Sonntag, 13. August 2017

Das Buch der Bücher - Eine Radikalisierung

Ich habe viel Zeit dafür gebraucht, aber jetzt kann ich es mit Gewißheit sagen: ich bin Atheist. Ohne Gott. Ich bin sicher, es gibt keinen Gott. Und wenn es einen geben sollte, lehne ich ihn ab und will ihn nicht einmal kennenlernen. 
Stephen Fry hat es auf den Punkt gebracht: "Warum soll ich einen launischen, boshaften, dummen Gott respektieren, der eine Welt voll von Ungerechtigkeit und Schmerz erschaffen hat?"... Wenn er, Fry, vor der Himmelspforte stehe. Dieser darauf: "Ich würde sagen: Knochenkrebs bei Kindern? Was soll das? Wie kannst du es wagen?"

Seit mehr als einem halben Jahr stammen mindestens die Hälfte der Sätze, die ich lese, aus der Bibel, genauer dem Alten Testament, oder, wie es meine Leute nennen, dem Tanach. Das hat mich verändert.

Die Geschichten in diesem Buch sind lebendig, gewalttätig, leidenschaftlich, unfassbar, brutal, herzerschütternd, atemberaubend, wahr. Als Gelenke dazwischen seitenlange Genealogien, von denen ich erst jetzt begreife, dass sie unsere Verwurzelung ineinander besingen. Von den ersten Menschen irgendwo in Afrika oder anderswo bis zu mir und dir und ihm und ihr.

The DNA Journey

Und Adam zeugte Söhne und Töchter. Und alle Tage Adams, die er lebte, betrugen 930 Jahre, dann starb er. Und Set zeugte Enosch. Und Set lebte 912 Jahre, und er zeugte Söhne und Töchter, dann starb er. Und Enosch zeugte Kenan und er lebte 905 Jahre und zeugte Söhne und Töchter, dann starb er. Und Kenan zeugte Mahalalel. Und Mahalalel zeugte Jered, Jered Henoch, Henoch Metuschelach, Metuschelach Lamech. Und Lamech zeugte einen Sohn. Und er gab ihm den Namen Noah, indem er sagte: Dieser wird uns trösten über unserer Arbeit und über der Mühsal unserer Hände von dem Erdboden, den der Herr verflucht hat. Und Noah war 500 Jahre alt; und Noah zeugte Sem, Ham und Jafet. Sem, Ham und Jafet.
So weit, so gut.

 Königin Máxima der Niederlande betrachtet ein Gemälde von Rembrandt in der Alten Pinakothek in München.

Die Sprache ist je nach Übersetzung ideologisiert, poetisch oder ungelenk, von kleinauf symbiotisch eingeimpft oder irritierend fremd. Buber & Rosenzweig von grandioser Wortgewalt, aber zumindest für mich, teilweise, nahezu unverständlich. Die Einheitsübersetzung ist klar, aber auch simplifizierend und gewollt modern. Konkurrenzkampf der Übersetzungen?
Wir schlingern in unserer Arbeit zwischen der Elberfelder und der Schlachterbibel hin und her. Die Züricher taucht hier und da auf. Alles christliche Varianten. Leider. Aber über alle Beschäftigung legt sich Ideologie, Urteil, Abgrenzung, Rechtfertigung, Definitionsmachtansprüche (Neues Wort!) und Hass gegen Andersdenkende. 
Väter sind bereit, ihre Söhne zu opfern, Mütter gebären um die Wette in haßerfülltem Konkurrenzkampf, Vergewaltigungen, Eroberungen, Ungerechtigkeit und Machtgier. Gott offeriert Sonderverträge, wütet maßlos, giert nach Liebesbeweisen, hält sich raus, mischt sich ein, bevorzugt, verurteilt, meist ohne jedwede nachvollziehbare Regeln.

Zum Beispiel: Gott schenkt den Nachkommen Abrahams das Land Kanaan, nur wohnen dort leider schon andere Leute. Egal.
5. Mose 6, 10 -11Dann wird er (G'tt) dir geben, große, schöne Städte, die du nicht gebaut hast, und Häuser alles Guten voll, die du nicht gefüllt hast, und gemeißelte Brunnen, die du nicht gehauen hast, und Weinberge und Ölbäume, die du nicht gepflanzt hast; und du wirst essen und satt werden.
5. Mose 20, 10-18: Aus den Städten dieser Völker jedoch, die der Herr, dein Gott, dir als Erbbesitz gibt, darfst du nichts, was Atem hat, am Leben lassen. Vielmehr sollst du die Hetiter und Amoriter, Kanaaniter und Perisiter, Hiwiter und Jebusiter der Vernichtung weihen, so wie es der Herr, dein Gott, dir zur Pflicht gemacht hat, damit sie euch nicht lehren, alle Gräuel nachzuahmen, die sie begingen, wenn sie ihren Göttern dienten, und ihr nicht gegen den Herrn, euren Gott, sündigt.  
Das Buch ist wahrhaftig, die Auslegungen, welcher Religion auch immer, unerträglich. 
Ja, so sind wir. Aber warum sollte ich dafür Gott dankbar sein, ihn lieben?

3 Kommentare:

  1. Die Bibel wurde von Menschen geschrieben. Sie ist das Schnipselwerk vieler menschlicher Autoren. Die Bibel ist ein subjektives Geschichtsbuch, durchtränkt von fanatischen Ansichten und Absichten. Sie ist nicht die Chronik des göttlichen, sie ist menschliches Schriftwerk, das uns mehr enthüllt als dass es irgendetwas gottgemäßes spiegelt.
    Ich weiß nicht, ob es einen Gott gibt, ein göttliches Wesen, mehrere und welche Gestalt Wesen haben müssten, die ein Universum kreieren und lenken können - aber eines kann man als wahrscheinlich annehmen - der Entwicklungsstand dieser Wesen dürfte zu uns so verschieden sein wie unserer zur Amöbe.
    Und wenn Amöben, in ihrer ganzen Unwissenheit und Begreifensunfähigkeit, über hunderte von Jahren Geschichten über ihre Sicht auf mich niederschreiben würden... wie treffend wären die wohl? Und wäre ich für ihren Geistesunfug verantwortlich? Der unter ihnen zu Fanatikern und gesellschaftlichem Schaden bis hin zu Kriegen führt?
    Nein... wäre ich nicht. Ich würd's nicht einmal mitkriegen. Und wenn doch... würden mich Amöben kümmern wäre ich sauer... aber wahrscheinlich kümmern sie mich gar nicht.
    Die Bibel hat nichts mit Gott zu tun, so fern er, sie, es existiert. Sie ist Menschenmach - und machtwerk.
    Er, sie, es kann man nicht für unseren hauseigenen Schwachsinn verantwortlich machen.

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  2. Sicher hast Du recht. Aber wir sind nicht die Schöpfer der Amöben, da ist das behauptete Verhältnis doch ein grundsätzlich anderes, oder?

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  3. Natürlich! Aber als Metapher müsste das Wirkprinzip anwendbarsein. Begrenzt entwickelte Winzlingswesen versuchen ein imens höher entwickeltes Wesen nach ihrem Deutungshorizont zu erfassen, zu beschreiben und wagen es seinen Willen zu interpretieren.
    Daran muss per se so ziemlich alles schiefgehen.

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