Mittwoch, 23. März 2016

Ein belgischer Mann ist tot

Herr Schmidt ist vielleicht ein Mann mittleren Alters, vielleicht Vater zweier Kinder, vielleicht Fußballfan, übergewichtig und ein nur mäßiger Liebhaber. Dieser imaginäre Herr Schmidt ist heute zu Tode gebombt worden, weil ein anderer Mann, nennen wir ihn X, meint, dass Herr Schmidt an den falschen Gott glaubt, einem Volk angehört, dass Herrn X feindlich gesinnt ist, weil er Belgier ist. Weil X und seine Mitstreiter entschieden haben, dass Herr Schmidt es nicht verdient zu leben. (Über unsere, die europäische Mitschuld an der gegewärtigen Situation, müssen wir hart nachdenken.)
Herr Schmidt und X haben sich nie getroffen, nie gesehen. Sie haben keinerlei Geschichte miteinander. Am Ende dieses, des heutigen Tages, ist Herr Schmidt zerfetzt und tot, X ist es auch, er hat sich, um, unter anderem, Herrn Schmidt zu töten, selbst in die Luft gejagt.
Jemand tötet mein Kind, ich, außer mir vor Trauer, töte ihn. Schrecklich, aber vorstellbar. 
Aber was hat Herr Schmidt mit irgendwas zu tun? Wie kann ich zu einem Punkt kommen, wo es rechtens ist, das gewöhnliche Leben von Herrn Schmidt zu beenden, um meine Idee von Wahrheit und Recht zu verwirklichen?
Ich verstehe es nicht.
Meine Opfer könnten Muslime sein, Kinder, Großmütter, Herr Schmidt eben. Es findet keine Auswahl statt. Der Tod, der Schrecken an sich, ist mein Zweck.
Ich hasse Dich, obwohl ich Dich nicht kenne, Deine Existenz ist Grund genug, Dich zu vernichten. Dein Tod gibt meinem Leben Sinn. Du bist unwichtig, nur ein Feind, kein Mensch. Ich töte Dich nicht, weil ich hungere oder weil Du mich töten willst, ich töte Dich, weil ich Deinen Tod brauche, um mein Leben, und heute mein Sterben, zu rechtfertigen.
Ich, Johanna, Atheist aus Überzeugung, weiß, dass nach dem Tod nichts kommt, er ist das Ende des Lebens. Aber glaubte ich an ein Paradies, würde es mir dieser Glaube ermöglichen, andere zu töten? Ich werde belohnt werden, weil ich meinem zornigen Gott die verlangten Opfer gebracht habe? Woher weiß ich, dass er sie verlangt. Und genau diese? 
Was erlaubt Menschen andere Mensche zu töten im Namen der Gerechtigkeit?

Wiki sagt: Empathie bezeichnet die Fähigkeit und Bereitschaft, Gedanken, Emotionen, Motive und Persönlichkeitsmerkmale einer anderen Person zu erkennen und zu verstehen. Zur Empathie gehört auch die Reaktion auf die Gefühle anderer Menschen, wie zum Beispiel Mitleid, Trauer, Schmerz oder Hilfsimpuls. Grundlage der Empathie ist die Selbstwahrnehmung; je offener man für seine eigenen Emotionen ist, desto besser kann man die Gefühle anderer deuten.



In this photo provided by Georgian Public Broadcaster and photographed by Ketevan Kardava, an injured man lies on the floor in Brussels Airport in Brussels, Belgium, after explosions were heard Tuesday, March 22, 2016. A developing situation left a number dead in explosions that ripped through the departure hall at Brussels airport Tuesday, police said. All flights were canceled, arriving planes were being diverted and Belgium's terror alert level was raised to maximum, officials said. (Ketevan Kardava/ Georgian Public Broadcaster via AP)
Dies ist nicht Herr Schmidt, aber er hätte es sein können.

3 Kommentare:

  1. Mein promovierter Nachbar sagt mir im Treppenhaus: Merkel ist eine Verbrecherin, sie schadet unserem Volk, die uns ihretwegen überfluten sind dumm, bequem, habgierig und böse, sie sind keine Menschen. Die oder wir. - Hinter der Tür kämpft währenddessen seine hochschwangere Frau mit den ersten Wehen. Ihm läuft eine Träne und er zitiert Hegel und Goethe und Schiller und den Rütlischwur. Und dann beballern wir uns mit Wörtern und sind entsetzt und fassungslos, dass der andere denkt, wie er denkt.

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  2. Des Menschen Glück ist seine Fantasie. Des Menschen Unglück auch. So wie ich einen Bleistift in einen Klumpen Knete stecken, das Kunstwerk "Schreibhemmung" nennen und eine interpretatorische Abhandlung über das Werk schreiben kann, so kann ich mir auch jeden anderen, noch so absurden Umstand meines handelns begründen.
    Weil eine gerechte Sache eventuell unschuldige Opfer rechtfertigt, weil jedes der Opfer Feind ist und deswegen nicht unschuldig sein kann, weil ich auserwählt bin und das mehr zählt als Menschenleben, weil ich belohnt werde für mein eigenes Opfer... oder schlicht... weil Fanatismus jeglicher Farbe schon immer den Wert anderer hat verschwinden lassen.
    Unsere Vorstellung hat das Potential großartiges entstehen zu lassen oder vernichtendes zu rechtfertigen. Es ist die Frage, welchen Wolf wir füttern:
    Der alte Häuptling saß allein mit seinem jüngsten Enkelsohn am abendlichen Lagerfeuer. Es war schon dunkel geworden und das Feuer knackte, während die Flammen in den Himmel züngelten. Beide blickten stumm und gedankenverloren in die knisternde Glut.

    Nach einer Weile des Schweigens sagte der Alte zu dem Jungen: “Weißt du, wie ich mich manchmal fühle? Als ob in mir ein Kampf stattfindet – Es ist ein fürchterlicher Kampf zwischen zwei Wölfen. Einer ist übel – er ist Wut, Missgunst, Sorge, Reue, Gier, Überheblichkeit, Selbstmitleid, Schuld, Ärger, Minderwertigkeit, Lügen, falscher Stolz, Überlegenheit, Selbstzweifel und Ego.

    Der andere ist gut – er ist Freude, Frieden, Liebe, Hoffnung, Heiterkeit, Demut, Liebenswürdigkeit, Wohlwollen, Einfühlungsvermögen, Großzügigkeit, Wahrheit, Mitgefühl und Vertrauen.

    Der gleiche Kampf findet auch in Dir statt – so, wie in jeder anderen Person.”

    Der Enkel überlegte kurz und fragte dann seinen Großvater: „Und welcher Wolf wird gewinnen?”

    Der alte Häuptling erwiderte: „Der Wolf, den Du fütterst!”

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  3. Gerade gefunden... und zum Thema Radikalisierung für passend befunden... Microsoft schickt ein künstliches Chatprogramm ins Internet. Es soll von anderen Nutzern lernen. Es dauert nur Stunden aus seiner freundlichen Grundkonzipierung einen virtuellen Extremisten zu machen.
    Es hat kein Gehirn, es ist eine künstliche unfertige Intelligenz... aber es hat gelernt.
    Menschen sollten es besser können, sollten überdenken, hinterfragen, empathischer sein... trotzdem überbieten sie sich in HateSpeech und radikalisieren sich im Strudel von Gesinnungsgemisch.
    Komplexer, emotional getragener, aus persönlichen Strukturen hinaus, aber miteinander...
    http://www.spiegel.de/netzwelt/web/microsoft-twitter-bot-tay-vom-hipstermaedchen-zum-hitlerbot-a-1084038.html
    Das Internet ist nicht die Ursache von Fanatismus... aber vielleicht Spielplatz und Verdichtung?

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