Sonntag, 13. November 2016

Jean Jacques Lemêtre und 3000 Instrumente


© A. Lacombe

Er ist der selbstbewußte Sohn einer Zigeunerin und eines neufundländischen Seemanns, immer unterwegs zu Land und Meer, und doch seit nunmehr über 30 Jahren seßhaft als Hausmusiker des Théâtre du Soleil. 
Ein schöner Mann mit wunderbarem weißen Haar, voll und hüftlang, dass er meistens ganz oben auf seinem Kopf in einem Dutt zusammenfaßt. 
Er macht Musik seit immer und auf allem. 
In Nebenräumen der Cartoucherie, dem Haus der Truppe von Arianne Mnouchkine, lagern, leicht eingestaubt und doch sorgsam aufbewahrt, seine Instrumente. Er fand und findet sie auf Reisen nach Bali und Ecuador und Indien und Japan und China und Sibirien, und wenn es ein Land gibt, in dem er noch nicht wahr, um zu hören und zu lauschen und zu lernen, dann wird er es demnächst besuchen. 
In Muscheln hat er Röhren gebohrt und nun dröhnen sie wie die Hörner großer Schiffe, kleine Rutenbündel erzeugen, wenn gedreht das Geräusch von knisterndem Feuer, Schlaginstrumente in Froschform reagieren auf leichte Schläge mit Quaken. Große Trommeln, kleine, kleinere und mittelgroße, Gongs, Becken, unterschiedlichste Glockenspiele, Mundharfen, Hörner, Flöten aller Art, Tuten, Trompeten, Hörner, längliche, runde, fette und winzige Zupfinstrumente mit 2 oder 5 oder 6 Saiten aus Seide oder Haar oder Glasfaser, Streichinstrumente mit Resonanzkörpern aus Kürbissen, winzige Kinderinstrumente und Dinge, die obwohl für andere Zwecke erdacht, einfach interessante Töne hergeben, und seine selbstgebauten Instrumente aus Knochen und Hörnern und dicken hölzernen Klangkörpern, bespannt mit dreierlei verschiedenen Saitenkombinationen für indische, arabische und chinesische Klänge.
Er spielt sie alle.  Er spielt mit ihnen.
Seine Finger sind nicht sonderlich elegant, die Nägel sauber, weiß, stark und länger als üblich. Er nimmt sie aus selbstgebauten Regalen und Pappschachteln und Holzkästen und sie erwachen. Aus diesen unzähligen eigenartigen Gegenständen ertönt Musik. 
Einen Großteil der Vorstellung an dem Abend habe ich ihm beim Begleiten zugeschaut. 
Er atmet mit den Spielern, den guten und den schwachen, manchmal ist er fast unhörbar und doch gibt er dem Abend, den ich nicht sehr mochte, den Zusammenhalt. Wäre er nicht gewesen, wäre das Ganze in unzählige einsame Splitter auseinandergefallen. 
Er raucht, er ißt gern und hat einen herrlich fiesen Sinn für Humor.
Niemand hat seine Sammlung archiviert. Er ist die Gesamtheit seiner Sammlung. Er hat keinen Nachfolger. Was könnte da eines Tages verloren gehen.
 
 “Jean Jacques erfindet oder vielmehr „findet“ die Musik in dem Moment, in dem sie erklingt. Er atmet mit den Schauspielern. Er folgt dem ständig wechselnden Pulsschlag jeder Figur. Er überträgt die Schwingungen der Gefühle in den Raum – er macht die Spuren sichtbar, die jeder Akteur um sich zieht und mit sich trägt wie die Linien eines magnetischen Feldes. Es scheint, als flössen Impulse von der Bühne direkt in seine Hände und werden weiter geleitet auf das Leder, Holz oder Metall der Instrumente. Von diesen wiederum steigen Bilder und Rhythmen auf, die weder realistisch noch abstrakt sind, sondern den Raum erschaffen, in dem die Erzählung sich vollenden kann.“
Mitglied der Truppe von A. Mnouchkine
Mein blaues Klavier

Ich habe zu Hause ein blaues Klavier
Und kenne doch keine Note.
Es steht im Dunkel der Kellertür,
Seitdem die Welt verrohte.

Es spielten Sternenhände vier –
Die Mondfrau sang im Boote.
– Nun tanzen die Ratten im Geklirr.
Zerbrochen ist die Klaviatur.
Ich beweine die blaue Tote.

Ach liebe Engel öffnet mir
– Ich aß vom bitteren Brote –
Mir lebend schon die Himmelstür,
Auch wider dem Verbote.

Else Lasker-Schüler

© A. Lacombe

Volksweise

Mich rührt so sehr
böhmischen Volkes Weise,
schleicht sie ins Herz sich leise,
macht sie es schwer.

Wenn ein Kind sacht
singt beim Kartoffeljäten,
klingt dir sein Lied im späten
Traum noch der Nacht.

Magst du auch sein
weit über Land gefahren,
fällt es dir doch nach Jahren
stets wieder ein.


Rainer Maria Rilke

1 Kommentar:

  1. Ja, Jean-Jacques Lemetre verdient diese Hommage - diese graue (nun weisse), diskrete Emminenz des Théâtre du Soleil, fast unverzichtbarer Bestandteil von Mnouchkines Auffführungen.

    Er ist Jahrgang 1952, also bleibt ihm statistisch gesehen noch einige Zeit, sein Lebenswerk weiterzugeben.

    Und das ist vielleicht schon im Gange, denn bei "Macbeth" wurde seine Musik von einer jungen aisatischen Dame interpretiert:
    "La musique du spectacle est l’œuvre de Jean-Jacques Lemêtre
    Elle est interprétée par Ya-Hui Liang."

    Und für die Instrumentensammlung wird er hoffentlich Sorge tragen. Es gibt in Paris ein sehr schönes "Musée de la Musique"...

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