Sonntag, 21. August 2016

Theater hat auch eine Strichfassung

Zweimal in meinem Leben habe ich Theater gesehen, das länger dauerte als üblich und war glücklich.
Peter Brooks "Mahabarata", acht Stunden in einem Straßenbahndepot in Franfurt/Main nach einem schlaflosen Tag, dargeboten in Französisch, einer Sprache, derer ich nicht mächtig bin, und es war trotzdem zu kurz. Bis zum heutigen Tag sind die Bilder dieses Abends, dieser Nacht in meinem Gedächtnis klar und deutlich, prägend. Abgeschossene Pfeile, die von Mitspielern ins Ziel getragen werden, rote längliche Tuchstreifen als Blutströme. Zelebrierte Gewalt. Heute macht das jeder, oder schon nicht mehr, damals war es erschütternd neu. 
Jan Fabres "Mount Olympos", noch immer begreife ich nur ungenau, was mit mir dort geschehen ist. Es war anders, wahrhaftig, auwühlend. Eine Erschütterung gänzlich unabhängig von Dauer und Ort.



Diese beiden Abende habe ich wirklich gesehen, manch andere genossen, einige ertragen, viele andere durchlitten. Lange, zu lange Abende, obwohl manche nur 'ne Stunde dauerten. "Als ich nach fünf Stunden auf die Uhr schaute, war es fünf nach sieben." schrieb einmal ein Kritiker. Zeit im Theater ist ein verwirrendes Phänomen, sie schrumpft oder sie dehnt sich, gänzlich unabhängig von der realen Zeit. Kurz ist lang. Lang zu kurz.
 
Ältere Stücke sind meist wortreich. Vier oder sechs Stunden Spielzeit sind nicht ungewöhnlich. Zu lang, für mich und meine kurzfristig konzentrierten Mitmenschen.
Das ist das eine. Das andere ist die nötige Qual der Wahl. Was interessiert mich heute, jetzt? Großartige Dramen erzählen viele Geschichten und wenn ich streiche, eleminiere ich manche, vielleicht sogar die wichtigsten. Ich tue dem Werk Gewalt an. Ich unterwerfe es mir. Ungeheuerlich und unverschämt, doch unvermeidlich.
Seit Tagen grüble ich über der "Penthesilea". Kein schöner Stück in dieser Zeit....
Fast 25 000 Wörter, Worte, Phantasmen, Wunder. Vor einigen Jahren habe ich mich schon einmal an diesem Stück versucht, mit einer ganz jungen Schauspielergruppe, ein geliebter und gänzlich erfolgloser Abend. Bei der dritten Vorstellung sagte ich, weil nur acht Zuschauer uns zuschauen wollten, die Vorstellung ab. Eine Stunde später war ich so betrunken, wie nie seitdem.
Diesmal: Sechs Spieler, jeweils drei Männer und Frauen erzählen die Geschichte, Held und Heldin, Ideologe bzw. Ideologin und zwei gänzlich verschiedene Fußsoldaten. Minimalismus zur Verdichtung.
Der wahnwitzige Parteitag der Republikaner, jeder Monolog eine one-man-show & das Photo, das Barack Obama, Hillary Clinton und andre zum Zeitpunkt der Tötung Osama bin Ladens im "Situations Raum" des Weissen Hauses zeigt. Die archaische und gleichzeitig durchdigitalisierte Kriegsführung der ISIS-Kämpfer. Der Die Welt und ihre Kriege sind unüberschaubarer und unverständlicher geworden. Wer haßt wen warum?





© Pete Souza

Was bleibt. Gestern und heute und morgen: Die Liebe ist eine Katastrophe, sie erschüttert den als absolut notwendig erachteten Lauf der Dinge.

Vom giftigsten der Pfeile Amors sei,
Heißt es, ihr jugendliches Herz getroffen.
Von Amors Pfeil getroffen – wann? Und wo?
Die Führerinn des Diameantengürtels?
Die Tochter Mars, der selbst der Busen fehlt,
Das Ziel der giftgefiederten Geschosse?
O sie geht steil bergab den Pfad zum Orkus!
Und nicht dem Gegner, wenn sie auf ihn trifft,
Dem Feind' in ihrem Busen wird sie sinken.
Uns alle reißt sie in den Abgrund hin.

Die Liebe. Ultimative Gefährdung. Sie anerkennt keine Ordnung. Make war, not love.
Das ist kein Stück über Frauen geschrieben aus überlegen wissender Männersicht, sondern ein genderfreies Sehnsuchtsspiel um einen ersehnten, unlebbaren Traum. Dass es möglich wäre unsere ursprüngliche lebendige Natur in Einklang mit der Welt, der Ordnung in der wir leben, mit dem Staat. Einen Gleichklang zu finden, ein lebbares Maß. Nicht mehr fremd zu sein in uns und in der Welt.

1 Kommentar:

  1. Das Fatale an heutiger Unterhaltung ,auch Kunst,ist die Leichtigkeit mit der sie daherkommt um zu gefallen .Die Menschen selbst sind oft überladen mit der Flut von zum Teil negativen,pessimistischen Ereignissen und suchen dann eher den kurzweiligen Spaß.Da hat es die zum denken auffordernde Kunst schwer....

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