Donnerstag, 15. September 2016

Der erste Kuss - Jugendweihe

1972

WIKI GIBT DIE DEFINITIONEN:

Die Jugendweihe ist eine festliche Initiation, die den Übergang vom Jugend- ins Erwachsenenalter kennzeichnen soll. Sie findet meist im Alter von 14 Jahren statt. 

Initiation bezeichnet die Einführung eines Anwärters in eine Gemeinschaft, seinen Aufstieg in einen anderen persönlichen Seinszustand, vom Kind zum Erwachsenen. Die sozialgeschichtlich wichtigste Initiation ist die Pubertäts- und Stammesinitiation der Stammesgesellschaft. Sie entstammt also der archaischen Vergangenheit.


Dass die Jugendweihe zum staatssozialistischen Fest avancierte, war in Moskau beschlossen worden. Im Mai 1953 fasste das Politbüro der KPdSU einen Beschluss über „Maßnahmen zur Gesundung der politischen Lage in der DDR", der auch eine sozialistische Alternative zur Konfirmation vorsah. Mit gewaltigem Druck wurde die formal aufgebaute Jugendweihe durch ihre zeitliche Nähe zu Ostern und Pfingsten und ihrer pseudosakralen Inhalte zu einem vordergründigen Gegenentwurf zur evangelischen Konfirmation und der katholischen Firmung etabliert ... Sie sollte eine Konkurrenz zur Konfirmation sein und war ein Instrument zur Erziehung der Jugend im Sinne marxistisch-leninistischer Weltanschauung der SED-Ideologie.


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DIES SIND MEINE ERINNERUNGEN:

Jugendweihe in der DDR - eine hochstilisierte, völlig sinnentleerte Feier. Zur geistigen Vorbereitung für die zu gestaltende sozialistische Persönlichkeit absolvierten wir, 14-jährig, unzählige pädagogische Jugendstunden. 
Eine, ein Pflichtbesuch im KZ Sachsenhausen, bleibt schockierende Erinnerung bis zum heutigen Tag. Graue Baracken, Namenlosigkeit, Haare, Haut, Nutzbarmachung, unmenschliches Nippes, Öfen, Koffer, Tod.

Am Tag der Feier selbst trug mein Vater das obligate feierliche Gedicht vor.

Zweites kophtisches Gedicht


Geh! Gehorche meinen Winken, 
Nutze deine jungen Tage, 
Lerne zeitig klüger sein! 
Auf des Glückes großer Waage 
Steht die Zunge selten ein. 
Du mußt steigen oder sinken, 
Du mußt herrschen und gewinnen 
Oder dienen und verlieren, 
Leiden oder triumphieren, 
Amboß oder Hammer sein.

Johann Wolfgang von Goethe, allerdings unterschrieben mit GÖTHE
(Kophta, ein sich in geheimnisvolles Dunkel hüllender, wundertätiger Weiser aus Ägypten. So beschreibt es Wiki.)
 


Zwischenbemerkung: der Vater übt das Gedicht, die kleine Schwester wandert durchs Wohnzimmer und sie beantwortet die implizierte Frage von "Amboss oder Hammer" mit dem entschiedenen Satz: "Ich werde Krankenschwester." - Sie ist es nicht geworden.

Der Tag des Festes: ich, verkleidet in zeitgemäßes Supermini, weißes Leinen mit Bauernstickerei. Ein noch nicht Ganz-Frauen-Wesen, dünn und ungelenk, die nicht sehr hohen Absätze meiner Schuhe machten meinen Gang staksig, im Gegensatz zum üblichen Schlurfen.

Den öffentlichen Teil absolvierten wir im Kino "International", beginnend mit öder Rede und gefolgt von dem schon erwähnten Gedichtsvortrag. Dann legten wir ein Gelöbnis ab, unser Leben dem Schutz und der Stärkung des Sozialismus zu widmen und abschließend wurde uns das überaus gräßliche Buches "Weltall, Erde, Mensch" übergeben - die ganze große, irre Welt bis zur Unkenntlichkeit eingepresst gemäß der Vorgaben unseres sozialistischen deutschen Staates.
Nichts von alldem begriff ich zu jener Zeit.

Danach Familienfeier im Künstlerclub "Die Möwe". Alte, uralte Leute, noch älter, als ich es jetzt bin, schenken mit Barchentunterwäsche und Emailleschmuck, die offizielle Geliebte meines Vaters erscheint in durchsichtigem Kleid und kleinstem Slip, was zu bedrohlicher Atemnot bei den uralten männlichen Verwandten führt. Ich bekomme einen Kassettenrecorder! Glück in Form eines rechteckigen Kastens aus Plaste. (Plaste und Elaste sind aus Zschkopau, aber der Recorder war aus dem Westen.) Es feiert so vor sich hin. 
 
Das Ziel all meiner pubertären Träume, ein 11 Jahre älterer Mann ist freundlcherweise gekommen und bringt mich nächtens nach Hause. 

Er lehrt mich meinen ersten Kuss. 

Es regnet. Es ist schön. Seine Zunge verwirrt mich. 

Es regnet noch immer. 

Meine Zähne fest zusammen gepresst, nein, doch nicht. 

Jetzt ist es noch schöner.

1 Kommentar:

  1. Ach ja, "Plaste und Elaste aus Schkopau", ein Markstein auf jeder unserer Transitfahrten!

    Ein Foto hier:
    http://www.pixelpict.com/images/lores/Laender/Deutschland/DDR/Plaste_Elaste_2009_11_15_001.jpg

    Und ein hübsches Video von Manniac, dass diese Transitfahrten gut vermittelt:
    https://www.youtube.com/watch?v=4cUZKWpwSVI

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