Donnerstag, 21. Juni 2018

Das Kopftuch

Artikel 4 des Grundgesetzes

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.
(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

Gesetz zu Artikel 29 der Verfassung von Berlin
Vom 27. Januar 2005 


Präambel: Alle Beschäftigten genießen Glaubens- und Gewissensfreiheit und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses. Keine Beschäftigte und kein Beschäftigter darf wegen ihres oder seines Glaubens oder ihres oder seines weltanschaulichen Bekenntnisses diskriminiert werden. Gleichzeitig ist das Land Berlin zu weltanschaulich-religiöser Neutralität verpflichtet. Deshalb müssen sich Beschäftigte des Landes Berlin in den Bereichen, in denen die Bürgerin oder der Bürger in besonderer Weise dem staatlichen Einfluss unterworfen ist, in ihrem religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnis zurückhalten.

§ 1: Beamtinnen und Beamte, die im Bereich der Rechtspflege, des Justizvollzugs oder der Polizei beschäftigt sind, dürfen innerhalb des Dienstes keine sichtbaren religiösen oder weltanschaulichen Symbole, die für die Betrachterin oder den Betrachter eine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft demonstrieren, und keine auffallenden religiös oder weltanschaulich geprägten Kleidungsstücke tragen. Das gilt im Bereich der Rechtspflege nur für Beamtinnen und Beamte, die hoheitlich tätig sind.

§ 2: Lehrkräfte und andere Beschäftigte mit pädagogischem Auftrag in den öffentlichen Schulen nach dem Schulgesetz dürfen innerhalb des Dienstes keine sichtbaren religiösen oder weltanschaulichen Symbole, die für die Betrachterin oder den Betrachter eine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft demonstrieren, und keine auffallenden religiös oder weltanschaulich geprägten Kleidungsstücke tragen. Dies gilt nicht für die Erteilung von Religions- und Weltanschauungsunterricht.


http://gesetze.berlin.de/jportal/portal/t/iaf/page/bsbeprod.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&fromdoctodoc=yes&doc.id=jlr-VerfArt29GBE2005pP2&doc.part=X&doc.price=0.0&doc.hl=0


Mein Konflikt

Erstens: 
Gott, an den ich nicht glaube, würde doch, wenn es ihn gäbe, nicht wollen, dass das Haar (Frauenhaar), welches Er erschaffen hat und dem Er zu wachsen gebot bzw. auszufallen, je nachdem, geschoren oder unter Tuch / Scheitel versteckt werden muß. Das macht überhaupt keinen Sinn, nicht einmal für Gott. Er hat angeblich das Universum und alles Existierende erschaffen, benötigt aber als Beweis unserer Zuneigung das Tragen einer Kopfbedeckung? Oder das Essen von Fisch am Freitag?
Zweitens:
Alle vorgebrachten Tanach-, Bibel-, bzw. Koranstellen, die die Verhüllung der Frau verlangen, sind höflich gesagt, vage und, wenn sie denn meinen, was interpretiert wird, halten wir uns denn ansonsten an jedes Wort dieser sehr alten Bücher? Nein, tun wir nicht. Wir wählen selektiv, was unseren heutigen Interessen dient.
Drittens:
Die Behauptung, Männer würden beim Anblick von weiblichem Haupthaar derart in Erregung verfallen, dass sie nicht an sich halten können und übergriffig werden müssen, zeichnet ein verzweifelt trauriges Bild vom Mann und ist hoffentlich unglaubwürdig.
Viertens:
Was löst unbedecktes Haar, respektive Arme, Beine, etc. von Männern bei Frauen aus?
Fünftens:
Was bringt gebildete Frauen dazu, das Tragen eines Kopftuches / Scheitels als gottgefällig anzusehen? Bitte, ein Kopftuch!?
Sechstens:
Beschneidung kleiner Jungs kann ich akzeptieren, auch wenn es sicher weh tut, aber es ist wenigstens hygienisch und beraubt die zukünftigen Männer keiner Genüsse. Beschneidung von Mädchen ist ein Verbrechen. Punkt. 
Siebtens:
Alle großen Weltreligionen, ins Extrem getrieben, sind frauenverachtend. Angstbesessene Männer dürfen ihrer bösartigen Unkenntnis und daraus resultierenden Arroganz freien Lauf lassen.
Achtens:
Meine Vorstellung von Freiheit besteht darin, dass jeder tun und lassen darf, das niemand anderen in seiner Freiheit einschränkt oder beschädigt. Das heißt auch, ein demokratisches Land darf nur verbieten, was die Freiheit der Vielen gefährdet. 


Meine unbeantworteten Fragen bezüglich des Kopftuchverbotes

Ich wiederhole, ich persönlich lehne das Tragen von Kopftüchern und ähnlichem im Dienst von religiösem Gehorsam grundsätzlich ab. 
Aber. Aber wenn es für andere so sehr ein Teil ihrer Selbstdefinition ist? 
Schadet es den Schülern, wenn ihre Lehrerin Kopftuch trägt? ich weiß es nicht. 
Eine Richterin mit Kopftuch und dem geleisteten Schwur aufs Grundgesetz, kann sie nicht Recht sprechen? Ich weiß es nicht. 
Verhaftet eine kopftuchtragende Polizistin keine Verbrecher?
Schaden wir uns, wenn wir Zeichen selbstempfundener religiöser Demut verbieten? Ich weiß es nicht. 
Was tun diese ausgebildeten Frauen, wenn wir ihnen bestimmte Berufe verbieten?
Politischer Islamismus ist höchst gefährlich. 
Jede Religion, die Politik bestimmt lehne ich ab. 
Aber. Aber können wir unsere liberale Demokratie durch Ausgrenzung schützen? 
Oder führt die Ausgrenzung zu dem, was wir eigentlich vermeiden wollen?
In der Konfrontation mit Extremisten könnten wir vielleicht unversehens, ohne es zu wollen, gegen unsere Absicht, selber solche werden. 

Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.  

8 Kommentare:

  1. Ich denke allerdings, daß es sich um eine Gewissensentscheidung handelt. Das unterscheidet das Kopftragen vom Tragen eines Minirocks. Es ist eine Gewissensentscheidung, weil die Kopftuchträgerinen, zumindestens die gebildeten unter ihnen, sich fragen müssen, ob sie angesichts dessen, daß Frauen in bestimmten Ländern vom Staat und ihrer Umwelt verfolgt und diskriminiert werden, wenn sie kein Kopftuch tragen, sich ausgerechnet für dieses Kleidungsstück entscheiden sollten.
    Solidarität sollte hier die angemessenere Antwort sein.

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    1. Das ist ein kluges Argument. Solidarität. das macht Sinn. Danke.

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  2. Alice Netto schrieb:
    Dass dieses Beschneidungsding immer mit Hygiene erklärt wird, halte ich für ein Unding und könnte genauso wegargumentiert werden wie die „Erschaffung“ des Haars. Ein angeblich existierender Gott hätte das genauso wegrationalisieren können. Ob den Männern dadurch nichts verloren gegangen ist, ist ebenfalls zu bezweifeln. Ein beschnittenes Geschlechtsteil, ob männlich oder weiblich, ist ein Eingriff, ein Übergriff. Für Frauen aber nachweislich noch schlimmer. In jedem Fall jedoch eine Form der Unterwerfung und zugleich eine Exquisitierung der Religionszugehörigkeit. Ich finde es ausgesprochen bedrückend, wenn hier Mädchen schon in sehr jungem Alter ihr Haupt bedecken und noch dazu oft freiwillig. Im Iran kämpfen derzeit viele Frauen darum, nicht hart bestraft zu werden, wenn sie das Stückchen Stoff auf der Straße ablegen.
    Und letztlich finde ich auch, dass Männer in der Ausübung ihrer Religion nicht frei sind, würden sie sonst so handeln?

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  3. https://www.facebook.com/StealthyFreedom/?hc_location=ufi
    Der Link funktioniert leider nur für Facebook-Nutzer.

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  4. https://de.wikipedia.org/wiki/My_Stealthy_Freedom

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  5. Bitte verharmlosen Sie nicht männliche Beschneidung, die eine irreversible Verstümmelung ist und teilweise häßliche Narben bzw. Verfärbungen hinterlässt, unter denen die Betroffenen leiden, die sie aber aus Scham nur im intimen Umfeld ansprechen. Beschneidung bei Männern hat nur einen Zweck: sie ist identitär und soll Zugehörigkeit quasi erzwingen. Man(n) hat keine Wahl.
    Das Kopftuch an sich wäre dann harmlos, wenn es kein Symbol wäre. Im liberalen Islam der 1970er verschwand es, es kam zurück mit den Fundamentalisten. Millionen von Frauen werden gezwungen, es zu tragen, sonst drohen ihnen Schikanen, Gewalt oder Bestrafung. Wenn für Frauen und Männer die selben Verhüllungspflichten gelten würden, wäre viel gewonnen. Aktuell ist die weibliche Verhüllung einerseits ein Symbol männlicher Dominanz und identitärer Abgrenzung, andererseits ein Symbol weiblicher Entsolidarisierung (wenn es aus freier Wahl getragen wird) und Unterdrückung. In dem Zusammenhang gilt nach Karl Marx: der Mensch macht die Religion, die Religion macht nicht den Menschen. Ich kann ein Kopftuch nur dann tolerieren, wenn die Person, die es trägt tiefreligiös (quasi wie eine "Nonne") ist. Die Mehrheit der Kopftuchträgerinnen -soweit ich bisher mit ihnen deutsch sprechen konnte- ist das nicht. Vielmehr habe ich bisher bei ihnen nationalistische, politisch anti-westliche und identitäre Motive gefunden.

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  6. Jörg Jan schrieb:
    Das sind auch immer die schwierigsten Themen. Es ist eine totale Gratwanderung wenn es um die verstärkten religiösen Einflüsse geht die eine Zuwanderung anderer Kulturkreise mitsichbringen. Eine klare Grenze zu ziehen bei der Gewährung der religiösen Traditionen ist ein ganz heikles Thema welches auch schnell mit unseren moralischen und demokratischen Grundsätzen in Konflikt kommt. Ich bin der Meinung dass gewisse religiöse Traditionen hier einfach nichts zu suchen haben weil sie mit unseren Grundsätzen nicht vereinbar sind.( Beschneidung....Kinderehe.....Nichtgleichstellung der Frau usw.) Das sollte eindeutig gesetzlich geregelt und wenn nötig bestraft werden .

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  7. Oliver Jaksch schrieb
    1. Die Übereinkunft und das Postulat des GG über die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses stehen nicht für sich allein sondern im Kontext und der Voraussetzung, daß erstere nicht im Widerspruch mit anderen Normen ausgeübt werden sollen/dürfen.
    Dies schließt insbesondere die Unverletzbarkeit der menschlichen Würde sowie die körperliche mit ein, woraus eine Hierarchie der Normen resultiert: die Freiheit der Religionsausübung findet dort ihre Grenzen, wo sie ihrerseits übergeordnete Prinzipien - wie die der Gleichbehandlung und das Verbot der Diskriminierung aufgrund zB des Geschlechts - verletzen würde.
    Führt also das Tragen (vermeintlich) religiöser Symbole de facto zu sozialer Diskriminierung, ist dieses Symbol berechtigt zu hinterfragen.
    Zudem wird die Entscheidung, religiöse Symbole tragen oder körperliche Verstümmelungen hinnehmen zu müssen, in diesem Zshg nicht vom Individuum selbst sondern idR vom sozialen Umfeld (Eltern etc.) getroffen - und somit das sozio-kulturelle Bedürfnis der Altvorderen statt des Individuums befriedigt.
    (Ein „Ranking“ von zumutbaren Graden körperlicher Verstümmelung - männliche Beschneidung sei vll noch okay - finde ich absurd! Zumal wohl kaum jmd den persönlichen Vergleich hat...)

    2. Das Verbot an Diener eines säkularen(!) Staates, Zeichen persönlicher (religiöser) Überzeugungen im Dienst zu tragen, ist Ausdruck der Einhaltung jener übergeordneter Prinzipien seitens des Staates (mit Ausnahme von Bayern) und schützt auch diese Staatsdiener vor Angreifbarkeit hinsichtlich ihrer privaten Überzeugungen.

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