Montag, 16. Oktober 2017

Ich auch! - Me too!

Im Netz schlägt, in Reaktion auf den heftig propagierten Harvey Weinstein Skandal, eine Aufforderung an Frauen, sich zu eigenem Erleben von sexuellem Mißbrauch, oder besser Machtmißbrauch zum Zwecke sexueller egoistischer Interessen, hohe Wellen. 
Keiner hat etwas gewußt. Alle wußten es, aber niemand hat sich getraut, etwas zu sagen.
Niemand? 

Und jetzt diese hohe Welle. Me, too! Oder, verdeutscht, Ich, auch! Auch mir ist Schreckliches geschehen.

Ich könnte problemlos einstimmen in diesen vielstimmigen weibichen Chor. 
Mistkerle haben keine Skrupel und Angst ist ein mächtiges Mittel zur Erreichung selbstsüchtiger Ziele.
 
ABER.

Aber mich irritiert Zweierlei. 
Erstens werden hier, so scheint es mir, sehr verschiedene Dinge in einen brodelnden politischen Topf geworfen - wirklicher Mißbrauch, aber auch Ungeschicklichkeit, wie z.B. ungelenke Komplimente oder veraltete Umgangsformen & in der Reaktion, Gefühle, die in der eigenen jugendlichen Unsicherheit wurzeln & oder im nachträglich defensiven Blick auf die eigene Geschichte.
Ja, anteilig sind zu viele Männer in mächtigen Positionen und Frauen werden immer noch, bei gleicher Arbeit, schlechter bezahlt. Das ist ungeheuerlich ungerecht.
Aber, zweitens, warum eilen wir Frauen jetzt übereifrig zur Stelle und erklären uns zu Opfern der Männerwelt? Ist es wirklich die hilflose Opferposition, aus der wir kämpfen wollen?

Harvey Weinstein ist, höchstwahrscheinlich, ein mieses Schwein. Aber nicht jeder Mann, der meine Schönheit bemerkte, als ich schön war, wollte mir Böses. Und ich, als Frau, habe manchesmal meine frauliche Wirkung benutzt, Asche auf mein Haupt, um zu erreichen, was ich wollte. 
Nein. Nicht jeder Moment in dem ich mich in meinem Frausein unwohl fühlte war das Ergebnis männlicher Manipulation. Manche ja. Aber nicht jeder. 

 
Skandal bezeichnet ein Aufsehen erregendes Ärgernis und die damit zusammenhängenden Ereignisse oder Verhaltensweisen. Das Wort ist im Deutschen seit dem Ende des 16. Jahrhunderts belegt. Es wurde aus dem gleichbedeutenden französischen scandale entlehnt, das auf das kirchenlateinische scandalum zurückgeht, dieses wiederum auf das griechische skandalon „Fallstrick, Anstoß, Ärgernis“. (Wiki)

Irritation ist der Zustand, dass jemand verwirrt und erregt ist und/oder sich ärgert. (ebenfalls Wiki)

Das Wort Opfer tritt ungefähr seit den 2000er Jahren im deutschen Sprachraum auch als Schimpfwort auf. Abweichend vom traditionellen Sprachgebrauch drückt es eine abwertende und verächtliche Haltung jemandem gegenüber aus. Inzwischen wird es unter Umständen auch abgeschwächt im Sinne von „uncool“, „langweilig“, „dumm“ verwandt, seltener als ironisch-freundliche Anrede. (und wieder Wiki)

4 Kommentare:

  1. Ich glaube nicht, dass es bei "Me too!" um Opferhaltung geht. Es geht um das aufzeigen einer systemischen Ignoranz.
    Ich gebe ein Beispiel wie ich das meine. Als ich Teenager war, war Homosexualität immer noch ein heikles Thema. Hella von Sinnen schuf Schlagzeilen wenn sie mit ihrer Freundin irgendwo erschien, Susanne Evers und Maren Kroymann belegten mehrere Seiten im "Stern", schlicht, weil sie sich liebten und zusammen waren.
    Outing war gewagt - und selten.
    Weil dem so war, waren homosexuelle Paare in der Gesellschaft nicht sichtbar. Die Gesellschaft musste sich also auch nicht damit auseinandersetzen... wieso auch, war ja kaum jemand da, eine totale Randerscheinung.
    Warum sollte eine Gesellschaft sich wegen so ein paar exotischen Hanseln ändern? Sich hinterfragen? Eine Ehe für alle... come on... betrifft doch fast niemanden.
    Aber dann wurden es mehr, die es gewagt haben sich zu outen. Und je mehr es wurden... desto mehr fanden den Schritt leichter und zeigten sich auch. Und die Menschen, die Gesellschaft merkte... das ist nicht nur mein schräger Frisör, nein, das ist mein Nachbar, der Politiker, die Talkshowmoderatorin, die Barkeeperin, die Frau nebenan, die verheiratet war und jetzt ihre Freundin küsst und mit ihr den Sohn zur Schule bringt.
    Irgendjemand hat mal gesagt: wenn alle Homosexuellen und Bisexuellen eines Morgens mit einem blauen Daumen aufwachen würden... dann wäre unsere Gesellschaft ziemlich überrascht.
    Und darum geht es. Es geht um Sichtbarkeit. Auseinandersetzung finden dann statt, wenn etwas nicht als Seltenheit, als Randerscheinung abgetan werden kann. Wenn eine Gesellschaft begreift, dass etwas zu groß, zu allgegenwärtig ist um es weiter zu ignorieren und aus Bequemlichkeit zu übersehen.
    Eine Gesellschaft gibt Muster ungern und sehr langsam auf. Muster geben Sicherheit... Masse kann diese Sicherheit erschüttern, Fragen aufwerfen, Prozesse in Gang setzen und Auseinandersetzung anstoßen. Masse folgt Masse und bricht, was sonst Schweigen geblieben wäre... und unsichtbar.
    Ich hab' heute bei meiner täglichen amerikanischen Mediendiät einen Kommentator etwas kluges sagen hören. Wenn sich die Balance in einem System ändert... ändert sich das System. Weil eine unbestimmbare aber wirkungsvolle Grenze überschritten wurde.
    Auf Hollywood bezogen sagte er - wenn 15% aller Produzenten Frauen sind... ändert sich nichts. 20% - immer noch nichts. 25% - es werden mehr. Heute sind rund 30% aller Producer weiblich... kam mir viel vor, aber er sagte es. Und das ändert allmählich etwas.
    Das kannst Du auf eine Firma anwenden und den Frauenanteil oder Homosexuelle in der Gesellschaft oder Migrantenkinder in der Bundeswehr... es ist egal.
    Ab einem bestimmten Prozentanteil ändert dieser Anteil etwas. Aber er muss in dem System sichtbar sein um wirken zu können.
    "Me too!" ist eine Frage dieser Masse und Sichtbarkeit.
    Das wird keine Wunderheilung der fauligen Seite des Systems Hollywood bewirken, aber der Schritt zur Sichtbarkeit wird leichter. Er wird wahrscheinlicher. Systeme ändern sich langsam, aber wenn die Balance, das Klima, die Atmosphäre sich ändern, dann tun sie es eher.
    Denn dadurch wird die Notwendigkeit zwingender und weniger ignorierbar.

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  2. Danke für Deinen Kommentar, deine Argumentation leuchtet mir sehr ein. Danke.

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  3. Vor Island gibt es eine Insel, die man nicht betreten darf. Nur Wissenschaftler dürfen das und sie brauchen dafür eine Genehmigung. Denn die Insel Surtsey wurde erst 1963 als nacktes Vulkaneiland "geboren" und bietet die einmalige Gelegenheit nachzuvollziehen, wie die Pflanzen und Tiere Neuland besiedeln.
    Moose und Flechten waren die "Eisbrecher". Zur Zeit gibt es über 600 verschiedene Pflanzenarten auf Surtsey - und sie alle bauen auf der Widerstandfähigkeit, der Überlebensfähigkeit dieser Eisbrecher auf.
    Gesellschaftlicher Wandel ist wie diese Insel. Es gibt Eisbrecher, Menschen die mutiger sind, willensstärker, gerechtigkeitsliebender, widerstandsfähiger... und sie stoßen etwas an. Vielleicht braucht es sogar viele Anstöße, immer wieder - bevor etwas in Gang kommt. Aber diese Menschen bereiten eine Bewegung vor, sie scheitern, andere tun das gleiche, scheitern, die nächsten von ihnen tun es... und irgendwann bewegt sich etwas.
    Und diese Bewegung mag quälend und ungerecht langsam sein, unlogisch langsam, widerlich langsam sogar... aber irgendwann schreitet sie vorwärts.
    "Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist." (Victor Hugo)
    Ideen vernichten ihre Kinder auch... aber irgendwann ist ihre Zeit gekommen und dann sind sie unaufhaltsam.

    Jedes Jahr zu Halloween gibt es ein NASA-Hashtag bei Twitter... für Raumfahrt- und Astronomie-Kostümfotos von Kindern. Ich schaue immer 'rein und es berührt mich jedes Mal... lauter future astronauts, Jungen und Mädchen, ziemlich gut ausbalanciert im Verhältnis.
    Ich schaue das an und es berührt mich, weil ich weiß, wer die Mercury13 waren.
    13 Frauen, die Anfang der 60iger Jahre in einem privat finanzierten Projekt von William Randolph Lovelace II den gleichen Belastungstests unterzogen wurden wie ihre männlichen Kollegen bei der NASA. Ihre Ergebnisse waren gleich gut, manche besser.
    Es war egal. Frauen hätten in der Raumfahrt eben keinen Platz, das sei in der sozialen Ordnung so festgelegt.
    Aber sie machten den Weg einfacher für Frauen wie Sally Ride, die als erste Amerikanerin in den Weltraum flog... und lebenslang ihre Partnerin verbergen musste... denn fliegen war inzwischen okay, aber Frauen lieben... so weit war's noch nicht. Schritte. Langsame.
    Und dann schaue ich durch diese Halloween Fotos und denke "You go, girl!".
    Der Erfolg von vielen basiert oft auf dem scheitern anderer, die ihrer Zeit voraus waren und nie erreichen durften, was sie wollten... aber sie sind Eisbrecher. Sie bewegen etwas durch das, was sie tun und ich mache Kniefälle vor ihrem Mut, ihrer Widerstandskraft und ihrem Willen.
    Gesellschaft ändern ist eine Aufgabe für Generationen, aber jede hat es einfacher, wenn die davor etwas mehr gewagt hat als die vor ihr.
    Und ja, es ist wütend machend langsam ...aber irgendwann versteht vielleicht auch die letzte Frau, der letzte Mann, dass man keinen Präsidenten wählt der Frauen ungefragt in den Schritt greift. Irgendwann kippt die Balance und die Opportunisten, die diesen Machtmissbrauch decken und ermöglichen, finden es zu gefährlich das weiter zu tun.
    Schritte im Mikrozentimeterbereich sind auch Schritte, jeder davon.
    Und nicht alle werden bewirken, was sie erreichen wollen, aber irgendwann ist genug Weg zurückgelegt. Und dann hat eine Idee ihre Zeit.

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  4. 600 verschiedene Pflanzen- UND Tierarten... bleiben wir faktisch korrekt... alternative Fakten können andere liefern... :)

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