Dienstag, 31. Januar 2012

eia wasser regnet schlaf


eia wasser regnet schlaf

I

eia wasser regnet schlaf
eia abend schwimmt ins gras
wer zum wasser geht wird schlaf
wer zum abend kommt wird gras
weißes wasser grüner schlaf
großer abend kleines gras
es kommt es kommt
ein fremder

II

was sollen wir mit dem ertrunkenen matrosen tun?*
wir ziehen ihm die stiefel aus
wir ziehen ihm die weste aus
und legen ihn ins gras**
mein kind im fluß ists dunkel
mein kind im fluß ists naß
was sollen wir mit dem ertrunkenen matrosen tun?
wir ziehen ihm das wasser an
wir ziehen ihm den abend an
und tragen ihn zurück
mein kind du mußt nicht weinen
mein kind das ist nur schlaf
was sollen wir mit dem ertrunkenen matrosen tun?
wir singen ihm das wasserlied
wir sprechen ihm das grasgebet
dann will er gern zurück

III

es geht es geht
ein fremder
ins große gras den kleinen abend
im weißen schlaf das grüne naß
und geht zum gras und wird ein abend
und kommt zum schlaf und wird ein naß
eia schwimmt ins gras der abend
eia regnet's wasserschlaf


Elisabeth Borchers 1960

* "was sollen wir mit dem ertrunkenen matrosen tun", What shall we do with the drunken sailor, ist ein traditioneller Shanty der englischen Matrosen.
** "gras" - Leaves of gras - Grashalme ist der Titel einer Gedichtssammlung von Walt Whitman, 1855 im Selbstverlag veröffentlicht und Grund für seine Entlassung aus dem Staatsdienst.

 
Am 20.6.1960 erschien in der FAZ dieses Gedicht und löste einen Skandal aus. Wochenlang erhielt die FAZ-Redaktion empörte Leserbriefe. Heute ist es schwer vorstellbar, dass ein Gedicht so leidenschaftliche Reaktionen hervorrufen könnte.

How to draw sailors - a drawing lessons for kids in easy steps


Ein interessanter Artikel von Ulrich Greiner über die "Frankfurter Anthologie", eine Gedichtssammlung bestehend aus bisher circa 1600 Gedichten. Seit 1974 wird in jeder Samstagausgabe der FAZ ein Gedicht veöffentlicht. Die Anthologie wird von Marcel Reich-Ranicki betreut, der auch die jährlich erscheinde Buchausgabe herausgibt. (Wiki)

1 Kommentar:

  1. Eine eigenartige Stimmung, befremdlich, verführerisch, gefährlich und sanft.Ein kindlicher alter Albtraum. Da murmelt eine stille Angst, vertraut und traurig. Und doch klingen die Wörter nach wie ein tröstliches Wiegenlied.

    Die Diskussion, damals - wir sind nicht klüger oder genauer, weiter schon ga nicht. Vielleicht öffentlich weniger heftig, wenn es um Lyrik geht.

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