Sonntag, 16. Dezember 2012

Hugo Ball - Karawane - Dada



Das Wissen, wo es als höchstes Prinzip auftritt, tötet notwendig den Enthusiasmus, den Geist und jenen aus irrationalen Quellen fließenden menschlichen Instinkt, der für die Konflikte die einfachste Lösung findet.

H. B. Zur Kritik der deutschen Intelligenz


Hugo Ball Karawane 
Reprint der Zeitschrift "Dada" 1917



Hugo Ball


Hugo Ball


Eroeffnungs-Manifest

1. Dada-Abend

Zuerich, 14. Juli 1916

  Dada ist eine neue Kunstrichtung. Das kann man daran 
  erkennen, dass bisher niemand etwas davon wusste und morgen 
  ganz Zuerich davon reden wird. Dada stammt aus dem Lexikon. 
  Es ist furchtbar einfach. Im Franzoesischen bedeutets 
  Steckenpferd. Im Deutschen: Addio, steigt mir bitte den 
  Ruecken runter, auf Wiedersehen ein ander Mal! Im Rumaenischen: 
  'Ja wahrhaftig, Sie haben Recht, so ist es. Jawohl, 
  wirklich. Machen wir'. Und so weiter.
  Ein internationales Wort. Nur ein Wort und das Wort als Bewegung. 
  Es ist einfach furchtbar. Wenn man eine Kunstrichtung 
  daraus macht, muss das bedeuten, man will 
  Komplikationen wegnehmen. Dada Psychologie, Dada Literatur, 
  Dada Bourgeoisie und ihr, verehrteste Dichter, die ihr immer 
  mit Worten, nie aber das Wort selber gedichtet habt. 
  Dada Weltkrieg und kein Ende, Dada Revolution und kein 
  Anfang. Dada ihr Freunde und Auchdichter, allerwerteste
  Evangelisten. Dada Tzara, Dada Huelsenbeck, Dada m'dada, 
  Dada mhm' dada, Dada Hue, Dada Tza.
  Wie erlangt man die ewige Seligkeit? Indem man Dada sagt. 
  Wie wird man beruehmt? Indem man Dada sagt. Mit edlem Gestus 
  und mit feinem Anstand. Bis zum Irrsinn, bis 
  zur Bewusstlosigkeit.  Wie kann man alles Aalige und Journalige, 
  alles Nette und Adrette, alles Vermoralisierte, 
  Vertierte, Gezierte abtun? Indem man Dada sagt. 
  Dada ist die Weltseele, Dada ist der Clou, 
  Dada ist die beste Lilienmilchseife der Welt. 
  Dada Herr Rubiner, Dada Herr Korrodi, 
  Dada Herr Anastasius Lilienstein.
  Das heisst auf Deutsch: die Gastfreundschaft der Schweiz 
  ist ueber alles zu schaetzen, und im Aesthetischen kommt's 
  auf die Norm an.
  Ich lese Verse, die nichts weniger vorhaben als: auf die 
  Sprache  zu verzichten. Dada Johann Fuchsgang Goethe. 
  Dada Stendhal. Dada Buddha, Dalai Lama, Dada m'dada, 
  Dada m'dada, Dada mhm' dada. Auf die Verbindung kommt es an, 
  und dass sie vorher ein bisschen unterbrochen wird. 
  Ich will keine Worte, die andere erfunden haben. 
  Alle Worte haben andere erfunden. Ich will meinen 
  eigenen Unfug, und Vokale und Konsonanten dazu, 
  die ihm entsprechen. Wenn eine Schwingung sieben Ellen 
  lang ist, will ich fueglich Worte dazu, die sieben Ellen 
  lang sind. Die Worte des Herrn Schulze haben nur 
  zwei ein halb Zentimeter.
  Da kann man nun so recht sehen, wie die artikulierte 
  Sprache entsteht. Ich lasse die Laute ganz einfach fallen. 
  Worte tauchen auf, Schultern von Worten; Beine, Arme, 
  Haende von Worten. Ay, oi, u. Man soll nicht zuviel 
  Worte aufkommen lasen. Ein Vers ist die Gelegenheit, 
  moeglichst ohne Worte und ohne die Sprache auszukommen. 
  Diese vermaledeite Sprache, an der Schmutz klebt 
  wie von Maklerhaenden, die die Muenzen abgegriffen haben. 
  Das Wort will ich haben, wo es aufhoert und wo es anfaengt.
  Jede Sache hat ihr Wort; da ist das Wort selber 
  zur Sache geworden. Warum kann der Baum nicht Pluplusch 
  heissen, und Pluplubasch, wenn es geregnet hat? 
  Und warum muss er ueberhaupt etwas heissen? 
  Muessen wir denn ueberall unseren Mund dran haengen? 
  Das Wort, das Wort, das Weh gerade an diesem Ort, 
  das Wort, meine Herren, ist eine oeffentliche Angelegenheit 
  ersten Ranges.

6 Kommentare:

  1. Vielen Dank!

    Vielen Vielen Dank!

    Fürs Finden, fürs Veröffentlichen, dafür, das ich es jetzt lese. Ein wunderbarer Start in die Woche.

    Die waren einfach echt gut.

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  2. Ich weiß nicht woran's liegt... vielleicht fehlt es mir an Humor, Abstraktion, Ironie, vielleicht ist mein Sprachzentrum überfordert, mein Sprachgefühl geschockt, aber ich stehe vor dieser Bewegung wie vor einer Mathe-Formel... ich weiß dass sie etwas bedeutet und wieso sie ist... aber ich begreife sie nicht, ich habe null und keinen Zugang, selbst wenn ich mich bemühe. Mir wurden schon Büchlein dazu geschenkt, meine Mitmenschen haben sich wirklich ins Zeug gelegt, ich auch... aber es funktioniert nicht. Vielleicht weil ich nicht wirklich ablegen kann automatisiert ein Verständnis zu suchen, ein inhaltliches und dabei natürlich zum scheitern verurteilt bin.
    Diese Strömung hebelt mein Gehirn aus. Das begreife ich durchaus als eine Qualität... aber mehr begreife ich nicht.

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  3. Lass Dir Texte vorlesen. Von jemandem, der in sie verknallt ist. Versuch nicht, irgendwas zu deuten oder zu ergründen. Nimm die Silben als Klänge. Wie Musik. Streng Dich nicht an. Dein Gehirn wird wie von selbst gekitzelt und beginnt, mit den Klängen zu spielen. Es kann gar nicht anders. Und dann entstehen vielleicht verblüffende Assoziationen. Und manchmal sogar richtige Gedankenketten.

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  4. Also mein Kopf redet so. Mit mir. Wenn ich mich nicht einmische. Aber das ist verdammt schwer. Wie brilliant, das aufschreiben zu können. Und ohne daß es angeschaffter Quatsch ist. Sondern richtiger Quatsch.

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  5. @Ötti
    Du meinst, so wie ich kein Wort Russisch verstehe, aber der Sprache ganz entspannt und angenehm berührt lausche wenn sie aus dem Cosmodrome in Baikonur kommt und sie verflixt gerne gesungen höre? Hm, keine schlechte Idee... vielleicht kann man so meinen Verstand ko hauen und den Geist von Interpretationszwängen befreien.

    @Sonja
    DU magst die Texte, DU wirst sie bitte vorlesen... ;)

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