Donnerstag, 4. August 2016

KROATIEN 3 - Ödön heißt Edmund

"Ich wurde in Fiume geboren, bin in Belgrad, Budapest, Preßburg, Wien und München aufgewachsen und habe einen ungarischen Pass - aber ,Heimat'? Kenn ich nicht. Ich bin eine typisch altösterreichisch-ungarische Mischung: magyarisch, kroatisch, deutsch, tschechisch - mein Name ist magyarisch, meine Muttersprache ist deutsch. Ich spreche weitaus am besten Deutsch, schreibe nunmehr nur Deutsch, gehöre also dem deutschen Kulturkreis an, dem deutschen Volke. Allerdings: der Begriff ,Vaterland', nationalistisch gefälscht, ist mir fremd (...) Ich habe keine Heimat und leide natürlich nicht darunter, sondern freue mich meiner Heimatlosigkeit, denn sie befreit mich von einer unnötigen Sentimentalität."

Edmund (ungarisch „Ödön“) Josef von Horváth wurde am 9. Dezember 1901 als erster Sohn des österreichisch-ungarischen Diplomaten Ödön Josef von Horváth (1874–1950) und der Maria Lulu Hermine, geb. Prehnal (1882–1959), in Fiume (damals Königreich Ungarn; heute Rijeka, Kroatien) geboren. Der Vater stammte aus Slavonien, damals ein Teil Ungarns, und gehörte dem Kleinadel an, die Mutter kam aus einer ungarisch-deutschen k.u.k. Militärarztfamilie.

Schon dieser kurze biographische Absatz spiegelt die Wirrnis, der ich begegne, wenn ich versuche, mir eine grobe Übersicht über die Geschichte des Balkan zu verschaffen. Schon bei der Defintion des geographisch-geoplitischen Begriffes "Balkan" geht es los. Griechenland und die Türkei gehören dazu? Zumindestens teilweise? Rumänien? Gibt es Herzogowinenser? (Nein, das Herzogsland und das Land um den Fluß Bosna wird von Bosniaken, Serben und Kroaten und noch anderen bewohnt.) Aber es gibt Montenegriner. Kosovo-Albaner und Albaner sind gleich und ganz anders. Die einen wurden von Serbien mißhandelt, die anderen von Enver Hoxha.

Die Kosovo-Albaner schätzten Albanien, in dem sie ihre Mutter erblickten, von der sie gewaltsam getrennt waren – die Albaner begannen es zu hassen, da es, umgeben mit Stacheldraht, eher einem Konzentrationslager ähnelte;
Die Kosovaren verfügten über die Möglichkeit, ins Ausland zu reisen, und das verhalf ihnen dazu, den Traum vom versprochenen Boden auszuträumen – die Albaner, isoliert, drängten, die Welt kennen zu lernen;
Die Kosovaren sahen in Enver Hoxha das Symbol Albaniens. Viele von ihnen wurden daraufhin zu Marxisten-Leninisten – die Albaner hassten ihn, denn er war das Symbol des Schlechten;
Die Kosovaren, der Serben überdrüssig, brannten vor Sehnsucht nach den Albanern – die Albaner sagten, dass sie das Schlimmste erfuhren, als sie allein und sonders in den Händen von Albanern blieben;
Die Kosovaren vergingen vor Sehnsucht, wenn sie Volkslieder hörten – den Albanern gingen diese auf die Nerven, weil sie keine andere Musik im albanischen Rundfunk und Fernsehen hörten …“ 
Fatos Lubonja: Koha Jonë, 4. Juni 1995
Jedes Stück Land auf dieser Halbinsel gehörte mal dem, mal jenem. Bündnisse wurden geschlossen und gebrochen. Athen und Rom, die Republik Venedig, das Osmanische Reich, die kaiserliche und königliche Monarchie von Österreich und Ungarn, das Königreich Bulgarien, das Zarenreich Bulgarien, die faschistischen Achsenmächte, sie alle und noch viele mehr, haben okkupiert, verschachert, getauscht, besiegt und bekriegt. Serben, Slowenen, Kroaten, Albaner, Makedonier, Bosnier, kleine und größere Völker wurden zerteilt, gegeneinander aufgehetzt, zerrieben, benutzt und haben sich untereinander vereint und verraten und zerfetzt. Muslime und Christen, Kleinfürsten, Clanchefs, Könige, Kaiser, Patrioten, Revolutionäre, Visionäre, Kriegsprofiteure und Diplomaten jeglicher Couleur hatten ihre Stunde und haben sie genutzt oder verpaßt. (Bulgarien und Makedonien haben sich jahrelang auf höchster staatlicher Ebene darüber gestritten, ob Mazedonisch eine eigene Sprache ist oder nur eine Variante des Bulgarischen und auch darüber wie sich das Miniland international nennen darf - ehemalige jugoslawische Republik Makedonien oder Makedonien! Und weit und breit kein Alexander, der den Knoten durchschlagen konnte.) Was für ein tragisches Kuddelmuddel. Und es ist doch so sehr schön hier!

Das Attentat von Sarajevo - am 28. Juni 1914 wurde der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajevo von einem bosnischen Serben namens Gavrilo Princip erschossen - antiserbisches Propagandaplakat vor dem Ersten Weltkrieg

Wenn jemand Interesse an besserem Verständnis hat, empfehle ich das Buch "Schlafwandler" von Christopher Clark.
Das Buch stellt ausgehend von der Situation auf dem Balkan die Konflikte und Bündniskonstellationen dar, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts die europäische Politik bestimmten..
Clark hebt die außerordentliche Komplexität der Krise hervor, die u.a. durch die vielschichtigen und teilweise intransparenten Entscheidungsprozesse der involvierten Mächte zurückzuführen ist. Clark lehnt es ab, einen Schuldigen zu benennen: „In dieser Geschichte gibt es keine Tatwaffe als unwiderlegbaren Beweis, oder genauer: Es gibt sie in der Hand jedes einzelnen wichtigen Akteurs. So gesehen war der Kriegsausbruch eine Tragödie, kein Verbrechen.“
Insofern ist der Beginn des Krieges vielmehr die Folge in einer Kette von Entscheidungen verschiedener Akteure, die keinesfalls unausweichlich waren. Gleichzeitig warnt der Autor, dass ähnliche Eskalationen auch in heutigen Krisen denkbar sind.  

Der Titel des Buches, „Die Schlafwandler“, entspricht dieser Interpretation: Gemeint sind Akteure, die mit nachtwandlerischer Sicherheit lange auf einem Seil über einem Abgrund balancieren, bis die Balance jäh zusammenbricht.

Akteure, die mit nachtwandlerischer Sicherheit lange auf einem Seil über einem Abgrund balancieren, bis die Balance jäh zusammenbricht.
An wen erinnert mich das? An hier? An dort? An uns? Heute? 

Und die Leute werden sagen
In fernen blauen Tagen
Wird es einmal recht
Was falsch ist und was echt.
Was falsch ist, wird verkommen
Obwohl es heute regiert,
Was echt ist, das soll kommen,
Obwohl es heute krepiert.

Ödön von Horvath
  
Kleiner kurzer Schreck am Rande: im Fernsehen eine Wiederholung der Nachrichten vom 3. August 1991, der Kroatienkrieg wütet. Im August 1991 kontrollierten serbische Freischärler vor allem aufgrund der waffentechnischen Überlegenheit durch die Hilfe der JNA (Jugoslawische Volksarmee) etwa ein Drittel des kroatischen Staatsgebietes. Einen Moment lang dachte ich, das wären Nachrichten von heute!
 

1 Kommentar:

  1. Deine Blogs sind persönlich und informativ , ich mag sie gerne lesen ! Grüße von Krista *

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