Samstag, 8. April 2017

Charles III. an der bremer shakespeare company

Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen - abgesehen von all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind.
Churchill, Rede vor dem Unterhaus am 11. November 1947, Sitzungsprotokoll

Was geschieht, wenn unsere demokratiefreie Vergangenheit, die gar nicht weit zurückliegt und noch heute Realtität in vielen Teilen unserer Welt ist, auf unsere verunsicherte mitteleuropäische Gegenwart trifft - es kommt es zu erschreckenden Verwerfungen. 
Demokratie ist anstrengend, verlangt Informiertheit, Interesse und ein Mindestmaß von Intelligenz und, UND ich muß aushalten, dass meine Überzeugungen mit vielen anderen koexistieren müssen.
Monarchie, Diktatur, da wo einer entscheidet und ich muß, will ihm vertrauen, kann dann wie eine Erleichterung erscheinen, Verantwortung wird mir abgenommen, ich kann mich jemandem anvertrauen, mich ihm faul und verantwortungslos überlassen. 
Das beschäftigt mich gerade sehr, weil ich an mir selbst unwillig, garstige, wütende , nur noch reagierende Züge bemerke. Es grämt mich.
Teile meiner Mitbevölkerung, irgendwann einmal aus der Türkei stammend, ich stamme ja auch irgendwann aus Vorderasien, laufen herum und bejubeln einen Diktator in spe, der die Türkei, in der sie selbst nie gelebt haben,  in eine Autokratie umwandeln möchte. Er weiß, was gut ist für sein Land und seine Bürger. Und sie jubeln. Warum? Warum? Sie wollen nicht zurück in das Land ihrer Eltern, Großeltern, nach Anatolien, aber aus der Ferne wünschen sie sich dort ein nur äußerlich modernisiertes Mittelalter und verachten gleichzeitig die ungelenke, fehlerhafte Neuzeit in der sie doch leben. Ja, wir haben es nicht geschafft, die Bedingungen für eine gute Integration zu schaffen, Aber, ja, auch sie haben sie nicht gewollt. Ich lerne die Sprache meines neuen Landes nicht, ich mißtraue ihren Gebräuchen, ich nehme, was mir geboten wird und nehme übel, was mir verwehrt wird. Auf der anderen Seite, der der sogenannten Schon-Immer-Deutschen ist es allerdings auch nicht besser.

Es gibt ein englisches Sprichwort, das besagt, das man seinen Kuchen nicht gleichzeitig behalten und essen kann. Das trifft es. Beide Seiten müssen Kompromisse eingehen. 

CHARLES III.

Queen Elisabeth stirbt, ihr Sohn Charles folgt ihr auf dem Thron.
Dies die Ausgangssituation des Stückes von Mike Bartlett, das 2014 in London Premiere hatte. Die Figuren sind mit wenigen Ausnahmen und auf eigenartige Weise bekannte Bewohner der Regenbogenpresse, die Worte aber in Blankversen. Die Rainer Iversen großartig, mit Melodie und Witz und wachem Ohr für modernen Slang, ins Deutsche hinübergetragen hat.

Die Realität: 1948 wurde Charles geboren, seit 1952 ist seine Mutter Königin von England,
Elisabeth die Zweite, von Gottes Gnaden Königin des Vereinigten Königreiches Großbritannien und Nordirland und ihrer anderen Königreiche und Territorien, als da wären:
Antigua und Barbuda, Australien, die Bahamas, Barbados, Belize, Grenada, Jamaika, Kanada, Neuseeland, Papua-Neuguinea, St. Kitts und Nevis, St. Lucia, St. Vincent und die Grenadinen, die Salomonen und Tuvalu; Oberhaupt des Commonwealth, Verteidigerin des Glaubens. 
Charles ist also seit 65 Jahren Kronprinz, länger als ich lebe, und ich bin schon ziemlich alt. 

 
Das Stück: Warten, warten, warten. Die Königin ist tot, es lebe der König. Jetzt.

His Royal Highness The Prince Charles Philip Arthur George, Prince of Wales, Duke of Cornwall, Duke of Rothesay, Earl of Carrick, Earl of Chester, Baron of Renfrew, Lord of the Isles, Prince and Great Steward of Scotland, Royal Knight Companion of the Most Noble Order of the Garter, Extra Knight of the Most Ancient and Most Noble Order of the Thistle, Grand Master and Principal Knight Grand Cross of the Most Honourable Order of the Bath, Member of the Order of Merit, Knight of the Order of Australia, Companion of the Queen's Service Order, Member of Her Majesty's Most Honourable Privy Council, Aide-de-Camp to Her Majesty, noch nicht gekrönt, aber schon mit königlichen Aufgaben betraut, hat ein Problem. Ein Gesetz zum Schutz der Privatsphäre vor dem Zugriff der Presse ist vom Parlament verabschiedet worden und muß nun, ein rein formaler Akt, vom König unterzeichnet werden. Aber Charles kann nicht unterschreiben. Die Freiheit der Presse ist ihm ein so hohes Gut, dass er trotz schrecklicher eigener Erfahrungen, Diana, oder besser drei gespenstische Dianas erscheinen im Hintergrund, sich einfach nicht dazu bringen kann. Eine Lappalie, die sich zur Staatskrise auswächst, und zur privaten Sinnkrise des so sehr spät in das Amt gelangten Prinzen, auf das er sein ganzes Leben hin ausgebildet, ausgerichtet worden ist. Nicht mehr Erwartung, sondern Entscheidung.

Shakespearsche Konstellationen treffen auf demokratische Bürokratie und die Macht der Medien. Ein Zusammenstoß.



Das Bühnenbild ist gbestens geeignet für eine präzise, sezierende Versuchsanordnung, die Spieler, ungübt in Boulevardtheatercharme, aber zuhause bei Shakespeare, verweigern leichfertige Imitationen, spielen Theater. Das Publikum, gekommen, um die Bildzeitung oder Gala auf der Bühne zu sehen, bemerkt, erstaunt und erfreut, dass hier mehr verhandelt wird.
Ein paar Striche hätten gut getan, aber ich bin ungeduldig.
Der Applaus war heftig. Das Haus voll. So wie es sein soll.

Auch sehr zu empfehlen: THE QUEEN ein Film (2006) von Stephen Frears mit Helen Mirren in der Titelrolle.

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