Freitag, 19. Oktober 2012

Pleurants - Die Trauernden


Ich mag Friedhöfe. Sie sind still. Menschenmuseen. Sie umgibt eine Art von morbider Entspanntheit, es ist ja eh zu spät für die Bewohner der Gräber sich aufzuregen. 

Aber ich habe kein persönliches Verhältnis zu Gräbern. An die, die ich verloren habe, die sich im Tod verloren haben, erinnere ich mich auf andere Weise. Grabbesuche berühren mich nicht und den lieben Toten ganz gewiss auch nicht. 
Deutschland hat da völlig idiotische hygienebesetzte Gesetze. Eine kanadische Freundin streute die Asche ihres Mannes um einen Rosenbusch, der vor ihrem Fenster wächst. So kann sie ihre Gespräche mit ihm im Anblick der Rosen führen.

Und was Leute so auf Grabsteine metzen lassen! Leben werden auf aufmunternde Spruchweisheiten reduziert. Mit zwölf ins Poesiealbum meinetwegen, aber posthum?

Aus der Lieben Kreis geschieden, aus dem Herzen aber nie.
Weinet nicht, sie ruht in Frieden, doch sie starb und noch zu früh.

Bedenke, über alles Leid, das die Tage bringen,
zieht mit raschen Schwingen tröstend hin die Zeit.

Bla, bla, bla. Kein Zorn über den unerträglichen Verlust, kein Witz, um die Traurigkeit aushaltbar zu machen. Macht uns der Tod so hilflos? 

Denk an mich, der du hier gehst, 
Wie du jetzt bist, so war ich einst.
Wie ich jetzt bin, so wirst du sein,
Ich bin schon da, wo du hingehst.
 
Remember me as you pass by, 
As you are now, so once was I, 
As I am now, so you will be, 
Prepare for death and follow me.
Im Bodemuseum, gibt es jetzt gerade eine Schau von "Pleurants", Trauenden.
Mehr als 25 Jahre arbeiteten im 15. Jahrhundert die berühmten Bildhauer Jean de la Huerta und Antoine Le Moiturier an einem großen und komplexen Auftrag zusammen: dem Grabmal für Johann Ohnefurcht (Jean sans Peur, 1371–1419), den zweiten Herzog von Burgund, und seine Frau Margarete von Bayern, das, zusammen mit anderen Elementen, 41 trauernde Figuren aus Alabaster zeigt. In der Nachfolge der „Pleurants“ genannten Figuren, die für das Grabmal Philipps des Kühnen, des ersten Herzogs von Burgund, geschaffen worden waren, schufen die beiden Künstler erstaunlich realistische und äußerst individualisierte Figuren für eine immerwährende Erinnerung an ein verschwenderisches Begräbnis, das einer der reichsten Männer des mittelalterlichen Frankreich ausrichten ließ.


Gesichtslose Körper, gesenkte Köpfe, verkrampfte Hände.


Nicht alle trauern gleich, hier wird sich unterhalten, nur der Kleine links scheint wirklich traurig.

 

Riecht der Tote? Oder hat der Herr Migraine? Auch sein Gegenüber scheint unsicher.

Im originalen Grabmal stehen die Figuren in kunstvoll verzierten Bogengängen.

Johann Ohnefurcht scheint doch recht furchtsam, dem Tod gegenüber gewesen zu sein.
So viel Ornament, so viel Aufwand, so viel Versicherung des Nichtvergessenwerdens. 

Und hier noch eine kleine Frau, die sehr traurig ist.


 Albert Bartholomé Ein Mädchen weinend 


Du bist ein Schatten am Tage
Und in der Nacht ein Licht;
Du lebst in meiner Klage
Und stirbst im Herzen nicht.

Wo ich mein Zelt aufschlage,

Da wohnst du bei mir dicht;
Du bist mein Schatten am Tage
Und in der Nacht mein Licht.

Wo ich auch nach dir frage,

Find' ich von dir Bericht,
Du lebst in meiner Klage
Und stirbst im Herzen nicht.

Du bist ein Schatten am Tage

Und in der Nacht ein Licht;
Du lebst in meiner Klage
Und stirbst im Herzen nicht.

Friedrich Rückert

2 Kommentare:

  1. Ich persönlich habe schon manche tieftraurige Gedichte und auch Liedtexte geschrieben (nicht veröffentlicht). Doch wer will das denn hören oder lesen? Niemand will das hören. Jedenfalls ist es eine Form der Selbstentblößung, die gefährlich ist. Ein Mensch, der Trauer artikuliert, macht seinen Mitmenschen Angst, da er an ihre eigene Trauer und an ihre eigenen Schmerzen rührt. Solche Gefühle aber werden in unserer Zeit als Schwäche gedeutet, die sehr rasch zur existenziellen Bedrohung für den Einzelnen wird. Phasen der Trauer oder gar tiefer Trauer sind in unserer gesellschaftichen Realität nicht vorgesehen und gelten als Zeichen von Krankheit.

    Und deshalb ist auch jener "Mangel an Poesie" hierzulande zu beklagen. Was ist denn Poesie? Sie ist doch nicht nur ein kunstvolles Gebilde an Worten. Poesie ist die in Worte gefaßte Essenz von menschlichen Gefühlen, zu denen - wenn die Poesie echt sein will - eben auch Trauer gehört. Wie kann ein Mensch denn Poesie aus seinem eigenen Inneren schöpfen, wenn er selbst immerzu einen Mangel an Poesie im Leben erfährt? Ein Dichter oder eine Dichterin existieren doch nicht losgelöst von unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit, sondern müssen diesen Mangel am intensivsten erfahren. Es ist kein Mangel an Worten, sondern ein Mangel an echten und tiefen Gefühlen in unserem menschlichen Miteinander. Poesie sind nicht Worte, die Worte sind nur das Gefäß für die Poesie, die ein Mensch im Leben findet - oder auch nicht...

    AntwortenLöschen
  2. "Es ist kein Mangel an Worten, sondern ein Mangel an echten und tiefen Gefühlen in unserem menschlichen Miteinander." - ?

    Wem steht es zu, zu messen. Gefühle sind da. Also echt. Auch die versauten. Auch die brutalen. Und die können so unverstehbar tief wurzeln, und so unverstehbar gewaltig explodieren, dass schöne Seelen sie für Gefühllosigkeit halten.

    AntwortenLöschen