sie waren Opfer und Täter in Personalunion, ihr Heimatland im Nazi-Wahn und das Land ihrer Hoffnung im Strudel der großen Säuberungen.
1936 lebten circa 4600 deutsche "Politemigranten" in der Sowjetunion, "von den 68 führenden Funktionären der KPD ... wurden 41 ermordet." "Über tausend tote Deutsche hingerichtet, verstorben in Lagern und verschollen, lassen sich bis heute benennen." Stalins Terror kostete mehr Kommunisten das Leben, als das Naziregime. Unfaßbar.
Ein Beispiel aus dem Gedächtnis nacherzählt:
Ein jüdischer Kommunist namens Hirsch wird in Nazi-Deutschland verhaftet, verhört, gefoltert, ins KZ gesperrt. Er hält stand, verrät nichts. Erstaunlicherweise wird er entlassen, flieht und schafft es bis nach Moskau. Zeitgleich erläßt das NKDW neue Vorgaben für die Aufspürung von potentiellen Feinden, Spionen, etc. Wilhelm Pieck verlangt Lieferung. Eine Bürokraft, deutsch, Kommunistin gerät ins Schwitzen, sie muß Feinde liefern und denunziert Hirsch. Er hätte sich im KZ nicht korrekt verhalten. Sie schreibt, von Angst gejagt, zehn Briefe an das NKDW, in denen sie seine Schuld immer größer werden läßt. Schließlich wird Hirsch verhaftet, verhört, in ein Lager verdammt. Auf diesem Leidensweg beschuldigt er nun andere Genossen, sich nicht korrekt verhalten zu haben und stirbt schließlich im Gulag. Die Büroangestellte wird nur wenige Jahre später auch erschossen.
Was für eine unerträgliche Tragödie.


Die Zuhörer heute Abend waren größtenteils alt, sehr alt, der fünfzigjährige Bibliothekar neben mir und ich Sechzigjährige waren sozusagen die Vertreter der jungen Generation. Sie waren Kinder, Enkel von Opfern/Tätern, Leidtragende in zweiter Generation. Auch eine Tragödie. Niemand interessiert sich mehr für diese verletzten Menschen, die ihr Leben darauf verwenden, die wirkliche, die wahrhafte Wahrheit herauszufinden. Für sie gibt es keine einfachen Antworten. Schuld und Selbstaufopferung, Verrat und unvorstellbare Leidensfähigkeit liegen für sie ungeschützt nebeneinander.

Ich dachte, was für ein leichtes, geschütztes Leben habe ich gelebt. Niemand wollte mich töten, niemand hat meine Ansichten, Meinungen benutzt, um mich festzunageln, einzuschüchten, abzuurteilen. In welch unübersichtlichen, unlösbaren Situationen mußten diese Menschen versuchen, zu überleben? Aber auch, welche schrecklichen Gewalttaten haben sie verübt, um sich nicht ihrer Lebensangst stellen zu müssen?

Es muß; das war dies Muß. Wer will der Hand fluchen, auf die der Fluch des Muß gefallen? Wer hat das Muß gesprochen, wer? Was ist das, was in uns lügt, hurt, stiehlt und mordet? Büchner - Dantons Tod

Kurz vor dem Beginn des Vortrages, verteilte die Gründerin der Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Kommunismus Zettel mit sorgfältig ausgewählten Zitaten grüner Politiker, die im Fazit beweisen wollten, das die "grünen Gutmenschen", so nannte sie die Ziterten wiederholt, es vorziehen würden, das islamische Horden uns "Deutsche" überrollen.
Ist unser Leben wirklich nur eine ständige Wiederholung der gleichen Muster? Nur das die Tragödie sich in die Farce verwandelt?

3 Kommentare:

  1. Wenn die Begriffe tragisch oder Tragik ausserhalb der klassischen Tragödie zutreffen, dann in dieser Geschichte der deutschen Kommunisten in der Sowjetunion. Und die Geisteshaltung, die sich bei der Handzettelverteilerin offenbart, ist ja auch einigermassen erschreckend. Ist diese "Gedenkbibliothek" eine städtische Einrichtung?!

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  2. https://de.wikipedia.org/wiki/Gedenkbibliothek_zu_Ehren_der_Opfer_des_Kommunismus
    Träger ist ein gemeinnütziger Verein.

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  3. Danke. Ich hab über Wikipedia gesucht und nicht gefunden.

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