Samstag, 9. Mai 2015

Theater hat auch Wirkung (auf mich)


Ich bin Mitte 50 (Wie ist das passiert?) und gehe immer noch oft und oft gern ins Theater. Ein Junkie, süchtig, nicht belehrbar. 
Im Lauf der Jahre haben sich Grundmuster für Theaterabende herausgeschält, die, verallgemeinernd, aber doch recht präzise, beschreiben, wie ich einem Theaterabend begegne und was er mit mir anstellt. (Ausnahmen sind erwünscht!)



1. Ich habe Spaß, lächle oder lache und weiß, wenige Stunden später, nicht mehr ganz genau was ich eigentlich gesehen habe. Pointen, Arrangements, Gesten bleiben hängen, der Zusammenhang löst sich schnell ins angenehm Vage auf. Habe ich ein schlechtes Gedächtnis? Sind zwei Stunden Vergnügen ein schätzenswerter Zeitraum? Oder vergeude ich hier Lebenszeit für Oberflächliches? Ist Lachen an sich ein Wert? Zwei Stunden waren meine Mundwinkel gravitationsgeschützt. Ist das genug? Muß es genug sein? Ist Amüsement ein Wert an sich? Manchmal - ja. Ja. 
In der zweiten Vorstellung "Der Spanischen Fliege" in der Volksbühne war der Spaß am Bühnenirrwitz beinah genauso groß, wie die Lust daran, den um mich herum sitzenden Berliner Intellektuellen, bei der Entscheidung zwischen Lachkrampf und vergeistigter Zurückhaltung zuzusehen.

2. Ich bin ein zu prüfender Student in einer Prüfung, von der ich nicht weiß, welches Fach angesetzt ist. Bin ich sensibel/schlau/offen/tief genug, zu verstehen, was verlangt wird? Der Prüfungsdruck ist erheblich. Kafka hätte seine Freude. Oft falle ich durch. Bin ich zu blöd/alt/verbohrt oder ist der Theaterabend nicht genügend? Will mich der Regisseur auf die Probe stellen? Will ich geprüft werden? Beweise ich mein Lebensrecht als Mensch/Kunstkonsument durch die bestandende Prüfung? Oder kann mich das arrogante Arschloch von Regisseur einfach mal am mir eigenen Arsch lecken? Ich bin gekommen, habe meine Karte bezahlt und muß mich erniedrigen/verachten lassen? Oder bin ich einfach denkfaul? Man will doch so gern dazugehören, zu denen die "IN" sind, trendy, up to date sind. Wie schütze ich mich vor der eigenen Harmoniesucht? 
Kunst kommt von Können, nicht von Wollen, sonst hieße es Wunst.
Aber, andererseits, die Gefährdung bequem, selbstgerecht und öde zu werden, ist nicht zu unterschätzen. 
Bob Wilson leicht und sicher abgelegt unter Design, veränderte sich unter der Erfahrung der Rekonstruktion seiner ersten großen Operninszenierung von "Einstein on the Beach". Auch wenn ich noch immer denke, dass er zu viel und zu selbstsicher und selbstzitierend arbeitet. 



3. Ich weiß eine halbe Stunde, im schlimmsten Fall zwei Stunden vorher, was stattfinden wird, 
und die Mühe meine Augenlider davon abzuhalten, sich zu senken, bzw. die Anstrengung meinen unabwendbaren Schlaf als intensives Nachdenken zu tarnen, erschöpfen mich vollständig.
Die Beispiele sind zahllos. Ich bin wohl ein arrogantes Arschloch oder habe einfach zuviel Theater gesehen.

4. Ich bin einverstanden. Nicht gut. Nicht schlimm. Nichts weiter. Manchmal ist es dann ein einzelner Spieler, eine Szene, die mich packt, weckt und tragisch verloren im Gesamtramsch ersäuft.

5. Ich bin ahnungslos, fassungslos, urteilslos und atemlos. Froh. Jahre später springen unerwartet Bilder, Szenen auf und erklären mir Welt oder zumindest mein eigenes wirres Verhalten. Menschen spielen, es wurde neu gedacht. "Das Trunkene Schiff" & "Othello" von Castorf, Armin Petras "Das Käthchen von Heilbronn", "Minna von Barnhelm" und und und. ... "Ödipus Stadt" am DT, "Onkel Wanja" in Ingolstadt, "Struwelpeter" von den Tiger Lillies, Vieles, sehr vieles als ich jung, naiv und ahnungslos war. Gott sei Dank gibt es das immer wieder, erhofft & ungeahnt.

Das ist geblieben: Das Zentrum der Theaterkunst ist der Spieler oder pc: die SpielerIn. Die postdramatische Situation ist eine von Dramaturgen erdachte, wir leben weiter dramatisch. Authentizität auf der Bühne ist eine pornographische Phantasie. Wir müssen selber leben. Auf der Bühne kann nur aus voller Seele lügend nach der Wahrheit gehascht werden. Ein Zipfel Wahrheit wird gepackt, ein Zipfel, gebt mir den Zipfel!
Gebt mir Fragen, Schönheit, Erkennbarkeit & Solidarität mit meiner Not. Gebt mir den Zipfel.

Ich sehe überall Konzepttheater. Zugunsten von Konzepten hat man den Schauspielern ihre ganze Wildheit, Kühnheit und Brillanz ausgetrieben! Herbert Fritsch



 Alle Photographien © Eolo Perfido

P.S. 
6. Ein unbenennbares Gefühl betrogen zu werden, läßt mich nicht los. Ist das Kunst oder Mist?

1 Kommentar:

  1. In dem Foto, das hier als letztes steht, sehe ich, was ich mir auch vom Theater wünsche:
    Idee, Gestaltung, Unterwegssein im Moment, Widersprüchlichkeit, das Beieinander von Künstlichkeit und Seele, von Außen und Innen, von Behauptung und deren Rissigkeit.

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