Samstag, 19. Oktober 2013

Emily Dickinson - Der Tod, da ich nicht halten konnt - Because I could not stop for Death


Es ist Vollmond. Mir geht es gut. In dem Stück, dass ich gerade probiere, will jeder jeden endgültig übertölpeln, um die Ecke bringen, abmurksen, aus dem eigenen rücksichtslos verfolgten Weg räumen. Und all meine Gedanken enden bei morbiden Bildern und Worten. Warum? Keine Ahnung. Aber ich folge, wohin mich meine Assoziationen führen.


PIETER BRUEGEL DER ÄLTERE 1562

DER TRIUMPH DES TODES
Das Schlimmste ist der Tod, und Tod siegt eh und jeh. 
W. Shakespeare








1
Der Tod, da ich nicht halten konnt,
hielt an, war gern bereit.
Im Fuhrwerk saß nun er und ich
und die Unsterblichkeit.
2
Ihm gings auch langsam schnell genug,
und ich hatt fortgetan
das Fronen und das Müßiggehn,
so freundlich war der Mann.
3
Ein Schulhof kam mit kleinem Volk,
das miteinander rang . . .
Es hat das Korn uns nachgeäugt,
wir sahn: die Sonne sank. 


fehlt leider 
5
Dann hielten wir, da stand ein Haus:
emporgewelltes Land.
Das Dach—kaum daß es sichtbar war,
Das Sims—ein Hügelrand.
6
Jahrhunderte seither, doch keins
war länger als der Nu,
da ich mir sagt: Wir halten ja
auf Ewigkeiten zu!





Mit Dreissig beschließt Emily Dickinson, sich aus der menschlichen Gesellschaft  zurückzuziehen. Sie geht in ihr Zimmer und schließt die Tür. Auch Freunde können von nun an nur durch diese Tür mit ihr kommunizieren. Sie schreibt. Sie schreibt viel. Sie stirbt mit 56, nach 26 Jahren Isolation.


Zu ihren Lebzeiten wurden nur sieben Gedichte, und das auch noch gegen ihren Willen, veröffentlicht. Der engere Umkreis wusste, dass sie Gedichte schrieb, ihre Briefe waren gespickt von ihnen. Erst nach ihrem Tod entdeckte ihre jüngere Schwester Lavinia in einem verschlossenen Kasten viele hundert kleine Gedichte auf Einzelblätter in handgebundenen Heftchen zu durchschnittlich zwanzig Gedichten zusammengefasst. (Suite 101)


1
Because I could not stop for Death,
He kindly stopped for me;
The carriage held but just ourselves
And Immortality.
2
We slowly drove, he knew no haste,
And I had put away
My labor, and my leisure too,
For his civility.
3
We passed the school, where children strove
At recess, in the ring;
We passed the fields of gazing grain,
We passed the setting sun.
4
Or rather, he passed us;
The dews grew quivering and chill,
For only gossamer my gown,
My tippet only tulle.

5
We paused before a house that seemed
A swelling of the ground;
The roof was scarcely visible,
The cornice but a mound.
6
Since then ’tis centuries, and yet each
Feels shorter than the day
I first surmised the horses’ heads
Were toward eternity.


Emily Dickinson

Deutsche Fassung Paul Celan. Gesammelte Werke in Fünf Bänden.
Suhrkamp 1983

 

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