Samstag, 24. Januar 2015

Margit Bendokat - Ein Ereignis

MARJITT


Bei einer meiner ersten Arbeiten am Deutschen Theater, es war "Der Sommernachtstraum" in der Inszenierung von Alex Lang, traf ich auf Margit, die schöne Frau mit dem fast noch schöneren Berliner Dialekt. Ich war blutige Anfängerin, sie wahrlich nicht. Sie stammt, glaube ich aus Bohnsdorf, ich aus Mitte. (Echtes Berlinern macht mir, besonders wenn ich lange weg war, schwache Knie.) 

Sie spielte damals die Helena und ich vereinfache nur wenig, wenn ich ihren Untertext für die gesamte Rolle in einem Wort zusammenfasse: "Scheiße!". Scheiße, was die Liebe mit ihr anstellt, Scheiße, wie sehr sie schmerzt, Scheiße, zu was sie sie hinreißt, treibt, zwingt. So eine zornige und über den eigenen Zorn verzweifelnde Verliebte hatte ich noch nie gesehen. 
Wir teilten eine Garderobe und (wer einmal unsicherer Anfänger an einem großen Theater war, wird verstehen, was ich meine) sie war ein Geschenk. Uneitel, sachlich, konzentriert, trocken auf den Punkt und trotzder regelmäßigen Anwesenheit von Macholdt's Inhalator - einem Helfer der Menschheit - ganz und gar geerdet, es gab ein Leben außerhalb des Theaters! Gut, als ehrgeiziger Neuling daran erinnert zu werden.



Dann kam "Stella" - "Er ist wieder da!", ganz hochdeutsch natürlich, ihr fassungsloser Jubel riß die Zuschauer in hysterisch verschämtes Gelächter, war doch das Gefühl so tief, dass sie eigentlich nicht hätte lachen sollen und kamen doch nicht dagegen an. Die Marion im "Danton", die strenge Konsumverkäuferin im "Lohndrücker" und Frau Peachum und andere, und viele andere Rollen. 

Ihre fabelhafte Fähigkeit ganz sauber einen halben Ton daneben zu singen, die immense Konzentration bevor sie punktgenau zu früh ein Triangel anschlägt - hinreißend. Wenn Margit versucht, einen Witz zu erzählen, ist das ein Vorgang von epischer Dimension. Komisch, da sie gar nicht versucht, komisch zu sein.

In Gotscheffs "Die Perser" - Margit, allein, ganz hinten, gegen die Hinterbühnenwand als Chor der Alten und Weisen. So als würde sie mir die Worte einzeln hart ins Ohr ätzen - wir, ich im Publikum und sie einsam oben, müssen eine gewaltige Anstrengung aufbringen, um diesen Text zu begreifen, aber "wir" bringen sie gemeinsam auf und es gelingt.
(Wir dürfen auch ihre Stimme als Yvonne in "Der Olsenbande" nicht vergessen!)
 

Sie ist weise in bescheidenster Art.

Demnächst wird sie in endlich wieder in einem Film mitspielen, aber nur, wenn die Truppe das Geld dafür zusammenbekommt -
www.startnext.com/weiber-der-film - wer mag, sollte sich die Seite mal anschauen und, wenn sie gefällt, auch etwas Geld locker machen?
Der Regisseur Pierre Sanoussi-Bliss hat vor einiger Zeit "Zurück auf los!" gedreht, geschrieben, inszeniert & mitgespielt, ich hab den Film sehr gemocht, und das obwohl mein Verhältnis zu deutschen Filmkomödien ein äußerst schwieriges ist.


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2010

Margit im Original-Text. großartig!

http://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=4344&catid=441&Itemid=1

Der untenstehende Text ist von www.nachtkritik:

Margit Bendokat bekommt den Berliner Theaterpreis


Mädchen aus Ostberlin

Esther Slevogt
Berlin, 9. Mai 2010. 

Dimiter Gotscheff sagt es mit Jimmy Hendrix: "Der Ton muss im Raum hängen bleiben." Und das tut er definitiv, wenn diese Schauspielerin spricht, die heute im Deutschen Theater in Berlin mit dem Theaterpreis der Stiftung Preußische Seehandlung ausgezeichnet wurde: Margit Bendokat, eine der markantesten Schauspielerinnen des deutschsprachigen Theaters, lange verkannt, manchmal fast schon vergessen. Und bei jedem Comeback, wie man so was heutzutage nennt, auf absoluter Augenhöhe mit der Gegenwart.

bendokat
Probenfoto "Die heilige Johanna der Schlachthöfe"
©Arno Declair
Heiner Müller hätte sich seine Texte gern von Margit Bendokat vorlesen lassen, weil er sie so selbst erst verstanden hatte, kolportiert Nicolas Stemann als Laudator, um dann noch einmal die Besonderheiten dieser Schauspielerin hervorzuheben, die Energiezentren von Texten aufzuspüren, Welten zu öffnen und darzustellen verstehe mit einer ganz eigenen Lakonie.
Heutzutage, sagte Stemann, gebe es einen Hunger nach Authentizität auf der Bühne, weshalb manche nun echte Hartz-IV-Empfänger oder irgendwelche Spezialisten auf die Bühne holten. Natürlich verlören die dort sofort jegliche Authentizität, schließlich sei das Theater ein eigener Raum. Wer aber Margit Bendokat habe, dem könne das niemals passieren. Denn ihre Authentizität komme aus der Tiefe, sozusagen dem Innern des Theaters selbst, in das sie dann die Welt von außerhalb zu holen verstehe und umgekehrt.
Am Ende setzte sich der 1968 in Hamburg geborene Regisseur ans Klavier, um Margit Bendokat mit zartem Schmelz Udo Lindenbergs Vor-Wende-Ballade "Mädchen aus Ostberlin" zu Füßen zu legen, was manch politisch Korrektem im Saal kurz den Schweiß auf die Stirne trieb, es aber so direkt gefühlt und liebenswürdig in die Veranstaltung sich fügte, das bald doch allgemeine Rührung überwog.
  (Nicolas Stemann singt und spielt Udo Lindenberg)

Deutsche Negerin mit asiatischem Grinsen
Dimiter Gotscheffs Ausführungen, der Margit Bendokat als deutsche Negerin mit asiatischem Grinsen feierte (ein etwas unglücklich müllerndes Kompliment), fielen gewiss auch nicht ins allgemein verständliche Repertoire üblicher Lobesfloskeln. Gotscheff brachte aber dieser Schauspielerin (und unsereins im Publikum) gleich zwei wunderbare Geschenke mit: einmal eine Beschreibung einer Szene aus einer berühmten Tartuffe-Inszenierung von Benno Besson aus dem Jahr 1963, wo Margit Bendokat als Dienstmädchen nicht nur einen einzigen Satz zu sagen, sondern auch Kirschen zu essen hatte, und dies in geradezu naturereignishafter Form getan haben muss, wenn man Gotscheffs Schilderungen glaubt, der dies als Hospitant erlebte. Und was sie (und überhaupt das Erzählen mit dem Körper) von Bessons damaliger Assistentin, der Pantomimin (und späteren Regisseurin) Brigitte Soubeyran gelernt hat, wie die Bendokat dann später erzählt - Soubeyran, die (inzwischen fast achtzigjährig) ebenfalls unter den Gästen im Deutschen Theater war.
Das zweite Geschenk war eine Variation des berühmten Drehbühnenwandkampfs zwischen Samuel Finzi und Wolfram Koch aus Gotscheffs Perser-Inszenierung 2006 am Deutschen Theater, der nun dahingehend abgewandelt wurde, dass die ganze Schlacht, die Aischylos' Drama verhandelt, nur darum geht, welche Partei nun zuerst Margit Bendokat ihre Huldigung darbringen darf ... Finzi oder Koch, die heftig in einem aberwitzigen Slapstick miteinander (und Mark Lammerts Bühnenbild-Wand) darum ringen.
Auch viel Theatergeschichte wehte durch die Veranstaltung. Namen wie der des legendären DT-Nachkriegsintendanten Wolfgang Langhoff, mit dem Margit Bendokat 1964 in Carl Sternheims "1913" auf der Bühne stand - ihre erste "richtige" Rolle am Deutschen Theater und Langhoffs letzte. Namen von Regisseuren wie Adolf Dresen, Alexander Lang, Frank Castorf, Einar Schleef, Heiner Müller, Konstanze Lauterbach oder eben nun Dimiter Gotscheff und Nicolas Stemann pflastern ihren Weg. Die große Käthe Reichel war ihre Lehrerin. Fast ein halbes Jahrhundert Theatergeschichte ist in diesem Körper aufgehoben, den Dimiter Gotscheff mit einer archaischen Landschaft verglich. Der aber dabei höchst gegenwärtig bleibt, möchte man leise hinzufügen, immer greifbar auch in der unsentimentalen Lakonie dieser Schauspielerin, die seit über fünfundvierzig Jahren auf der Bühne des Deutschen Theaters steht, dieses Theater und seine Geschichte verkörpert wie keine andere Schauspielerin des Ensembles. Und die erst jetzt überhaupt zum ersten Mal einen Preis bekam. Am Ende viele gerührte Gesichter und Standing Ovations.




Rollenfach: Welt


Nicolas Stemann
Berlin, 9. Mai 2010

Liebe Margit, verehrte Damen und Herren,
die Jury hat mit der Entscheidung, den diesjährigen Berliner Theaterpreis an Margit Bendokat zu verleihen, eine großartige Wahl getroffen.
Wer sonst sollte diesen Preis bekommen?
Wer, wenn nicht eine so tolle Schauspielerin wie Margit Bendokat, die das Theater der letzten Jahre und Jahrzehnte auf so zentrale Art mitgestaltet hat? Und wenn man sich ihre Vita anguckt, all die wichtigen Rollen, Inszenierungen und die schier endlose Liste von Namen legendärer Theaterkünstler, mit denen sie beruflich und zum Teil auch privat verbunden war, dann gewinnt man den Eindruck, sie habe als Schauspielerin die Umsetzung der wichtigsten Theatervisionen der letzten Jahre und Jahrzehnte nicht nur geprägt, sondern geradezu ermöglicht.
Dafür kann man durchaus schon mal einen Preis springen lassen.
Es scheint nicht sehr schwer zu sein, Margit ein Loblied zu singen. Über sie zu sprechen und von ihr zu schwärmen ist eins. Nun ist Margit aber auf eine so entwaffnende Art bescheiden und berlinerisch unsentimental, dass ich davor zurückschrecke, allzu sehr ins Schwärmen zu geraten auch wenn sich Anlass hierfür genug findet.
Aber wird man ihr und dem, was sie als Schauspielerin ausmacht, damit wirklich
gerecht?

Ich habe keine wirkliche Ahnung, wie sie das macht und muss es auch nicht wirklich wissen. Das, was die Größe und Einzigartigkeit eines Schauspielers ausmacht, ist ein Geheimnis, oft sogar für den Schauspieler selbst.

Eine Welt erschaffen
Ich weiß nur so viel: Scheinbar ohne Aufwand, scheinbar mit ihrer bloßen Anwesenheit auf einer Bühne, erschafft Margit Bendokat eine Welt. Man hat dabei den Eindruck, als würde sie gar nicht viel tun, als würde sie bloß Texte aufsagen, oder sie rufen, als würde sie einfach nur stehen, wenn sie steht, gucken, wenn sie guckt. Und dennoch ist sie eine Welt.
Dabei ist nicht unbedingt dezent. Ihr Spiel ist ja alles andere als naturalistisch (obwohl sie das sicher auch kann). In großer Form wird Text Richtung Publikum deklamiert, alles ist ohne Scham übertrieben, jede Bewertung, jeder Schritt scheinen überartikuliert, dabei aber nie hohl oder manieriert.
Auf Proben wird einem schon mal der Kopf weggeblasen, wenn Margit sich einfach so in irgendein Geschehen hineinwirft und loslegt - auch ganz ohne die Absicherung durch irgendeine Figur oder eine definierte Situation. Nicht viele Schauspieler können das mit einem solchen Mut, einer solchen Lust am Risiko: Etwas spielen, ohne vorher zu wissen, wo es herkommt oder worauf es hinausläuft - und dabei dennoch klar zu bleiben. Und immer mit dem Herzen dabei. Genau - ohne dogmatisch zu sein. Menschlich ohne zu menscheln. Gefühlvoll ohne in Sentimentalität zu ertrinken. Und das Ganze auch gerne laut. Man soll sich von Margits zarter Erscheinung, ihrem Ausdruck zwischen mädchenhafter Schüchternheit und mütterlicher Güte nicht täuschen lassen. Wenn man sie so anschaut kann man sich kaum vorstellen, mit welcher Unverwüstlichkeit und welcher Ausdauer sie Text brüllen kann.
Wie auch immer sie das tut, was sie da tut: Es entsteht eine Welt. Das, was schnell wie ein abgegriffenes Klischee klingen mag – "wenn sie spielt entsteht eine Welt", entspricht in Margits Fall einfach der Wahrheit und ist ganz konkret wahrnehmbar:
Wenn sie in einer Inszenierung, in einem Bühnenbild, in einem Stück, auf einer Bühne steht - dann steht da nicht einfach eine Schauspielerin, die sich als weitere Figur in diese ganzen Elemente einfügt, nein, dann steht da eine Wirklichkeit, etwas, das von jenseits des Theaters
zu kommen scheint, von jenseits des Stückes, von jenseits der Inszenierung. Etwas, das es aus irgendeinem Grund geschafft hat, diese hermetischen Kunst- und Theatermauern zu durchbrechen, und das durch sein bloßes Auftreten alles in Frage stellt, was bisher dort stattgefunden hat.

Und so habe ich Margit bisher denn auch immer besetzt: nicht als eine Figur, nicht als die Darstellerin eines Menschen, sondern als die Darstellerin einer Welt, eines ganzen Kosmos.
Seit einiger Zeit ist es Mode im Theater, Dinge, Menschen auf Bühnen zu stellen, die nicht aus dem Theaterkontext stammen: Tiere oder Eisenbahnschaffner oder echte Hartz-IV-Empfänger, die man dann als das Authentische bestaunt und dabei oft die eigentliche Pointe gar nicht mitkriegt, dass nämlich die Theatralisierung des Theaterfernen diesem die angestrebte Authentizität geradezu austreibt, und sich diese Abkürzung in die Wirklichkeit im Theater schnell als große Lüge entlarvt. So nachvollziehbar die Sehnsucht nach Schaffnern, Kinder, Haftentlassenen im Theater auch ist - all das ist gar nicht nötig, wenn man Margit hat!
Dabei kommt sie nicht von außen, sie entstammt ja als Schauspielerin dem Zentrum des Theaters. Und sprengt dennoch Raum und Rahmen.

Die Welten, die Margit bislang in meinen Inszenierungen spielte, waren immer jeweils denen entgegengesetzt, die die Inszenierung bis dahin behauptet hatte. Das hatte den (beabsichtigten) Effekt, dass alles, was bisher hergestellt wurde: vom Text, von den anderen Spielern, von der Inszenierung, von mir selber - in ein völlig neues Licht geriet, relativiert oder in sein Gegenteil verkehrt wurde. Toll genug, dass so etwas im Theater möglich ist - kaum zu glauben, dass eine einzige Schauspielerin mit ihrem bloßen Auftritt dazu in der Lage ist. Margit kann das.
Meine Inszenierungen mit Margit lassen sich tatsächlich in zwei Teile einteilen: in den Teil vor ihrem Auftritt, und den danach.

Vor Margit und nach ihr
In der "Heiligen Johanna" etwa findet der erste Teil im Innern des Theaters statt, alles ist Kunst, Show, Unterhaltung, über das Außen wird zwar geredet, doch kommt es nur als Zitat vor, als Zeichen, als Abwesendes - wie ja oft im Theater. Im zweiten Teil wird all dies dann allein durch Margits Auftritt von einem gesellschaftlichen oder historischen Außen konterkariert. Da weht auf einmal etwas durch den Raum, das die verlogene Bequemlichkeit ganzer Theatergenerationen spürbar macht. Margit hat es hergestellt.
Bei "Über Tiere" ist es glaube ich genau andersrum: hier entfaltet sich zunächst ein (Geschlechter-)Diskurs, der dann durch Margits Darstellung einer alternden und sterbenden Frau so massiv mit Welt konfrontiert wird, dass alle einfachen Gewissheiten in einer Explosion weggefegt werden. Und am Ende bleibt nur der Wunsch nach Liebe und Erlösung, und das in einem Stück von Elfriede Jelinek. Auch das hat Margit geschafft.
Wer sich nicht einlassen kann auf eine solche dialektische Schwebung - sprich: wer nicht denken will - fliegt an diesen Stellen raus. So ging etwa ein Berliner Kritiker dem Kampf Margit versus Inszenierung so sehr auf den Leim, dass er schrieb, ich würde in der "Heiligen Johanna" tatsächlich Margit Bendokat ermorden wollen oder zumindest dazu aufrufen!
Natürlich habe ich nicht dazu aufrufen wollen, liebe Margit. (Das wollte ich hier nur noch mal richtig stellen).

(Margits Kommentar hierzu lautete übrigens: Ach weeste, ick les dat ja sowieso gar
nich erst).

Der Kritiker war wohl von Margits Auftritt so irritiert, dass ihm in panischer Suche nach Halt jenseits vom Selber-Denken-Müssen die ganze Dialektik ihres Auftritts entgangen war. Das Politische daran. An Margit lag das sicher nicht.

Der Mensch in Beziehung zur Realität
Soweit ich es überblicken kann, war Margits Haupt-Betätigungsfeld als Schauspielerin nie ein Theater, dem es wesentlich um die feine Auslotung sensibler bürgerlicher Seelenpein ging - sondern immer eines, das sich experimentell, existentiell und mutig in Gesellschaft, Politik und Geschichte geworfen hat.
Sich im Theater mit Politik und gesellschaftlichen Realitäten zu beschäftigen ist ja, wie wir wissen, nicht ganz einfach und bedeutet immer eine besondere Aufgabe für einen Schauspieler, der als Mensch auf der Bühne zunächst ja keine abstrakten Dinge sondern Menschen darstellt. Das bürgerliche psychologische Theater lässt den Menschen nach innen klappen und hermetisch einschnappen. In einem Theater, das sich politisch orientiert und positioniert, geht es, wenn wir es nicht mit bloßen Parolen zu tun haben wollen, natürlich auch um den Menschen, aber anders: es geht um den Menschen in Beziehung zur ihn umgebenden gesellschaftlichen Realität, das heißt, es geht darum, die Schnittstelle auszuloten zwischen diesem subjektiven Innen und einem gesellschaftlichen politischen Außen, die Spannungen zwischen diesen beiden Polen, die durch den einzelnen Menschen hindurchgehen, ihn belasten und zerreißen.
Diese Schnittstelle transportiert Margit auf eine ganz besondere Art, es ist, als dächte sie immer beides mit, Innen und Außen, als spielten ihr Körper, ihre Stimme nie nur eines der beiden.
Und so ist es vielleicht kein Zufall, dass Margit dieser Preis gerade jetzt zuerkannt wird, zu einer Zeit, da die Theater aus einem langen Schlaf der Innenschau zu erwachen scheinen und sich wieder ein wenig offensiver - wenn vielleicht auch viel zu spät, zu leise oder zu hilflos - für gesellschaftliche Realitäten zu interessieren beginnen. Denn ein Theater, das sich für die sie umgebende Welt interessiert, braucht Schauspielerinnen wie Margit. Wenn sie auftritt, dann gibt es nicht einfach eine weitere Figur mit Seelenpein und sensiblen Gefühlen - dann ist das politisch!
Mag sein, dass das noch von ihrer Zusammenarbeit mit Heiner Müller komme.
Oder von Gosch.
Oder von - die Liste ist wie gesagt lang.

Denn in Margit begegnet uns erlebte Geschichte, und das heißt in ihrem Falle immer
auch: Theatergeschichte!


Diese ganze geballte Ladung Theatergeschichte
Und so ist sie neben all dem, von dem ich bislang gesprochen habe, auch noch ein
wertvoller Erinnerungsschatz für das heutige Theater. Ihr Spiel ist ein lebendes, lebendiges Gedächtnis der Theateravantgarden der letzten Jahrzehnte, ein vitaler Setzkasten historischer Theaterformen.

In dem wir natürlich Brecht finden, dem sie persönlich zwar gar nicht mehr begegnet ist, erstaunlicherweise auch nur wenige seiner Stücke gespielt hat, der sie aber doch sehr geprägt haben muss. Viele Brecht-Vertraute waren ihre Lehrer, Käthe Reichel zum Beispiel, sie bewegte sich von Anfang an in einer von Brecht geprägten Theaterlandschaft. Und das merkt man. Zum Glück.
Dann natürlich Heiner Müller - und hier weiß ich gar nicht, ebenso wie bei Einar Schleef, wer da eigentlich wen beeinflusst hat. Hat Margit wirklich bei Schleef das zärtlich-differenzierte Brüllen und Rufen gelernt? Oder ist das etwas, was aus Schleefs Form geworden ist dadurch, dass er mit Margit gearbeitet hat? Heiner Müller, so erzählt man, ließ sich seine Texte immer gerne von Margit vorlesen, weil er sie erst dann wirklich verstand. Das glaube ich sofort. Wenn sie Texte spricht oder brüllt oder deklamiert, dann versucht sie die Energiezentren dieser Texte auszuloten - da gibt es kein Irgendwie, da gibt es nur klare, vielleicht warme, aber brutale Eindeutigkeit.
Gerade Texten, deren Eindeutigkeit in ihrer Mehrdeutigkeit liegt, wie etwa die Texte Elfriede Jelineks, tut das unglaublich gut.
Die Liste der lebendigen Theatergeschichte, die Margit umweht, ist freilich noch um ein Vielfaches länger: B.K. Tragelehn, Benno Besson, Alexander Lang, Frank Castorf, Jürgen Gosch, (wir nähern uns allmählich der Gegenwart) Konstanze Lauterbach, Dimiter Gottscheff... kaum ein wirklich interessanter Theatermacher, der in ihrer Vita fehlt, und es sind die Experimentatoren, die Suchenden, die "Verrückten" wie Margit selber sagt, die diese Vita prägen. (Die Konventionshüter, die Bewahrer des Status quo, die Beschützer des Mittelmaßes und des Publikums-Konsens gehören auffälliger- und sympathischerweise nicht zu den prägenden Persönlichkeiten ihres Lebenslaufs.)
Wenn Margit heute in einer Inszenierungen also scheinbar "nur" rumsteht und es wieder einmal schafft, eine Welt zu sein, dann steht diese ganze geballte Ladung Theatergeschichte dort mit herum. Was kann es größeres für einen Regisseur geben! Und trotzdem steht sie auf ihren Füßen, und die sind auf der Erde, trotzdem ist sie unglaublich nett und so unkompliziert, dass es einem gar nichts nützen würde, in Ehrfurcht zu erstarren - im Gegenteil käme sicher sofort ein Spruch um die Ecke berlinert, der alles wieder erden und den Erstarrenden beschämen würde ob des lächerlichen Pathos seiner Ehrfurcht.
Wenn man sich all dies vor Augen führt, mutet es ausgesprochen absurd an, dass der heutige Theaterpreis tatsächlich die erste wichtige Auszeichnung ist, die Margit Bendokat als Schauspielerin in ihrem ganzen Leben verliehen wird. Das ist eigentlich ein Skandal und kaum zu glauben.
Um so mehr, liebe Margit, gratuliere ich Dir von ganzem Herzen zu Deinem ersten
Theaterpreis. Mögen noch viele folgen!

Vielen Dank.

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