Sonntag, 19. August 2018

Familie Brasch - Eine deutsche Geschichte

In den Jahren nach 1945 sind die Braschs eine perfekte Funktionärsfamilie, die in der sowjetisch besetzten Zone den deutschen Traum vom Sozialismus lebt: Horst Brasch, ein leidenschaftlicher Antifaschist und jüdischer Katholik, baut die DDR mit auf, obwohl seine Frau Gerda darin nie heimisch wird. Sohn Thomas wird zum Literaturstar, er träumt wie sein Vater von einer gerechteren Welt, steht aber wie seine jüngeren Brüder Peter und Klaus dem real existierenden Sozialismus kritisch gegenüber. 1968 bricht in der DDR wie überall der Generationenkonflikt auf. Vater Brasch liefert den rebellierenden Sohn Thomas an die Behörden aus - und leitet damit auch das Ende der eigenen Karriere ein.

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Germania 3 Gespenster am toten Mann

3
NÄCHTLICHE HEERSCHAU
Nacht Berliner Mauer Thälmann und Ulbricht auf Posten.
Thälmann
Das Mausoleum des deutschen Sozialismus. Hier liegt er
begraben. Die Kränze sind aus Stacheldraht, der Salut wird
auf die Hinterbliebenen abgefeuert. Mit Hunden gegen die
eigene Bevölkerung. Das ist die rote Jagd. So haben wir uns
das vorgestellt in Buchenwald und Spanien.
Ulbricht
Weißt du was Bessres.
Thälmann
Nein.
Ulbricht
Wenn du das Ohr an den Boden legst. kannst du sie schnar-
chen hören, unsre Menschen, Fickzellen mit Fernheizung
von Rostock bis Johanngeorgenstadt, den Bildschirm vorm
Schädel, den Kleinwagen vor der Tür. Schüsse. Leuchtspur.
Wieder einer. Hoffentlich ist es nicht mein Abschnitt.


Heiner Müller 

Eine DDR-Tragödie über die Kinder der Gründer, der die überlebt hatten, in Gefängnissen, Konzentrationslagern, in der Emigration in in Russland oder einem westlichen Land, Kommunisten, Sozialisten, Sozialdemokraten, Juden, verfolgt, gequält, heimatlos und die nun dieses neue andere Land aufbauen wollten. 
Ernüchternd einen Film über Tote zu sehen, von denen man einige kannte und lieb hatte.
Ich kannte vor langer Zeit junge, verletzte Männer, liebenswürdig, klug, belesen, begabt, im ungewinnbaren Kampf mit ihren Dämonen. 
Ein Vater, Horst, jüdisch, dann katholisch, was ihm nicht geholfen hat, als die Nazis an die Macht kamen, Jude war er, Jude blieb er und mußte fort, nach England. Dort wird er brennend kommunistisch. Gründet die britische FDJ, Heimatersatz und stalinblinde, antifaschistische Schulung. In der Gruppe trifft trifft er seine spätere Frau, Österreicherin, sie heiraten, sie wird schwanger. 
Der Krieg ist zu Ende und Horst will sofort nach Berlin, den Wiederaufbau mitgestalten, sie folgt ihm mit dem Baby Thomas, widerwillig, erst ein Jahr später. Nach Wien und London war das Nachkriegs-Ost-Berlin die Quelle ihrer von Bekannten beschriebenen Traurigkeit und Distanziertheit. Zwei weitere Söhne werden geboren und eine Tochter. Beide Eltern arbeiten am Aufbau des Sozialismus, die Kinder kommen in Wochenkrippen, Internate, der Älteste in die Kadettenschule der NVA in Lübbenau.
http://www.ddr-wissen.de/wiki/ddr.pl?Kadettenanstalt_Naumburg
Einsame Kinder. 

 
Die Aufsässigkeit bei allen drei Jungen beginnt früh und ist immer auch eine Gefährdung der Position des Vaters, die Tochter beschließt, aus dem Erleben der heftigen Auseinandersetzungen in der Familie, "lieb" zu sein, störungsfrei. Die Söhne widersetzen sich ungehobelt, verzweifelt.
Auch wenn das Hauptgewicht des Filmes auf Horst und Thomas liegt, haben mich die Nebengeschichten von Klaus und Peter mehr verstört.
Der Vater versucht sich zu töten, weil er es nicht erträgt, nicht im Einklang mit den Staatsorganen zu sein. Das muß man sich vorstellen, die Mutter liegt im Sterben, die Tochter ist 13, die Söhne leiden, und er erträgt den Liebesentzug der Genossen nicht. Welch tieftrauriges Debakel.
Als Thomas den Vater 1968 von seinen "staatsfeindlichen" Flugblattaktionen gegen die sowjetische Okupation der ĆSSR informiert, ruft dieser die Staatssicherheitsorgane von einer Telefonzelle aus an, nicht vom Apparat in seinem Arbeitszimmer. Der ultimate Verrat. Jahre später, als Thomas, schon im Westen lebend, den Vater nocheinmal besucht, um endlich Antworten zu bekommen, hört er nur: "Darüber werde ich nicht sprechen." 

Drei gute Söhne sterben lang vor ihrer Zeit, in ihrer Zerrissenheit zwischen ersehnter Vaterliebe und des Vaters utopischen Traums von einer besseren Gesellschaft, und, auf der anderen Seite, der harschen Realität des zunehmend verkommenden, brutalisierten Sozialismus, trinken sie sich den Schmerz weg. Saufen, schreiben, spielen, machen Filme, werden trocken, saufen wieder. Zerstören sich. Ihre Konfrontationen mit der Staatsgewalt bleiben die von priviligierten Kindern, aber die Dekonstruktion des Vatertraumes reicht tief.

Es ist so sehr schade um sie. Um Klaus, den freundlichen spielwütigen Clown, der mir meine erste Filmrolle ertragbar machte, um Peter, den lustigen Bruder im Schatten eines Bruders, der selbst im heftigsten Suff mir gegenüber nie aggressiv wurde und um Thomas, den ich nicht kannte und den, so sagt der Film, alle liebten, die ihn trafen. 

Was fehlte, waren mehr kluge Kommentatoren. Bettina Wegener, Katharina Thalbach und Christoph Hein, waren ok. Die anderen aber blieben hängen in der Belanglosigkeit der privaten Beschaulichkeit. Zwei schlaue Leute mehr wären gut gewesen, um den Film aus der privaten Ebene der Familienaufstellung, in die Sphäre der Beschreibung eines grundsätzlichen gesellschaftlichen Verlustes zu heben.

Denn was wir alle verloren haben, auch durch die Schuld unserer Väter, ist unsere Hoffnung auf eine bessere Welt. Auch wenn wir es uns noch so gemütlich machen in unseren hippen, resignierten Apokalypsevoraussagen, wenn wir Kinder haben, oder, wie ich, Lieblingsnichten, wünschen wir uns für sie eine bessere Welt, eine gerechtere.
 

Was ich habe, will ich nicht verlieren, aber
wo ich bin, will ich nicht bleiben, aber
die ich liebe, will ich nicht verlassen, aber
die ich kenne, will ich nicht mehr sehen, aber
wo ich lebe, da will ich nicht sterben, aber
wo ich sterbe, da will ich nicht hin:
Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin.


Thomas Brasch

1 Kommentar:

  1. Sonja Hilberger schrieb:

    "Denn was wir alle verloren haben, auch durch die Schuld unserer Väter, ist unsere Hoffnung auf eine bessere Welt. Auch wenn wir es uns noch so gemütlich machen in unseren hippen, resignierten Apokalypsevoraussagen, wenn wir Kinder haben, oder, wie ich, Lieblingsnichten, wünschen wir uns für sie eine bessere Welt, eine gerechtere.“

    Ich finde, genau das drückt der Film sehr klar aus. Gerade in dem er die private Perspektive von persönlichen Beziehungen wählt, die in einem größeren Zusammenhang stehen tut er das. Den Zusammenhang - die Hoffnung im Aufbau, in der Realisierung der Utopie, das Scheitern der Realisierung, auch und gerade im Verrat der Familie, in der riesigen Lücke, dem Riss der sich auftut zwischen den Menschen, deren enges Band preisgegeben wir für eine Idee, einen größere Vision - den Preis, den die Kinder zu zahlen haben und die Menschen untereinander, weil alles sich einer Idee unterordnet, was das macht, und der Kampf um diese Idee - wie die Menschen dieser Familie, die meisten, daran kaputt gehen - das erzählt der Film sehr klar und dazu ist gerade die private Ebene notwendig. Sonst würde er sehr allgemein bleiben. Ich sehe Menschen mit denen all diese Prozesse etwas machen. Das eine ist die eigene Erzählung, vieles erzählt sich aber auch über Gesichter, Nebensätze, das was nicht gesagt wird. Und den ganzen Rahmen in Amerika zu setzen, die neue Welt, in der keiner ankommt oder wenn, dann mit immensen Verlusten - das ist ein weit größerer Rahmen als eine private Ebene. Finde ich. Es lohnt sich, ihn öfter zusehen, schätze ich. Er macht es einem nicht leicht, sich zu positionieren und das finde ich gut.

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