Montag, 7. Mai 2012

Vergebung, Verzeihung, Entschuldigung


Man mag sich nichts vergeben, hieße, nähme man das Verb beim Wort, man wäre sich selbst gegenüber unerbittlich, unverzeihend, ohne die Möglichkeit der Vergebung. Anstattdessen meint es nur, man will sich nicht zu weit aus dem Fenster hängen, schön vorsichtig bleiben, ohne das Risiko des Lächerlich-machens. Es beschreibt den bisweilen VERGEBLICHEN Versuch die Würde zu wahren.

Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

Kann man also nur Vergebung erhalten, wenn man fähig ist anderen oder gar sich selbst zu vergeben? Da wird es ja ganz schwierig.

Wiki setzt Vergebung mit Verzeihung gleich und übersetzt es dann mit der Annahme von bekundeter Reue. Annahme, hmm. Was man mit dem Angenommenen dann anstellt, bleibt freilich dahingestellt. Man nimmt Reue an und vergibt das Angenommene. Hin und her. Quid pro quo. Im christliche Sinne soll Vergebung doch ohne weitere Leistung des Beschuldigten gewährt werden, nur Einsicht muß er haben. Und wenn er nicht weiß, was er tut, kann ihm sogar völlig ohne Eigenbeteiligung vergeben werden. "Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun."

Entschuldigen hat auch so eine Ambivalenz. Ich entschuldige mich, ich mache mich frei von Schuld, was für ein Blödsinn, oder? Ich entschulde jemanden von etwas, geht doch schon eher. 
"Schuld" hat, sagen einige Wörterbücher,  die selbe germanische Wurzel "sculan" wie "sollen". Das, was man soll, ist das was man schuldet.

Der Anklang von Handel in all diesen Wörtern macht mich stutzen. 

Verzeihung ist der profane Ausdruck an Stelle des religiösen Vergebung: das Gegenteil von zeihen, anklagen, also "eine Anklage fallen lassen" und auf Konsequenzen verzichten. 

„Gewaltfreiheit ist bedeutungslos, wenn sie von einer hilflosen Kreatur ausgeht. Eine Maus wird einer Katze kaum vergeben, wenn sie es zulassen muss, von ihr in Stücke zerrissen zu werden.“ Mahatma Gandhi

Vergebung, für Hingebung, Erlassung, der Substantivbildung zu vergeben, in seiner ursprünglichen Bedeutung von fortgeben, hinweggeben. Was wird denn genau vergeben, weggegeben? Das Schuldgefühl des Bereuenden? Die eigene Wut, Trauer über was immer einem angetan wurde? Ist es ein Handel? Schlechtes Gewissen gegen Vergebung? Wohin gibt man das, was man vergibt?

Die Engländer haben "Forgive and forget", vergib und vergiss, auch keine leichte Sache. Ich, z.B., bin schwer zu erzürnen, wenn aber erstmal am kochen, auch nur schwer wieder zu beruhigen. Gott sei Dank, habe ich andererseits aber ein schlechtes Gedächtnis, mir fällt das Vergessen manchmal leichter, als das Vergeben. Und ich mag keine Entschuldigungen, weil sie nur in den seltensten Fällen mit mir zu tun haben, sondern, so scheint mir, meist mit dem Bedürfnis des "Schuldners" sich frei zu sprechen, mir die Last überzuhelfen, wenn ich nicht entschulde, bin ich dann Schuld. Das gilt natürlich umgekehrt auch, wenn ich die Schuldige bin.

Oder: "es tut mir leid", auch so ein komisches Gebilde, nicht "ich habe dir Leid angetan", nein, mir tut "es" leid.

Was wäre nun denn ein rechtes Wort für die Einsicht von Schuld, und die Bitte von ihr entlastet zu werden?

Demophon, Sohn des Theseus, liebte Phyllis , die Tochter des thrakischen Königs Sithon. Sie wurde seine Frau. Demophon reiste, mit dem Versprechen bald zurückzukommen, nach Athen, kam aber sehr lange Zeit nicht. Phyllis verzeifelte, erhängte sich aus Trauer und ward in einen Mandelbaum verwandelt, der plötzlich Blüten trieb, als der schlußendlich doch noch zurückgekehrte Demophon ihn umarmte.

Holzschnitt, Phyllis und Demophon, Venedig, frühes 16. Jahrhundert



8 Kommentare:

  1. Sätze, nach denen keine Verständigung mehr möglich ist:
    Ich bereue nichts in meinem Leben.
    Ich habe mich doch entschuldigt.
    Man muss ja mal einen Schlussstrich ziehen.
    Du darfst keine Schuldgefühle haben.

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  2. Um Entschuldigung zu bitten, ist erst einmal auch das Eingeständnis, eine Schuld zu haben und diese anzuerkennen. Ich habe Kinder nahezu existentiell sich die Bitte um Entschuldigung abringen sehn, weil dieses Eingeständnis Ihnen sehr schwer wog. Das waren nicht nur Worte. Und dem Kind, bei dem die Bitte um Entschuldigung ankam, hat sie sehr viel bedeutet. Es hat den Schmerz gelindert. Da war gerade in dem ganzen Vorgang des "Entschuldigens" das Lernen drin, Verantwortung zu tragen für die eigene Handlung, mit allen Konsequenzen, eben auch denen, die sie für andere hat, auch wenn man diese Konsequenzen nicht ausgemessen oder abgesehn hat.
    Ist das bei Erwachsenen das Gegenteil? Die Verantwortung eben nicht zu übernehmen, weil man sich entschuldigt? Und den anderen dann sitzen lässt, mit dem Paket, wofür sich entschuldigt wurde, und einer verhinderten, weil durch die Entschuldigung ja überflüssigen, aber trotzdem sich entladen wollenden Wut?
    Wenn jemandem ein Leid angetan wird, dann ist es aber doch meistens so, das es wichtig ist, wenigstens dieses Leid anerkannt zu bekommen, das macht den Schmerz nicht weg, aber es gibt ihm eine Bedeutung, in der Realität, die nicht nur die eigene ist. Und wenn das Leid überhaupt nicht anerkannt wird, wird man verrückt. Weil man den Schmerz hat, real, und keine Spiegelung in der Realität.

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  3. Das Wort Entschuldigung ist paradox. Wenn es Schuld gibt, kann sie nicht entfernt werden. Um Verzeihung kann ich bitten, und ich kann verzeihen. Schuld verschwindet davon nicht. Vielleicht fühlt sich ihre Last dann etwas leichter an. Für beide. Vielleicht kann mit dem Wissen um die verstandene Schuld besser gelebt werden. Auch für beide.

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  4. Das Leid des anderen anzuerkennen und Verantwortung dafür zu übernehmen, sind nicht unbedingt dasselbe wie sich zu entschuldigen. Sich frei von Schuld machen zu wollen, ist doch primär selbstsüchtig gedacht, weniger für den Anderen, oder?
    Aber was Du über Kinder sagst, verstehe ich gut. Ich habe das damals, im letzten Jahrhundert, ganz schlecht gekonnt, meine Schuld zuzugeben. Ausreden! Ausreden!

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  5. Amnesie - aus dem Griechischen - heißt die Nichterinnerung, Gedächtnisschwäche, während Amnestie - griechisch amnêstia - das absichtliche Vergessen oder Verzeihen, die Straferlassung, ist.

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  6. Ach du liebe Güte! Diese Wörter! Verzeihen und Vergessen sind doch sehr verschiedene Vorgänge. Und absichtliches Vergessen? Wie soll man das bloß hinkriegen? Absichtlich nicht an etwas denken zu wollen, heißt doch, immer daran zu denken, dass man nicht daran denken darf.

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  7. Ich weiß. So steht es bei zeno.org.
    Hatte ich vergessen hinzuzufügen. War ironisch gemeint, aber nicht als ironisch zu erkennen.

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  8. Sonja Hilberger7. Mai 2012 um 21:16

    Oder auch: ...Anämie: von gr. An - ohne, Blut....

    Ausreden- Herrlich. Auch doppeldeutig. Ausreden lassen und sich hereausreden. Eine Prise Wahres, ein Pfund Phantasie, eine Kelle Spinnetei und rein mit dem Pürrierstab der Sprechwerkzeuge. Und sich dann so darin vertiefen, dass es zur eigenen Geschichte wird und tiefe Empörung bei Zweifel.

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