Freitag, 25. August 2017

Ein merkwürdiger Vorgang in Bremen

Wir probieren von zehn bis vierzehn Uhr. Wie gewöhnlich. Eine mittlere Probe, hilfreich, nichtgroßartig, aber hilfreich. 
Am Nachmittag verziehe ich mich mit meiner persönlichen Matratze in irgendeinen freien Raum und schlafe. Gott oder meine DNA oder was auch immer hat mir die Gabe des Schlafes an jedem beliebigen Ort, zu jeder Zeit, unter welcher Beschallung auch immer geschenkt. Auch im Stehen, wenn nötig. Eine Stunde Tiefschlaf - meine Wunderwaffe vor der Abendprobe. 
Als ich wach werde, höre ich auf dem Theater-, sic Schulhof Gebrüll, keinen Streit, nur überlautes Gespräch. Mehrere nüchterne Männer bieten einem überhaupt nicht nüchternen Mann Hilfe an, er verweigert sich. Die nüchternen Männer gehen. Der Trunkene bleibt zurück.
In der nun folgenden Stunde darf ich Slapstick in seiner reinsten und traurigsten Form erleben. 
Der Mann und zwei Basecaps, ein Rucksack, zwei große vietnamesische Plastiktüten, in einer befindet sich ein Computer, und ein Fahrrad wollen, müssen irgendwo hin. Der Geist ist willig, aber die Dinge eigen. Sie verschwören sich, entwickeln eigene Interessen. Zwischen dem Mann, seinen Mützen, seinem Rucksack, seinen Tüten und seinem Fahrrad beginnt ein hochkonzentrierter, erbarmungsloser Kampf um die Vorherrschaft. 
Es beginnt harmlos. Der Mann sucht etwas in seinem Rucksack, vermutlich, dem vorhergehenden Geschrei zufolge, Zigarettenpapiere. Sie liegen, natürlich, ganz unten. Beim Wiedereinpacken erweist sich der Rucksack als kleiner als noch Minuten zuvor, der Reißverschluß läßt sich nicht mehr schließen, kein Problem, der offene Rucksack wird umgeschnallt, die Zigarette gedreht, das Feuerzeug - ist nicht zu finden, kein Problem, er wird später rauchen, die Zigarette verschwindet in der Jackentasche, eine Mütze zuviel? Die zweite wird auf die sich schon auf seinem Kopf befindliche gestülpt. Ein neuer Trend? Jetzt müssen die zwei Plastetüten auf dem Fahrrad gesichert werden. Ratzfatz. Los! 
Tüte zwei fällt, er beugt sich zu ihr herunter, der Inhalt des Rucksacks fällt über seinen Kopf, er stolpert über das Fahrrad, Tüte eins fällt nun auch, die Zweitkappe ebenfalls, er folgt seinem Besitz, liegt flach. Eine Stunde lang widerholen sich in Variationen diese Vorgänge, punktiert durch tragödische "WARUM?"- Ausrufe und längere Gespräche mit seinem sich ihm widersetzenden Fahrrad.
Der Mann war blond und schmal, vieleicht dreissig, vielleicht viel älter. Ich weiß nichts über ihn. Er tat mir leid und ich konnte doch nicht aufhören, ihm bei seinem verzweifelten Kampf gegen seine unvermeidliche Niederlage zuzuschauen. 

Sicherer Untergang und Immerwährende Hoffnung.
Schadenfreude und Mitgefühl. 
Das Ausgangsmaterial jeder guten Komödie.

1 Kommentar:

  1. "Sicherer Untergang und Immerwährende Hoffnung.
    Schadenfreude und Mitgefühl.
    Das Ausgangsmaterial jeder guten Komödie."
    .... und das Zutiefste jeden Lebens...
    großartig

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