Mittwoch, 9. Januar 2013

Chuzpe


Neulich versuchte ich einer jungen Schauspielerin zu beschreiben, was mir in einer Szene noch zu fehlen schien - "Chuzpe!" - und bekam einen höflichen, aber deutlich verständnisfreien Blick zur Antwort. Sie hatte das Wort noch nie gehört.

Was ist Chuzpe oder Chuzpa? Für mich: Hoffnungsvolle bodenlose Unverschämtheit im Angesicht des fast sicheren Mißerfolgs. Und ob diese dreiste Unverfrorenheit aus Verzweiflung oder unbewiesenem Selbstvertrauen erwächst, ist sie doch nie ohne Witz. Sie weiß um die eigene Frechheit und treibt sie sehenden, ja aufgrissenen Auges in den Exzess, weil es kein Zurück mehr geben kann. Und lieber grandios auf die Schnauze fallen, die solche Nahbodenerfahrungen bereits gewohnt ist, als in vernünftiger, maßvoller Einsicht, mit zwischen den zitternden Beinen eingeklemmtem Schwanz, in der Zimmerecke über verpasste Chancen zu jammern. 
Mut der Verzweiflung? Unverfrorenheit? ? Immer fehlt den Worten die notwendige Prise ..., tja was? Es gibt wohl kein Wort für die Fähigkeit über sich selbst zu lachen. Selbstironie ist zu distanzierend. Galgenhumor - zu einschränkend. Sich selbst nicht ernst nehmen - zu umständlich.
Auf jeden Fall ist mehr Chuzpe nötig! 
Obwohl: Das klassische Beispiel für Chuzpe ist die Geschichte des Mannes, der Vater und Mutter erschlägt und dann um mildernde Umstände bittet, weil er Vollwaise sei.

Wiki schreibt in der Liste deutscher Wörter aus dem Hebräischen:
Ein Jude wird wegen Ehrenbeleidigung verklagt. Er habe jemandem Chuzpe vorgeworfen. Der Richter jedoch kennt das Wort gar nicht und bittet den Juden, es zu erklären.
Der Jude erklärt den Begriff zunächst für unübersetzbar. Endlich erklärt er sich bereit, Chuzpe mit „Frechheit“ zu übersetzen. „Allerdings“, fügt er hinzu, „ist es keine gewöhnliche Frechheit, sondern Frechheit mit Gewure.“
Der Richter: „Was ist Gewure?“
„Gewure – das ist Kraft.“
„Chuzpe ist also eine kräftige Frechheit?“
„Ja und nein. Gewure ist nicht einfach Kraft, sondern Kraft mit Ssechel.“
„Und was ist Ssechel?“
„Ssechel – das ist Verstand.“
„Also ist Chuzpe eine kräftige, verstandesvolle Frechheit.“
„Ja und nein. Ssechel ist nicht einfach Verstand, sondern Verstand mit Taam.“
„Schön – und was ist Taam*?“
„Ja sehen Sie, Herr Richter: Taam ist halt etwas, was man einem Goi nicht erklären kann.

Jüdische Witze. Ausgewählt und eingeleitet von Salcia Landmann. Walter, Olten 1962. DTV, München 2007
*Taam = Geschmack, Nuance, Charme, Schliff
 
Velleicht ist es nur das verbal überdauernde jüdische Erbe meiner äußerst unreligiösen Familie, die ich auch Meschpoke nenne, aber mein Wortschatz ist vollgesogen mit solchen jiddischen Lehnwörtern.
Das ist doch Tinneff, nutzloses Zeugs, Quatsch, Talmi; letzteres stammt allerdings aus dem Französischen, von Tallois-demi-or, Monsieur Tallois ein Erfinder hat "Halb-Gold" hergestellt, eine Kupfer-Zink Legierung, die mit Blattgold überzogen wurde.
So ein Schlamassel. Ein schlimmes Glück, schlimm-mazel. 
Hattest Du Zoff? Ein mieses Ende, mieser sôf.
Alles Stuss! Unsinn!

Einer meiner Lieblinge:
Wiki schreibt: Hals- und Beinbruch ist eine Verballhornung und stammt aus dem hebräischen hazlacha uwracha (= „Erfolg und Segen“). Dieser Glückwunsch wurde von Juden beim Abschluss eines Geschäfts in der jiddischen Form hazloche und broche ausgesprochen und von deutschsprachigen Zuhörern als Hals- und Beinbruch verstanden.


Ornstein, was ist mit Ihnen los?

© H. Studte



2 Kommentare:

  1. So wunderbar mit Worten Gedanken zu erzeugen und Emotionen zum Leben zu erwecken, hat mir grosse Freude gemacht, liebe Johanna, und die Aufklärung mancher Begriffe, die auch in meiner Familie in meiner Kindheit usus war. Danke. Elgin

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  2. Sprache als schöner alter lebendiger Baum mit deutlichen Ästen und bizarren feinen Verzweigungen, und mit Wurzeln, verflochten mit denen anderer Gewächse.

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