Freitag, 27. Januar 2017

Haschen nach Wind

 
 Mosaik Pompeii 1. Jahrhundert

Kohelet oder Ekklesiastes oder Prediger Salomo oder ein Teil der Ketuvim, mein liebstes Buch im Alten Testament. Als ich es zum ersten Mal gelesen habe, war ich auf der Suche nach einem schönen Text für den Heiligabend, ein Fest, das in meiner jüdisch-kommunistischen Familie intensiv gefeiert wurde, und mein Vater, protestantischer Herkunft zwar, doch entschlossener Atheist, meinte man müsse doch wissen, was man da feiere und las uns die weihnachtsbezüglichen Stellen mit belehrenden Kommentaren und trockenem Witz nach jeder Bescherung vor. 
Mit etwa 16 ging diese Pflicht auf mich über und ich wollte diese Tradition, natürlich, umschmeißen, revolutionieren. Also neue Texte mußten her.
So kam ich zum Buch Kohelet und einem sehr heftigen Lachanfall. 

Folgende Vision: auf der Suche nach Trost, Erbauung oder Hoffnung schlägt man das Heilige Buch auf und liest Folgendes:  

Denk an deinen Schöpfer in deinen frühen Jahren, ehe die Tage der Krankheit kommen und die Jahre dich erreichen, von denen du sagen wirst: Ich mag sie nicht!, ehe Sonne und Licht und Mond und Sterne erlöschen und auch nach dem Regen wieder Wolken aufziehen: am Tag, da die Wächter des Hauses zittern, die starken Männer sich krümmen, die Müllerinnen ihre Arbeit einstellen, weil sie zu wenige sind, es dunkel wird bei den Frauen, die aus den Fenstern blicken, und das Tor zur Straße verschlossen wird; wenn das Geräusch der Mühle verstummt, steht man auf beim Zwitschern der Vögel, doch die Töne des Lieds verklingen; selbst vor der Anhöhe fürchtet man sich und vor den Schrecken am Weg; der Mandelbaum blüht, die Heuschrecke schleppt sich dahin, die Frucht der Kaper platzt, doch ein Mensch geht zu seinem ewigen Haus und die Klagenden ziehen durch die Straßen - ja, ehe die silberne Schnur zerreißt, die goldene Schale bricht, der Krug an der Quelle zerschmettert wird, das Rad zerbrochen in die Grube fällt, der Staub auf die Erde zurückfällt als das, was er war, und der Atem zu Gott zurückkehrt, der ihn gegeben hat. 

Windhauch, Windhauch, sagte Kohelet, das ist alles Windhauch.
oder im Talmud heißt es:
Hauch und nichtig, sprach Kohelet, das alles ist Hauch.

Wunderschön. Wunderschön, aber nicht wirklich aufmunternd. Ich liebe es. 

Ein lebender Hund ist besser als ein toter Löwe.

3 Kommentare:

  1. Ohne das Thema überstrapazieren zu wollen, aber klingt ein wenig wie Trumps Beschreibung von Amerika in seiner Antrittsrede.
    Das eben mag ich so wenig an Religion und Politik. Sie versuchen menschliches Verhalten so oft mit Schreckensbeschreibungen anzusteuern.
    Ich bin da ja eher ein Fan von Inspiration. :)

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  2. Ich lese das etwas anders, eher wie "Carpe diem", nutze die Zeit, die auf Erden Dir gegeben ist, genieße sie, denn irgendwann wird es dafür zu spät sein. Weniger apokalyptisch.

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  3. Ja, ich verstehe die Ermahnung ebenfalls so... und finde sie sinnvoll.
    Allein die Methode!
    Im Buddhismus klingt das so:
    "Wenn du wissen willst, wer du warst, dann schau, wer du bist. Wenn du wissen willst, wer du sein wirst, dann schau, was du tust."

    Gleicher Inhalt... locker übersetzt: "Mach' dir rechtzeitig 'nen Kopp oder wundere Dich nicht."

    Aber... mir gefällt die Neutralität. Niemand ängstigt mich. Man sagt nur "Wundere dich nicht, du bist die Konsequenz deines handelns.".
    Im Buddhismus geht es nicht darum zu drohen, zu ängstigen. Im Gegenteil, Angst ist eine sehr störende Emotion auf dem Weg zur Erleuchtung.
    Im Buddhismus sagt Dir auch keiner morgen bist du alt, dem Verfall übergeben und das wird grauenvoll. Es macht keinen Sinn so etwas zu überdenken, denn "Wir sind, was wir denken. Alles, was wir sind, entsteht aus unseren Gedanken. Mit unseren Gedanken formen wir die Welt.".
    Man kann das gleiche also... ähm... sanfter ausdrücken... und irgendwie das gleiche meinen.
    Weißt Du, Astrid Lindgren hat etwas gesagt, was ich sehr liebe.
    "Man kann in Kinder nichts hineinprügeln, aber vieles herausstreicheln."
    Das muss man keineswegs auf Kinder beschränken. Und bei allem, was mich auf Ideen bringen oder überzeugen will bevorzuge ich diese Herangehensweise.

    Oder knapp formuliert: Ich bin für's Christentum einfach zu sensibel.

    :)

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