Samstag, 11. Februar 2012

Theater hat auch eine erste Probenwoche


Oh ja, ich bin vorbereitet. Ich stehe im Stoff. Ich habe einen Plan.

Nach wochenlanger Vorbereitung, vielem Lesen, Denken, Grübeln, Sicher- und Sicherer- Werden und einer Konzeptionsprobe mit stundenlangem Reden, Zitieren, Phantasieren stehen da 5 oder 10 oder 2 Schauspieler auf einer staubigen, vollgerümpelten Probebühne mit annähernd aufgebautem Bühnenbild und stammeln, murmeln, kauen Sätze.

Schauen sich an. Lachen wie erwischte Kinder über Mißverständnisse und plötzlich, wenn ausgesprochen, zweideutig klingende Texte. Preschen vor und tändeln zimperlich mit neu gelernten Wörtern, schämen sich und stürzen sich kopfüber in ungekannte Situationen. Sie zippeln am Rock, krampfen sich an Textbüchern fest, schreien mehr oder weniger unmotiviert in die Runde der Mitspieler oder ziehen sich erstmal aufs sichere Standbein-Spielbein-frontal-zur-Rampe-Sonor-Sprechen zurück. Der eine haucht, der andere dröhnt oder knödelt, die dritte überbietet den Weltrekord im Schnellsprechen, ohne sich seines sportlichen Triumphs überhaupt bewußt zu werden. Einer deutet an, ein anderer übertreibt so unmäßig, dass das Wort Dezenz sich mit schockiertem Lächeln von der Probe verabschiedet. Es ist herrlich. Chaos, Krampf und Anarchie.

"Ja, mach nur einen Plan..."

Und plötzlich ist alles anders. Gänzlich anders. Neu. Komplizierter und einfacher zugleich.

Und manchmal, für Sekunden, erahnt man Unerwartetes, riecht man Wahrheit, lüpft die Wahrheit die Maske.

I love Schauspieler.

Einer, 50, Bassstimme, gutaussehend, groß und cool - die Szene - ein Mann soll ein Baby in der Wildnis aussetzen, er wird diesen Befehl ausführen, er pariert, schon im Abgang begriffen, kommt ein BÄR, der schaut in genüßlicher Vorfreude auf das schmackhafte Häppchen. Der Mann bemerkt es, er begreift, er lenkt die Aufmerksamkeit auf sich, er wird vom Bären gefressen werden. Das Baby überlebt.
Schneewittchen in der Art von Shakespeare.
Es ist 11 Uhr morgens in Ingolstadt in Bayern. Noch gibt es weder Baby noch Bären. Später wird eine Windmaschine wehen, der Ton spielt Sturmgeräusche ein. Heute morgen nichts davon, nur eine olle Treppe und ein einzelner Spieler.

I love Spieler.

3 Kommentare:

  1. Was für ein eine herrliche Art von Werktätigkeit!
    Wunderlich. Wundersam. Wunderbar.

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  2. Ist dies nicht ein Irrtum mit dem Bären, der den Mann verschlingt? Gibt es irgendein Raubtier, dem der Mensch als Beute schmeckt - in dem Sinne, daß es ihn fressen würde?
    Ich meine, daß Raubtiere nicht andere "Raubtiere" fressen (ausgenommen der Mensch).

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  3. Was soll ich sagen, Shakespeare hat immer Recht!

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