Donnerstag, 10. August 2017

RILKE - ZWEI GEDICHTE ÜBER APOLLO

RILKE 
ZWEI GEDICHTE ÜBER APOLLO
In: Der Neuen Gedichte anderer Teil

Und darum nehme ich mir vor, besser zu schauen, anzuschauen, mit mehr Geduld, mit mehr Versenkung. R.M.R. an Lou Andreas-Salomé


Oft habe ich in Museen das Bedürfnis ausgestellte Werke anzufassen, sie unter meinen Fingerspitzen zu spüren. Verboten. Ich bleibe auf das Sehen beschränkt. Ein Sinn muß mir den anderen ersetzen.
Ein einbeiniger Torso ohne Kopf und ein Kopf mit leeren Augenhöhlen, beide im Louvre zu finden. 1908, Rilke, Anfang 30, nach seiner Assistenz bei Rodin, will das Sehen neu erlernen. Zu Schauen, anzuschauen, zu erkennen. 
ERKENNEN


ARCHAISCHER TORSO APOLLOS

Wir kannten nicht sein unerhörtes Haupt,
Darin die Augenäpfel reiften. Aber
Sein Torso glüht noch wie ein Kandelaber,
In dem sein Schauen, nur zurückgeschraubt,


Sich hält und glänzt. Sonst könnte nicht der Bug
Der Brust dich blenden, und im leisen Drehen
Der Lenden könnte nicht ein Lächeln gehen
Zu jener Mitte, die die Zeugung trug.


Sonst stünde dieser Stein entstellt und kurz
Unter der Schultern durchsichtigem Sturz
Und flimmerte nicht so wie Raubtierfelle;


Und bräche nicht aus allen seinen Rändern
Aus wie ein Stern: denn da ist keine Stelle,
Die dich nicht sieht. Du mußt dein Leben ändern.

Habe ich schon gesagt? Ich lerne sehen. Ja, ich fange an. Es geht noch schlecht. Aber ich will meine Zeit ausnutzen. R.M.R. Malte Laurids Brigge


FRÜHER APOLLO

Wie manches Mal durch das noch unbelaubte
Gezweig ein Morgen durchsieht, der schon ganz
Im Frühling ist: so ist in seinem Haupte
Nichts, was verhindern könnte, daß der Glanz


Aller Gedichte uns fast tödlich träfe;
Denn noch kein Schatten ist in seinem Schaun,
Zu kühl für Lorbeer sind noch seine Schläfe,
Und später erst wird aus den Augenbraun


Hochstämmig sich der Rosengarten heben,
Aus welchem Blätter, einzeln, ausgelöst
Hintreiben werden auf des Mundes Beben,


Der jetzt noch still ist, niegebraucht und blinkend
Und nur mit seinem Lächeln etwas trinkend,
Als würde ihm sein Singen eingeflößt.

1 Kommentar:

  1. Mit 18 stand ich im Van Gogh Museum in Amsterdam. Was Fotos nicht wiedergeben... seine Bilder sind fast dreidimensionale Werke. Manche Pinselstriche haben so viel Ölfarbe aufgetragen, dass deren Erhebung kleine Schatten wirft. Ölfarbe bildet faszinierende Oberflächen, wenn sie trocknet. Je nach Konsistenz und Menge kann sie kantig, sogar kratzig trocknen. Sie kann aber auch weiche, wie geschmolzene Strukturen ergeben, rund und manchmal glänzend.
    Als Kind habe ich gerne die Malpalette meines Großvaters betastet. Er machte sie nicht besonders gründlich sauber und so war sie voller Landschaft aus Ölfarbe. Manches davon ganz glatt, wohlig und weich.
    Und da stand ich nun vor den Bildern eines meiner Lieblingsmaler und stellte fest, dass er bei manchen Bildern die Farbe regelrecht auf die Leinwand gespachtelt haben musste. Dort war sie beim trocknen abgerundet oder hatte Linien und Kurven gebildet. Manches so augenscheinlich glatt, dass die Ölfarbe noch immer glänzte.
    Ich konnte mir die Bilder fast auf meine Fingerspitzen denken - so deutlich schrien sie danach erfühlt zu werden.
    Und man darf es einfach nicht. Ich nenne sowas Spannungsschmerz. Man will so gerne, so verdammt gerne, verräumt seine Hände in den Hosentaschen, wo sie sich ballen - das ist echter Stress.
    Ich verstehe, dass man vieles nicht anfassen darf. Wir schwitzen, wir hinterlassen Partikel und wenn Millionen draufpatschen ist das Objekt zerstört.
    Aber ich verstehe Dich so gut. Manchmal wird etwas für mich erst wirklich, wenn ich es "begreife". Ich liebe Museen, in denen ich dem hemmungslos fröhnen darf. Das Universum in Bremen, viel Technik in Speyer, das Swiss Science Center, das Deutsche Museum in München... Kopffutter mit den Händen verzehrt.
    Mit Kunst geht das in der Regel nicht so gut wie mit einem Spacelab und ich verstehe ja warum. Aber es ist so schade.

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