Dienstag, 5. April 2016

Theater hat auch mühselige, mühselige Ebenen und wo ist das Gebirge?

Die Mühen der Gebirge liegen hinter uns,  
Vor uns liegen die Mühen der Ebenen.
b.b.

Ein Stück wird angeboten, gelesen, nochmals gelesen, angenommen, ein Vertrag wird verhandelt, hin und her diskutiert, von dort und von hier spielerisch oder verlogen erpresst, endlich abgeschlossen.

Wirre Gedanken werden gedacht, wirrere Ideen phantasiert, ein Bühnenbild wird entwickelt, Kostüme entworfen, Pläne werden geschmiedet, verworfen und neue gemacht. Glückselige Zeit.

Und eines Tages kommt die Realität, genannt die Probenplanung des mittelgroßen deutschen Stadttheaters, schaut einem ernst und streng in die Augen und sagt: "Guten Tag, du spinnst wohl?" 

Sänger haben Mucken, Orchester streng einzuhaltende Dienstpläne, Bühnenproben sind selten und kostbarer als alle Goldschätze des sagenhaften Eldorado, Schminkeinfälle müssen der Zahl der zur Verfügung stehenden Maskenbildner angeglichen werden, desgleichen gilt für Umzüge, Requisiten und anderes ja nur äußerliches Zeug. 
Der Hauptdarsteller spricht im März noch kein Wort Deutsch, doch soll er es im Mai leichtfüßig parlieren, die Soubrette hat ein gutbezahltes Gastspiel und muß in letzter Minute ersetzt werden, der Dramaturg vermeidet über Wochen überhaupt jedwede Kommunikation.

"Ich arme Jungfer zart,
ach, hätt ich genommen den König Drosselbart!"


Das einladende Theater befindet sich in der zweihundertsten existentiellen Krise, alle Entscheider sind krank, überfordert, überarbeitet oder depressiv, die Stadtverwaltung, auf ihre Sparvorlagen fixiert, wie der sprichwörtliche Hase auf die Schlange, sagt prinzipiell immer "Nein." und ist zutiefst bestürzt, dass die dummen Künstler, dieses doch so notwendige "Nein" nicht verstehen können.

Es geht eine dunkle Wolke herein.
Mich deucht, es wird ein Regen sein,
ein Regen aus den Wolken
wohl in das grüne Gras.
Volkslied

 
Und so beginnt man die Arbeit mit einem gigantischen "ABER". Ich will dies, ABER ich bekomme nur das. Dies wäre toll, ABER nur das ist möglich.
Der Spielraum wird immer kleiner und nicht nur weil das Geld knapper wird, sondern mehr noch, weil sich kaum jemand von uns noch erinnern kann, warum wir überhaupt Theater machen. 
Wegen des Spielraumes. Des Raumes, in dem wir spielen dürfen, weil ihr nicht spielen dürft, keine Zeit zum spielen habt, es albern und peinlich findet, zu spielen, aus dem Spielen herausgewachsen seid. Wir sind eure verspielten Stellvertreter, eure Ersatzspieler. Wir spielen für euch, genauso verwirrt, ebenso hilflos, aber ihr gebt uns Zeit über unsere gemeinsame Verwirrung und Hilflosigkeit nachzudenken, sie durchzuspielen. 

"Immer ist es der Mißklang zwischen dem Individuum und seiner Umwelt, den er als Künstler besonders stark empfindet, der ihn antreibt, in seiner Phantasie die Harmonie zu schaffen, die ihm in einer aus den Fugen geratenenen Welt versagt ist. Und da diese Kunstwerke die geistige Arbeit verkörpern, die an ihre Gestaltung gewandt worden ist, befähigen sie die anderen Mitglieder der Gesellschaft durch das Erlebnis, sie zu sehen oder zu hören, welches eine Anstrengung ... darstellt, dieselbe Harmonie zu erringen, nach der auch sie verlangen, ohne jedoch die Fähigkeit zu besitzen, sie für sich selbst zu aufzubauen. ... Der Künstler führt seine Gefährten in eine Welt der Phantasie, in der sie Befreiung finden, und rechtfertigt so die Weigerung des menschlichen Bewußtseins, in seine Umwelt einzuwilligen. Auf diese Weise wird ein Vorrat an Kraft gesammelt, der in die Welt der Wirklichkeit zurückfließt und die Phantasie in die Tat umsetzt." 
George Thomson "Aischylos und Athen" 


Der leere Raum, mit dem alles beginnt.

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