Freitag, 2. September 2016

Penthesilea 1 - Bisse/Küsse - Tod durch Worte


So sagt es Wiki: Chaos ist ein Zustand vollständiger Unordnung oder Verwirrung und damit der Gegenbegriff zu Kosmos, dem griechischen Begriff für die Ordnung oder das Universum.

Penthesilea, das Ende:

Ungeheuerlich, eine Frau spricht sich zum Tod. Sie schaltet sich ab. Tötet sich durch Worte. Kein Pfeil, kein Messer, kein Gewehr, der letzte, ultimate Akt gehört allein der Sprache. Ebenderselben, die das Stück über so sehr versagt hat, wenn Liebende sich zu verständigen suchten.

Im Winter 1989, das Akademietheater in Wien, "Othello" inszeniert von George Tabori, Gert Voss als Othello, Ignaz Kirchner als Jago. Ich, stehend im Rang, in der ersten Reihe Österreicher mit Kontroll-Reclam-Stückausgaben. Am Ende tötet sich Othello durch ein leichtes waagerechtes Streichen der rechten Hand über seinen Hals. "Ich sterbe jetzt, weil ich nicht mehr leben will." Eines meiner größten Theatereindrücke. Nur gab es dieses Ende gar nicht. Es existiert, nach intensiver Erkundigungsarbeit, nur in meinem Kopf. WTF? Ist das mein erträumter Tod, der in freier Selbstentscheidung? Warum erinnere ich einen Vorgang, den es nicht gegeben hat?

Du willst – ?
                        Du denkst –

                                                 Was? Allerdings!

                                                                                   O Himmel!

Personage: Der tote Achill, Penthesilea wahrscheinlich mit blutigem Mund, die Oberpriesterin & Prothoe und Meroe, zwei Amazonen.

Die Oberpriesterinn.
Weh'! Wehe! ruf' ich dir. Verberge dich!
Laß fürder ew'ge Mitternacht dich decken!

Penthesilea.
– So war es ein Versehen. Küsse, Bisse,
Das reimt sich, und wer recht von Herzen liebt,
Kann schon das Eine für das Andre greifen.

Meroe.
Helf't ihr, ihr Ew'gen, dort!

Prothoe.   
                                          Hinweg!

Penthesilea. 
                                                          Laßt, laßt!
Du Aermster aller Menschen, du vergiebst mir!
Ich habe mich, bei Diana, bloß versprochen,
Weil ich der raschen Lippe Herr nicht bin;
Doch jetzt sag' ich dir deutlich, wie ichs meinte:
Dies, du Geliebter, war's, und weiter nichts.

Die Oberpriesterinn.
Schafft sie hinweg!

Meroe. 
                            Was soll sie länger hier?

Penthesilea.
Wie Manche, die am Hals des Freundes hängt,
Sagt wohl das Wort: sie lieb' ihn, o so sehr,
Daß sie vor Liebe gleich ihn essen könnte;
Und hinterher, das Wort beprüft, die Närrinn!
Gesättigt sein zum Ekel ist sie schon.
Nun, du Geliebter, so verfuhr ich nicht.
Sieh her: als ich an deinem Halse hing,
Hab' ich's wahrhaftig Wort für Wort gethan;
Ich war nicht so verrückt, als es wohl schien.

Meroe.
Die Ungeheuerste! Was sprach sie da?

Die Oberpriesterinn.
Ergreift sie! Bringt sie fort!

Prothoe. 
                                             Komm, meine Königinn!

Penthesilea. 
Gut, gut. Hier bin ich schon.

Die Oberpriesterinn. 
                                               So folgst du uns?

Penthesilea.
Euch nicht! – –
Geht ihr nach Themiscyra, und seid glücklich,
Wenn ihr es könnt –
Vor allen meine Prothoe –
Ihr Alle –
Und – – – im Vertraun ein Wort, das niemand höre,
Der Tanaïs Asche, streut sie in die Luft!

Prothoe.
Und du, mein theures Schwesterherz?

Penthesilea. 
Ich?

Prothoe.
            Du!

Penthesilea.
                      – Ich will dir sagen, Prothoe,
Ich sage vom Gesetz der Fraun mich los,
Und folge diesem Jüngling hier.

Prothoe.
Wie, meine Königinn?

Die Oberpriesterinn.
                                    Unglückliche!

Prothoe.
Du willst – ?

Die Oberpriesterinn.
                      Du denkst –

Penthesilea. 
                                  Was? Allerdings!

Meroe. 
                                                               O Himmel!

Prothoe.
So laß mich dir ein Wort, mein Schwesterherz –

Penthesilea.
Nun denn, und was? – – Was suchst du mir am Gurt?
– Ja, so. Wart' gleich! Verstand ich dich doch nicht.
– – Hier ist der Dolch. Willst du die Pfeile auch?
Hier schütt' ich ihren ganzen Köcher aus!
Zwar reitzend wär's von Einer Seite –
Denn dieser hier – nicht? Oder war es dieser – ?
Ja, der! Ganz recht – Gleichviel! Da! Nimm sie hin!
Nimm alle die Geschosse zu dir hin!

Prothoe. 
                                                                   Gieb her.

Penthesilea.
Denn jetzt steig' ich in meinen Busen nieder,
Gleich einem Schacht, und grabe, kalt wie Erz,
Mir ein vernichtendes Gefühl hervor.
Dies Erz, dies läutr' ich in der Glut des Jammers
Hart mir zu Stahl; tränk' es mit Gift sodann,
Heißätzendem, der Reue, durch und durch;
Trag' es der Hoffnung ew'gem Amboß zu,
Und schärf' und spitz es mir zu einem Dolch;
Und diesem Dolch jetzt reich' ich meine Brust:
So! So! So! So! Und wieder! – Nun ist's gut.

Der gesprochene Rest ist Politik & Ideologie.


Prothoe. 
Sie stirbt!

Meroe. 
              Sie folgt ihm, in der That!

Prothoe. 
                                                            Wohl ihr!
Denn hier war ihres fernern Bleibens nicht.

Die Oberpriesterinn.
Ach! Wie gebrechlich ist der Mensch, ihr Götter!
Wie stolz, die hier geknickt liegt, noch vor Kurzem,
Hoch auf des Lebens Gipfeln, rauschte sie!

Prothoe.
Sie sank, weil sie zu stolz und kräftig blühte!
Die abgestorbne Eiche steht im Sturm,
Doch die gesunde stürzt er schmetternd nieder,
Weil er in ihre Krone greifen kann.
Wenn ich dich nicht liebe, so ist das Chaos wieder da.
William Shakespeare Othello 

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