Mittwoch, 30. November 2011

Walter von der Vogelweide - „Magdeburger Weihnacht“ ein Ausschnitt


Der Dom Sankt Mauritius und Katharinen in Magdeburg
 
Der Magdeburger Dom ist wunderschön. Die Stadt in Schutt und Asche nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, hat, zumindest im Zentrum, den Charme der DDR-Architektur der 70er und 80er Jahre, aber der Dom und das Kloster Unserer Lieben Frauen, hinreißend.
Wenn mich mein Vater, geborener und begeisterter Magdeburger, durch die Stadt führte, war das ein ganz seltsamer Vorgang. Er sah vor seinen erinnernden Augen, die geliebte barocke Stadt des Vorkrieges, ich sah die häßliche Gegenwart.

Der Innenhof © Hans-Joachim Hellgert

Am Weihnachtstag 1199 war im ottonischen Kaiserdom zu Magdeburg Philipp von Schwaben, der Konkurrent Ottos IV., zum deutschen König gekrönt worden – Otto selbst hatte in der Krönungskirche in Aachen dieselbe Prozedur durchlaufen. Walther von der Vogelweide, der auch Otto IV. in einem Lied, dem Ottenton, feierte, hatte mit seinem Sangspruch zur Magdeburger Weihnacht dem Konkurrenten Philipp gehuldigt.
Es war das letzte glanzvolle Fest im ottonischen Bau. Am Palmsonntag 1207 zieht der neue Erzbischof Albrecht glanzvoll hier ein – wenige Tage später, am Karfreitag, wird der gewaltige Bau ein Opfer der Flammen. 

Der II. Spruch aus dem 1. Philippston Walthers von der Vogelweide: „Magdeburger Weihnacht“
Walther von der Vogelweide, damals Parteigänger der Staufer, schildert Vorgänge von der Magdeburger Weihnacht 1199 , einem „unglaublich großartig“, wie Zeitgenossen überliefern, verlaufenen Fest, das Philipps Kanzler Konrad zur Herrschaftsdarstellung Philipps im Thronstreit in Szene gesetzt hatte.
Ez gienc eines tages, als unser hêrre wart geborn
von einer maget, die er im ze muoter hât erkorn,
ze Megdeburc der künic Philippes schône.

da gienc eins keisers bruoder und eins keisers kint
in einer wât, swie doch die namen drîge sint,
er truoc des rîches zepter und die krône.
Er trât vil lîse, im was niht gâch,

im sleich ein hôhgeborne küniginne nâch,
rôse âne dorn, ein tûbe sunder gallen.
diu zuht was niener anderswâ,
die Düringe und die Sahsen dienten alsô dâ,
daz ez den wîsen müeste wol gevallen.
Textvorlage: Walther von der Vogelweide. Leich, Lieder, Sangsprüche. 14. völlig neubearbeitete Auf- lage der Ausgabe Karl Lachmanns, hrsg. v. Christoph Cormeau. Walter de Gruyter Berlin, New York 1996, S.37
Die Düringe und die Sahsen dienten im Rahmen der Magdeburger Prozession Philipp von Schwaben. Der Grund der Erwähnung des Dienstes im Spruch zur Magdeburger Weihnacht und seine Art unterscheiden sich. Walther von der Vogelweide meinte mit dem Dienst der Sahsen vermutlich den Dienst Bernhard von Sachsen. Dieser führte im Rahmen der Prozession den Schwertträgerdienst aus. Im Bericht in der Halberstädter Bischofschronik über die Magdeburger Weihnacht fand dies Erwähnung, was ein Indiz für die Wichtigkeit des Schwertträgerdienstes war. Mit dem Dienst der Düringe bezeichnete Walther vermutlich den Dienst des Landgrafen Hermann von Thüringen im Rahmen der Magdeburger Prozession. Der Dienst Hermanns von Thüringen fand nicht an exponierter Stelle statt. Es liegen auch keine Quellen vor, die die Form des Dienstes des Hermanns von Thüringen beschreiben. Nellmann geht davon aus, dass der Dienst darin bestanden habe, dass „der Landgraf (und sein Gefolge) sich an der ihm zukommenden Stelle in der Prozession einreihte“.
Philippes ist die abgeschwächte lateinische Namensform von Phillip.
Drei Personen waren in Philipp vereinigt: der König, eines Kaisers Sohn und eines Kaisers
Bruder: kürzer konnte sein Anspruch auf die königliche Würde nicht 
dargethan werden. 
Irene hieß in Deutschland Maria, deren Beinamen hier auf sie übertragen werden. 

 Dieses Herrscherpaar im Magdeburger Dom wurde als Otto I und Edgitha angesehen. Möglicherweise stellen die Figuren aber auch "König der Könige und Ecclesia" dar, also Jesus, und die personifizierte Darstellung der christlichen Kirche.

Dienstag, 29. November 2011

bisschen - bißchen und die blöde neue deutsche Rechtschreibung


Ein bisschen, ein kleiner Biss, weniger als ein wenig, ein indeklinables Indefinitpronomen - was für ein Wort, und bedeutet doch nur, dass ein bisschen nicht veränderbar ist. Meist wird es in Verbindung mit »ein«, in der Funktion eines Adverbs gebraucht. Ein bisschen Liebe, ein bisschen Hoffnung zum Beispiel. Ein bisschen sieht nach der Neuen deutschen Rechtschreibung nur leider aus wie ein bischen, grob und unelegant. Ein bißchen dagegen, da sieht man den Biss, Biß. Nicht viel, nur einen kleinen Happen, Bissen, scharfe Zähne, schneller Biss/Biß, ein kurzer Schmerz und Viel bleibt übrig. Ach, du liebes bisschen! Ach, du liebes bißchen! Ein kleines bisschen Bisschen oder ein kleines bißchen Bißchen? Ich, heute, über 50 und kein bißchen weiser, bestehe auf das bißchen und schäme mich kein bißchen dafür, sollen doch die doofen Germanisten alle mal ein bißchen leise sein, schreiben zielt doch auch auf das Auge, "das Auge liest mit" sozusagen, und außerdem, solange wir Stängel, aber nicht Ältern schreiben sollen, bleibt die ganze Reform sowieso ein großer Quatsch. Wie Kaiser Wilhelm sagte, bei der vorletzen Rechtschreibereform, reformiert nur ruhig weiter und macht Tür aus Thür und Tor aus Thor, aber Thron bleibt Thron, denn der ist meiner. Ein bißchen Freiheit!!!!

Ein bisschen mehr Freude

Ein bisschen mehr  Freude und weniger Streit,
ein bisschen mehr Güte und weniger Neid,
ein bisschen mehr Liebe und weniger Haß,
ein bisschen mehr Wahrheit, das wär doch was!

Statt soviel Unrast ein bisschen Ruh,

Statt immer nur ich bisschen mehr du,
statt Angst und Hemmung ein bisschen mehr Mut
und Kraft zum Handeln, das wäre gut.

Kein Trübsal und Dunkel, ein bisschen mehr Licht,

kein quälend Verlangen, ein froher Verzicht,
und viel mehr Blumen, solange es geht,
nicht erst auf Gräbern, denn da blühn sie zu spät.
Peter Rosegger

ODER:

Ein bißschen mehr Freude

Ein bißschen mehr Freude und weniger Streit,
ein bißschen mehr Güte und weniger Neid,
ein bißschen mehr Liebe und weniger Haß,
ein bißschen mehr Wahrheit, das wär doch was!

Statt soviel Unrast ein bißschen Ruh,

Statt immer nur ich bißschen mehr du,
statt Angst und Hemmung ein bißschen mehr Mut
und Kraft zum Handeln, das wäre gut.

Kein Trübsal und Dunkel, ein bißschen mehr Licht,

kein quälend Verlangen, ein froher Verzicht,
und viel mehr Blumen, solange es geht,
nicht erst auf Gräbern, denn da blühn sie zu spät.
Peter Rosegger


Blogeintrag von anama vom 12.12.2010 
Nach der „Neuen deutschen Rechtschreibung“ heißt es „ein bisschen“. In der alten Rechtschreibung wurde dieser Ausdruck noch „ein bißchen“ geschrieben.
Nun gibt es aber eine Faustregel, über die man sich ganz gut merken kann, wann das Doppel-S und wann das SZ (also ß) richtig ist:
Ist der Vokal davor ein kurzer, wie bei Kuss, Küsse, Nuss, müssen, Biss, Klasse – dann folgt das Doppel-S.
Ist es ein langer Vokal oder ein Doppel-Vokal wie eu, äu oder ei, wie bei Muße, in Maßen, Kloß, beißen, folgt das SZ, also ß.

Mir fällt da eine Geschichte ein, an der man sich das vielleicht merken kann. In der Grundschule fuhren wir mal auf Klassenfahrt, und die Lehrerin diktierte uns, was mir mitnehmen sollen. „Süßigkeiten in Maßen“ war auch dabei. Ich altkluges kleines Ding zeigte auf und sagte, alle sollten doch darauf achten, dass sie das wirklich mit ß schreiben, damit die Eltern nicht denken, sie müssten Süßigkeiten in Massen einpacken.
 
 

Weihnachtshorror mit selbstmordenden Häschen

Warnung! Nichts für zarte Gemüter!

Bunny Suicides, oder Häschen Selbstmorde, ist eine der gemeinsten Cartoonserien, die ich je gesehen habe. Auf jeder Seite, der mittlerweile drei Bücher, eine neue Variante, wie sich ein Hase zu Tode bringt. Warum er das will, wird nicht erklärt. Der Zeichner heisst Andy Riley, und der Titel des ersten Buches war: The Book of Bunny Suicides: Little Fluffy Rabbits Who Just Don't Want to Live Any More = Das Buch der Häschen Selbstmorde: Kleine Fluffige Hasen, Die Einfach Nicht Mehr Leben Wollen.
 






Montag, 28. November 2011

Mamas Rotkohlrezept


 
Mamas Rotkohlrezept

2 Gläser Kühne Rotkohl!
ca. 200 g Gänseschmalz
4 – 5 Nelken
1 Handvoll Rosinen

Lange, lange schmoren lassen
ab und zu nachsehen, ob noch Flüssigkeit im Topf ist.
 
Rotkraut bleibt Rotkraut und Blaukraut bleibt Blaukraut!
Wiki: Das Rotkraut besitzt eine Farbe, die genau zwischen rot und blau liegt. Im Mittelalter existierte noch kein Begriff für diesen Zwischenton. „Lila“ – ein Wort arabischen Ursprungs – kennt die deutsche Sprache erst seit dem 18. Jahrhundert, es gab nur die Volltonadjektive „blau“ und „rot“. In den deutschen Regionen fielen die Entscheidungen für den Rotkohl unterschiedlich aus. Das deutsche Sprachgebiet kannte im Süden vornehmlich das Kraut, im Norden eher den Kohl.
 
Die Engländer nennen es übrigens Red oder Blue Kraut und deren Kosename für uns Deutsche ist: Krauts! Weil deutsche Seeleute immer Sauerkraut auf ihren Schiffen mitführten gegen die Skorbut. Die Engländer nutzten anstattdessen Zitronensaft - lemons or limes - und wurden von Amerikanern darum ihrerseits Limeys genannt. Der Spitzname der Briten für Franzosen ist übrigens Frogs, Frösche.

Ein Weihnachtsengel


 
"Die Fähigkeit sich zu freuen, ist das Talent aufmerksam zu sein."
"The capacity for delight is the gift of paying attention." 


Julia Margaret Cameron, viktorianische Photographin, 1815 in Kalkutta/Indien geboren, 1879 in Ceylon gestorben., Großtante von Virginia Woolf.



Sonntag, 27. November 2011

Coca Cola und der Weihnachtsmann

Coca Cola hat den Weihnachtsmann erfunden! Nein, natürlich nicht, aber das Bild des fetten, lustigen Mannes mit weissem Bart, rotem Mantel und fellumrandeter Zipfelmütze, das wir im kollektiven Kitschbildergedächtnis mit uns herumtragen, das als Vorlage für all die schlechtschmeckenden Hohlkörper-Schokoladenfiguren dient und als Kostümentwurf für weihnachtliches Kindererschrecken genutzt wird, hat sich ein schwedischer Werbegraphiker namens Haddon Sundblom 1931 für Coca Cola einfallen lassen.


1822 schrieb Clement Clarke Moore, Professor an der Columbia Universität von New York, zum Entzücken seiner sechs Kinder "A Visit from St. Nicholas." Hier ist St. Nikolaus noch ein Zwerg und raucht Pfeife. heute kennt man dieses Gedicht übrigens unter dem Titel "The Night before Christmas", fast jedes amerikanische Kind kann es auswendig.
In der Mitte des 19. Jahrhunderts zeichnet dann der Cartoonist Thomas Nast für Harper's Illustrated Weekly  seine Version des Weihnachtsmannes erst in schwarz-weiss, dann später auch bunt. Rot ist der Mantel schon, wenn auch noch nicht knallrot, aber das Bild formt sich.
1931, die Umsätze für Kaltgetränke lassen in den Wintermonaten zu wünschen übrig. Was tun? Eine Werbe-Kampagne! Und was für eine. Das Bild des dicken Mannes überschwemmte das amerikanische Land als Anzeige in Magazinen, man bedenke, das dies noch vor der Herrschaft der Fernsehwerbung stattfindet, und als Werbesammlerstück. Coca Cola läßt sich das Rot des Mantels patentieren und für 35 Jahre ist der Dicke Werbegesicht für Zuckerbrause.

Das Gedicht von Clement Clarke Moore übersetzt von Erich Kästner (1947)

Als der Nikolaus kam

In der Nacht vor dem Christfest, da regte im Haus
sich niemand und nichts, nicht mal eine Maus.
Die Strümpfe, die hingen paarweis am Kamin
und warteten drauf, daß Sankt Niklas erschien.
Die Kinder lagen gekuschelt im Bett
und träumten vom Apfel- und Nüsseballett.

Die Mutter schlief tief, und auch ich schlief brav,
wie die Murmeltiere im Winterschlaf,
als draußen vorm Hause ein Lärm losbrach,
daß ich aufsprang und dachte: Siehst rasch einmal nach!
Ich rannte zum Fenster, und fast noch im Lauf
stieß ich die knarrenden Läden auf.

Es hatte geschneit, und der Mondschein lag
so silbern auf allem, als sei's heller Tag.
Acht winzige Rentierchen kamen gerannt,
vor einen ganz, ganz kleinen Schlitten gespannt!
Auf dem Bock saß ein Kutscher, so alt und so klein,
daß ich wußte, das kann nur der Nikolaus sein!

Die Rentiere kamen daher wie der Wind,
und der Alte, der pfiff, und er rief: "Geschwind!
Renn, Renner! Tanz, Tänzer! Flieg, fliegende Hitz'!
Hui, Sternschnupp'! Hui, Liebling! Hui, Donner und Blitz!
Die Veranda hinauf, und die Hauswand hinan!
Immer fort mit euch! Fort mit euch! Hui, mein Gespann!"

Wie das Laub, das der Herbststurm die Straßen lang fegt
und, steht was im Weg, in den Himmel hoch trägt,
so trug es den Schlitten auf unser Haus
samt dem Spielzeug und samt dem Sankt Nikolaus!
Kaum war das geschehen, vernahm ich schon schwach
das Stampfen der zierlichen Hufe vom Dach.

Dann wollt' ich die Fensterläden zuzieh'n,
da plumpste der Nikolaus in den Kamin!
Sein Rock war aus Pelzwerk, vom Kopf bis zum Fuß.
Jetzt klebte er freilich voll Asche und Ruß.
Sein Bündel trug Nikolaus huckepack,
so wie die Hausierer bei uns ihren Sack.

Zwei Grübchen, wie lustig! Wie blitzte sein Blick!
Die Bäckchen zartrosa, die Nas' rot und dick!
Der Bart war schneeweiß, und der drollige Mund
sah aus wie gemalt, so klein und halbrund.
Im Munde, da qualmte ein Pfeifenkopf,
und der Rauch, der umwand wie ein Kranz seinen Schopf.

Ich lachte hell, wie er so vor mir stand,
ein rundlicher Zwerg aus dem Elfenland.
Er schaute mich an und schnitt ein Gesicht,
als wollte er sagen: "Nun, fürchte dich nicht!"
Das Spielzeug stopfte er, eifrig und stumm,
in die Strümpfe, war fertig, drehte sich um,
hob den Finger zur Nase, nickte mir zu,
kroch in den Kamin und war fort im Nu!

In den Schlitten sprang er und pfiff dem Gespann,
da flogen sie schon über Tal und Tann.
Doch ich hört' ihn noch rufen, von fern klang es sacht:
"Frohe Weihnachten allen, und allen gut' Nacht!"

 

Für Interessierte:

"Für Gott, Vaterland und Coca-Cola: Die unautorisierte Geschichte der Coca-Cola Company" Marc Pendergast

http://www.angelfire.com/trek/hillmans/xmascoke.html

Dieser Artikel von Bill Hillman lieferte viele der obigen Informationen.

Samstag, 26. November 2011

Zum Advent: Michael Faraday 1860 - Die Kerze

Der Text einer Vorlesung für Kinder, die Michael Faraday, der bedeutende englische Experimentalphysiker, eben der mit dem Käfig, an der Königlichen Institution London gehalten hat. Er gründete diese Veranstaltungen für Kinder 1826, eine Tradition, die noch heute weitergeführt wird. 


Die Kerze


Ihre Flamme. Schmelzen des Brennstoffs. Kapillarität des Dochtes. Die Flamme ein brennender Dampf. Gestalt und Theile der Flamme. Deraufsteigende Luftstrom. Andere Flammen

Schon bei einer früheren Gelegenheit wählte ich die Naturgeschichte einer Kerze zum Thema meines Vortrags, und stände die Wahl nur in meinem Belieben, so möchte ich dieses Thema wohl jedes Jahr zum Ausgang meiner Vorlesungen nehmen, so viel Interessantes, so mannigfache Wege zur Naturbetrachtung im Allgemeinen bietet dasselbe dar. Alle im Weltall wirkenden Gesetze treten darin zu Tage, und schwerlich möchte sich ein bequemeres Thor zum Eingang in das Studium der Natur finden lassen.

Vorweg möchte ich mir die Bitte an meine Zuhörer erlauben, bei aller Bedeutung unseres Gegenstandes und allem Ernst der wissenschaftlichen Behandlung desselben doch von den Älteren unter uns absehen zu dürfen und das Vorrecht zu beanspruchen, als junger Mann zu jungen Leuten zu sprechen, wie ich es früher bei ähnlicher Veranlassung gethan, und wenn ich mir auch bewußt bin, daß meine hier gesprochenen Worte in weitere Kreise hinausdringen, so soll mich dies doch nicht abhalten, den früher gewohnten Familienton gegen die mir Nächststehenden auch in den gegenwärtigen Vorlesungen anzuschlagen.

Zuerst muß ich Euch, meine lieben Knaben und Mädchen, wohl erzählen, woraus Kerzen verfertigt werden. Da lernen wir denn ganz sonderbare Dinge kennen.
Hier habe ich etwas Holz, Baumzweige, deren leichte Brennbarkeit Euch ja bekannt ist - und hier seht Ihr ein Stückchen von einem sehr merkwürdigen Stoffe, der in einigen Moor-Sümpfen Irlands gefunden wird, sogenanntes "Kerzenholz" es ist dies ein vorzüglich hartes, festes Holz, als Nutzholz vortrefflich verwendbar, da es sich sehr dauerhaft zeigt, bei alledem aber so leicht brennend, daß man an seinen Fundorten Späne und Fackeln daraus schneidet, die wie Kerzen brennen und wirklich ausgezeichnetes Licht geben, so daß wir hierin die natürlichste Kerze, eigentlich eine Naturkerze vor uns sehen.
Wir haben hier indeß besonders von Kerzen zu sprechen, wie sie im Handel vorkommen. Hier sind zunächst etliche sogenannte gezogene Lichte. Dieselben werden auf folgende Weise verfertigt: Baumwollene Schnüre werden mit einer Schlinge an einem Stab aufgehängt, in geschmolzenen Talg eingetaucht, herausgezogen und abgekühlt dann wieder eingetaucht, und dieses Verfahren so lange fortgesetzt, bis eine genügende Menge Talg rings um den baumwollenen Docht hängen geblieben ist, und so die Kerze die gewünschte Dicke erhalten hat.
Die große Verschiedenartigkeit der Kerzen könnt Ihr recht deutlich an denen sehen, welche ich hier in der Hand halte, diese sind auffällig dünn, sie wurden ehedem von den Bergleuten in den Kohlenbergwerken gebraucht. In früheren Zeiten mußte sich der Bergmann seine Kerzen selbst verfertigen aus Sparsamkeit nun, besonders aber wohl, weil man der Meinung war, die Grubengase würden von einer kleinen Flamme nicht so rasch entzündet wie von einer großen, machte man die Kerzen so dünn, daß 20, 30, 40, ja 60 auf das Pfund gingen. Statt ihrer kamen die Davy'sche und verschiedene andere Sicherheitslampen in Gebrauch.
Hier seht Ihr dagegen eine Kerze, welche Oberst Pasley aus dem untergegangenen Schiff Royal George entnommen hat. Viele Jahre lang auf dem Meeresgrund der Einwirkung des Seewassers ausgesetzt, überdies geschunden und zerknickt, zeigt sie uns, wie gut sich eine Kerze conserviren kann: denn angezündet brennt sie ganz gleichmäßig fort, und der schmelzende Talg bewährt sich völlig in seinen ursprünglichen Eigenschaften.
Herr Field in Lambeth hat mir viele sehr gute Zeichnungen und Materialien aus der Kerzenfabrikation zugestellt, mit denen ich Euch bekannt machen werde.
Hier zunächst ist Nierenfett, Rindertalg, ich glaube russischer Talg, aus dem die gezogenen Lichte gemacht werden. Der Talg wird zuerst mit gelöschtem Kalk gekocht, wodurch eine Art Seife gebildet wird diese Seife wird dann durch Schwefelsäure zersetzt, welche den Kalk fortnimmt und das veränderte Fett als Stearinsäure zurückläßt. Zugleich wird etwas Glycerin, eine syrupartige Flüssigkeit, gebildet.
Durch Auspressen wird sodann alles Oelige entfernt, und Ihr seht hier einige Preßkuchen, an denen sich zeigt, daß die Unreinigkeiten je nach der Stärke des Druckes allmählich mehr und mehr entfernt werden, die zurückgebliebene Masse wird nun geschmolzen und zu Kerzen gegossen, wie sie hier vor uns liegen. Die Kerze, welche ich hier in der Hand habe, ist eine auf dem beschriebenen Wege hergestellte Stearinkerze.
Daneben habe ich eine Wallrathkerze, aus dem gereinigten Fett des Pottfisches verfertigt ferner seht Ihr hier gelbes und weißes Wachs, woraus Kerzen gemacht werden hier eine merkwürdige Substanz, das aus irischen Sümpfen gewonnene Paraffin, so wie einige Paraffinkerzen.
Seht, wie wunderschön diese Kerzen hier gefärbt sind! Malvenblau, Magenta und alle die neu erfundenen prächtigen Farben sind zur Verschönerung verwendet.
In dieser Kerze hier zeigt sich in wundervoller Form eine gekehlte Säule, und hier habe ich mit bunten Blumen schön bemalte Kerzen, die angezündet eine strahlende Sonne und darunter einen blühenden Garten darstellen. Indeß, nicht alles Schöne ist nützlich, und diese gekehlten Kerzen sind bei ihrem schönen Ansehen doch schlechte Kerzen, und zwar gerade infolge ihrer Form durch dergleichen Verfeinerungen wird meistens die Brauchbarkeit beeinträchtigt.

Ich wende mich nunmehr zu unserem eigentlichen Thema, zunächst zur Flamme der Kerze. Wir wollen eine oder zwei anzünden und so in Ausübung ihrer eigenthümlichen Functionen setzen. Ihr bemerkt, wie ganz verschieden eine Kerze von einer Lampe ist. Bei einer Lampe hat man den mit Oel gefüllten Behälter, in welchen der aus Moos oder Baumwolle bereitete Docht gebracht wird das Dochtende zündet man an, und wenn die Flamme bis zum Oel hinabgekommen, verlöscht sie dort, brennt aber in dem höher gelegenen Theile des Dochtes fort. 

Nun werdet Ihr unzweifelhaft fragen, wie es kommt, daß das Oel, welches für sich nicht brennen will, zur Spitze des Dochtes gelangt, wo es brennt, wir werden das sogleich untersuchen. Aber bei dem Brennen einer Kerze geschieht noch etwas weit Merkwürdigeres. Hier haben wir eine feste Masse, die keinen Behälter braucht - wie kann wohl diese Masse da hinaufgelangen, wo wir die Flamme sehen, da sie doch nicht flüssig ist? Oder, wenn sie in eine Flüssigkeit verwandelt ist, wie kann sie dabei doch in festem Zusammenhalt bleiben?

Wahrlich ein merkwürdig Ding, so eine Kerze!

Da bemerken wir denn zunächst, wie die oberste Schicht der Kerze gleich unter der Flamme sich einsenkt zu einer hübschen Schale. Die zur Kerze gelangende Luft nämlich steigt infolge der Strömung, welche die Flammenhitze bewirkt, nach oben und kühlt dadurch den Mantel der Kerze ab, also daß der Rand des Schälchens kühler bleibt und weniger einschmilzt als die Mitte, während auf diese die Flamme am meisten einwirkt, da sie so weit als möglich am Docht herabzulaufen strebt.
So lange die Luft von allen Seiten gleichmäßig zuströmt, bleibt unser Schälchen vollkommen wagrecht, sodaß die darin schwimmende geschmolzene Kerzenmasse ebenfalls wagrecht darin stehen bleiben muß stelle ich aber einen seitlichen Luftstrom her, so wird alsbald das Schälchen schief und läuft die flüssige Masse an der Seite herab - jenes wie dieses nach demselben Gesetz der Schwere, welches die Welten treibt und zusammenhält. Ihr seht also, daß die Schale durch den gleichmäßig aufsteigenden Luftstrom gebildet wird, welcher das Aeußere der Kerze von allen Seiten umspielt und es dadurch kalt hält. Nur solche Stoffe können zu Kerzen verwendet werden, welche die Eigenschaft besitzen, beim Brennen ein derartiges Schälchen zu bilden.

Wie gelangt der Brennstoff der Kerze aus dem Schälchen den Docht hinauf an den Verbrennungsort? Ihr wißt, daß bei Wachs-, Stearin-, Wallrathkerzen die Flamme am brennenden Docht nicht herunterläuft zum Brennstoff und diesen ganz fortschmilzt, sondern daß sie an ihrem Platze oben bleibt, getrennt von dem Flüssigen darunter und ohne sich an dem Rand der Schale zu vergreifen. Ich kann mir kein schöneres Beispiel von Anpassung denken: Um die beste Wirkung hervorzubringen, ist in der Kerze jeder Theil dem andern dienstbar. Es ist mir ein wundervoller Anblick, diesen brennbaren Stoff so allmählich abbrennen zu sehen, ohne je von der Flamme ergriffen zu werden, zumal wenn man dabei erwägt, welche Kraft der Flamme innewohnt, das Wachs zu zerstören, wenn sie ihm zu nahe kommt.

Wie aber erfaßt nun die Flamme den Brennstoff? Durch kapillare Anziehung!

"Kapillare Anziehung?" fragt Ihr. "Haarröhrchen-Anziehung?" Nun, der Name thut nichts zur Sache - man hat ihn zu Zeiten gegeben, wo man noch gar kein rechtes Verständniß von der Kraft hatte, die er bezeichnen sollte. Die Wirkung dieser sogenannten Kapillaranziehung ist, daß der Brennstoff an den Verbrennungsort hingeleitet und abgesetzt wird, und zwar nicht von ungefähr, sondern hübsch ordentlich grade in die Mitte des Herdes, auf dem der Prozeß vor sich geht.
Vermöge dieser Kraft können zwei Körper, die nicht in einander übergehen, doch an einander haften. Wie Ihr nach dem Händewaschen ein Handtuch nehmt, das die Nässe von den Händen aufsaugt, so saugt der Docht infolge derselben Attraction das Wachs, Stearin etc. in sich hinein und bis zur Flamme hinauf.
Ich kannte einige unordentliche Kinder, die nach dem Abtrocknen der Hände das Handtuch nachlässig über den Waschbeckenrand hinwarfen nach kurzer Zeit hatte das Tuch alles Wasser aus dem Becken auf die Dielen geleitet, weil es zufällig so auf den Rand zu liegen gekommen war, daß es als Heber wirken konnte. In gleicher Weise nun steigen beim Brennen die geschmolzenen Wachstheilchen im Docht empor und gelangen in die Spitze andere Theilchen wandern infolge ihrer gegenseitigen Anziehung ihnen nach, und die einen nach den andern werden, wie sie nach und nach in die Flamme eintreten, so von dieser verzehrt.
Der einzige Grund nun, weshalb eine Kerze nicht ohne Weiteres längs des Dochtes herabbrennt, liegt darin, daß geschmolzener Talg die Flamme auslöscht. Ihr wißt, daß eine Kerze sofort ausgeht, wenn man sie umdreht, so daß der geschmolzene Brennstoff im Docht zur Spitze fließen kann. Es kommt dies daher, daß die Flamme nicht Zeit genug hat, den jetzt in größerer Menge schmelzenden Brennstoff gehörig zu erhitzen, wie sie es von oben thut, wo nur kleinere Quantitäten nach und nach schmelzen, im Docht aufsteigen und die Hitze ihre volle Wirkung auf dieselben ausüben kann.

Wir gelangen jetzt zu einem sehr wichtigen Punkt in unserer Betrachtung, ohne dessen eingehende Erörterung Ihr nicht im Stande wäret, den Vorgang in der Kerzenflamme vollkommen zu verstehen ich meine den gasförmigen Zustand des Brennstoffs. Damit Ihr mich recht versteht, will ich Euch ein ebenso niedliches wie einfaches Experiment zeigen. Wenn Ihr eine Kerzenflamme vorsichtig ausblast, seht Ihr Dämpfe davon emporsteigen Ihr habt sicherlich schon oft den Dampf einer ausgeblasenen Kerze gerochen - es ist ein sehr unangenehmer Geruch. Geschieht aber, wie ich sagte, das Ausblasen recht vorsichtig, so kann man ganz deutlich den Dampf sehen, in welchen sich die feste Masse der Kerze verwandelt hat.

Ich werde jetzt eine dieser Kerzen so ausblasen, daß die Luft ringsherum dabei nicht bewegt wird, nämlich mit Hilfe beständig anhaltender Einwirkung meines Athems und wenn ich nun einen brennenden Span dem Docht auf 2 bis 3 Zoll nähere, so bemerkt Ihr einen Feuerschein, der durch den Dampf hindurchzuckt, bis er zur Kerze gelangt. Mit all dem muß ich sehr rasch fertig werden, weil sich der Dampf, wenn ich ihm Zeit zum Abkühlen lasse, in flüssiger oder fester Form verdichtet, oder der Strom entzündbarer Substanz sich zerstreut.

Wir kommen jetzt zu Umriß und Gestalt der Flamme. Ihr kennt die glänzende Schönheit des Goldes und des Silbers, das noch hellere Schimmern und Glitzern der Edelsteine, wie Rubin und Diamant - aber nichts kommt dem Glanz und der Schönheit einer Flamme gleich. Sie bildet einen unten abgerundeten Kegel, oben heller als unten, den Docht in der Mitte. Unten, in der Nähe des Dochtes, unterscheidet man deutlich einen dunkleren Theil, in welchem die Verbrennung noch nicht so vollständig ist als in den höheren Partien.
Jetzt werde ich das Sonnenlicht nachahmen, indem ich diese Volta'sche Säule mit einer electrischen Lampe in Verbindung setze. Hier steht unsere selbstgeschaffene Sonne und ihre große Lichtfülle! Wenn ich nun zwischen sie und diesen Schirm eine Kerze stelle, so erhalten wir hier den Schatten der Flamme. Ihr unterscheidet deutlich den Schatten der Kerze und des Dochtes dann hier den dunklen Theil, dann eine hellere Partie. Es ist merkwürdig, daß wir den Theil der Flamme im Schatten als den dunkelsten sehen, der in Wirklichkeit der Hellste ist. Hier endlich zeigt sich der aufsteigende Luftstrom, der die Flamme nährt, sie mit sich emporzieht und den Rand des Brennschälchens abkühlt.

Nun muß ich Eure Aufmerksamkeit auf einige andere Punkte lenken. Viele der hier brennenden Flammen weichen in ihrer Form bedeutend von einander ab, und zwar wiederum infolge der Luftströme, die sie in verschiedenen Richtungen umwehen. Andererseits aber können wir auch Flammen herstellen, die wie feste Körper stehen bleiben, sodaß wir sie bequem photographiren können - und letzteres müssen wir auch wirklich thun, um noch mancherlei daran zu untersuchen. Nehme ich eine hinlänglich große Flamme, so behält sie nicht die gleichmäßige bestimmte Gestalt, sondern sie verzweigt sich mit einer ganz wunderbaren Kraft.


Gewiß haben Viele von Euch sich schon am Snapdragon ergötzt, welches Spiel im Wesentlichen darin besteht, im Dunkeln Branntwein über Rosinen oder Pflaumen in einer Tasse abbrennen zu lassen. Ich kenne keine schönere Erläuterung zu diesem Theil unseres Gegenstandes, als jenes Spiel. Hier habe ich zunächst eine Schale und bemerke dabei, daß man, um ein recht schönes Snapdragon zu bekommen, eine vorher gut erwärmte Schale nehmen muß auch sollte man die Pflaumen und den Branntwein vorher erwärmen.
Wie wir bei einer Kerze oben das Schälchen und darin den geschmolzenen Brennstoff haben, so hier die Schale mit dem Spiritus darin, während der Docht hier von den Rosinen vertreten wird. Ich zünde jetzt den Spiritus an, und Ihr seht nun die wundervollen Flammenzungen emporschlagen Ihr seht, wie die Luft über den Schalenrand hineinsteigt und diese Zungen emportreibt. Wie so? Nun, bei der Heftigkeit der Luftströmung und der Unregelmäßigkeit des Vorganges kann die Flamme nicht in einem Zuge gleichmäßig emporsteigen. Die Luft fließt so unregelmäßig in die Schale hinein, daß Ihr das, was sich sonst als einheitliches Bild darstellen würde, in eine Menge verschiedener Gestaltungen zerrissen seht, von denen jede ihre eigene unabhängige Existenz besitzt. Ich möchte fast sagen, wir sähen hier eine Anzahl einzeln für sich bestehender Kerzen vor uns. Aber Ihr müßt Euch nicht vorstellen, daß, weil man alle diese Zungen auf einmal sieht, ihr Gesammtbild die eigenthümliche Gestalt der Flamme darstelle. Es ist eine Menge von Formen, die so rasch auf einander folgen, daß das Auge sie nicht einzeln zu fassen im Stande ist, sondern den Eindruck von allen gleichzeitig empfängt.
Es thut mir leid, daß wir heute nicht weiter als zu meinem Snapdragon-Spiel gekommen sind. Es soll mir aber für die Zukunft eine Mahnung sein, mich strenger an die Sache zu halten, und Eure Zeit nicht so sehr mit dergleichen Ausschmückungen in Anspruch zu nehmen.




Advent - Ankunft


Eine kurze Vorwarnung für die nächste Zeit: ich liebe Weihnachten! Ich weiss, das ist nicht trendy, nicht schick, nicht modern, aber ich liebe es. Nicht den Einkaufszwang, nicht niedliche kleine Plastikrentiere und getöpferte Weihnachtsmänner, nicht Volksmusikverbände, die zarte heimelige Lieder mit gefühlsimitiertem Timbre über kaufrauschgetränkte Märkte schmieren. Aber:

Es ist ein Ros entsprungen
Aus einer Wurzel zart.
Wie uns die Alten sungen,
Aus Jesse kam die Art Und hat ein Blümlein bracht,
Mitten im kalten Winter,
Wohl zu der halben Nacht.

Das Röslein das ich meine,
Davon Jesaia sagt:
Maria ist's, die Reine,
Die uns das Blümlein bracht.
Aus Gottes ew'gen Rat
Hat sie ein Kind geboren
Wohl zu der halben Nacht.

Das Bümelein so kleine,
Das duftet uns so süß,
Mit seinem hellen Scheine
Vertreibt's die Finsternis.
Wahr' Mensch und wahrer Gott,
Hilf uns aus allem Leide,
Rettet von Sünd' und Tod.

O Jesu, bis zum Scheiden
Aus diesem Jammertal
Laß Dein Hilf uns geleiten
Hin in den Freudensaal,
In Deines Vaters Reich,
Da wir Dich ewig loben.

Das ist schön. Und dabei bin ich nicht mal ein bißchen religiös. Aber ich liebe diese Geschichte, von dem Mann der sich einer Frau verlobt, die plötzlich schwanger ist, ohne sein Zutun, und er will sie verlassen und bringt es nicht über sich. Die Reise auf dem Esel, der Horror des Kindermordes, von dem die künftige Kleinfamilie nichts weiss, der Stall und die Schafshirten, die sich freuen, zusammen mit Ochs, Esel und Schaf. Die drei verwirrten Könige, die auf eine Ahnung hin weit reisen, um zu einer Geburt zu gratulieren. Gibt es schöneres Bild für Hoffnung? Heute hat mir eine Bekannte, die Krankenschwester werden will, von der ersten Geburt erzählt, bei der sie heute anwesend war - ein Wunder, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ironie greift nicht. Postdramatisch? Von wegen!

Von der Freundlichkeit der Welt

Auf die Erde voller kaltem Wind
Kamt ihr alle als ein nacktes Kind.
Frierend lagt ihr ohne alle Hab
Als ein Weib euch eine Windel gab.

Keiner schrie euch, ihr wart nicht begehrt
Und man holte euch nicht im Gefaehrt.
Hier auf Erden wart ihr unbekannt
Als ein Mann euch einst nahm an der Hand.

Von der Erde voller kaltem Wind
Geht ihr all bedeckt mit Schorf und Grind.
Fast ein jeder hat die Welt geliebt,
Wenn man ihm zwei Hände Erde gibt.

"Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie werden ihm den Namen Immanuel geben», das heißt übersetzt: Gott mit uns."

Ich liebe es, mit meiner kleinen Nichte den Baum zu schmücken. Nicht ästhetisch durchgeplant, sondern bunt, solang bis kein Grün mehr zu sehen ist.
Ich liebe die Erinnerung an viele vergangene Weihnachten, an Menschen, die nicht mehr anwesend seien werden, und die Freude an den Anderen, die hinzugekommen sind.
Ich liebe es, jedes Jahr einmal genau das gleiche Essen zu essen. Mir das Hirn über das richtige, erfreuende Geschenk zu zermartern und mich auf Geschenke zu freuen.
Und dann am 27. ist Schluss damit. Das liebe ich auch.


Freitag, 25. November 2011

Joos van Craesbeeck - Die Versuchung des Heiligen Antonius


Der Ägypter Antonius verschenkte seinen Besitz, steckte seine Schwester in eine Art Kloster und zog in die Wüste, um Eremit zu werden. Er hatte zahlreiche Schüler, so einsam war der Einsiedler also nicht, und er hatte Visionen, schreckliche, verführerische, quälende, ob diese nun des Teufels waren, oder aus seinem Unterbewusstsein quollen.

Joos van Craesbeeck um 1650 Die Versuchung des heiligen Antonius

Tolles Bild! 
Versuchungen: die kleine bäuerliche Idylle rechts und der Baum ist vielleicht ein Tier, überhaupt viele Tiere, Disney-Gänse, die tanzen, saufen, brüten, eine ist sogar eine Reitgans, mit einem nackten gitarrespielenden Soldaten, als Reiter, natürlich das monstergebärende Ei, natürlich nackte Frauen und viele volle Boote und der zentrale aufgerissene Schädel.

„Wer in der Wüste sitzt und der Herzensruhe pflegt, ist drei Kämpfen entrissen: Dem Hören, dem Sehen, dem Reden. Er hat nur noch einen Kampf zu führen: den gegen die Unreinheit!“
(Zitat des Antonio Abbas aus dem Apophthegmata Patrum)


Donnerstag, 24. November 2011

Basquiat - Reitend mit dem Tod



Reitend mit dem Tod - Riding With Death (1988) 
Jean-Michel Basquiat 1960-88, dies ist möglicherweise sein letztes Bild

Julian Schnabel hat 1996 einen ganz wunderbaren Film über diesen Maler gedreht: "Basquiat" mit Jeffrey Wright in der Titelrolle und David Bowie als Andy Warhol und "Halleluja" gesungen von John Cale (Velvet Underground). Die, meiner Meinung nach, schönste Version des Leonard Cohen Songs singt allerdings Jeff Buckley.

Mittwoch, 23. November 2011

Theater hat auch einen Versprecher, manchmal auch mehr als einen


Mit vor Überzeugung glühenden Augen spricht der Märchenerzähler, Widersacher der Schneekönigin seine Worte in den noch leeren Zuschauerraum: "Wer ein heißes Herz hat, darf nichts anhaben!" Wäre auch ein Gedanke, ist dem eigentlich gemeinten allerdings nur entfernt verwandt, "Wer ein heißes Herz hat, dem kann sie nichts anhaben." wäre der gewesen.

Ist die Zunge schneller als der Kopf, der Körper noch mit verabredeten Gängen und Ähnlichem beschäftigt, oder die Gedanken gerade sowieso irgendwo ganz woanders, produzieren die Sprechwerkzeuge seriöser Spieler manchmal wunderbaren Nonsens, der Verhörern, wie "dem weißen Neger Wumbaba" aus dem Gedicht von Mathias Claudius, um nichts nachstehen.

Das wäre übrigens der "weisse Nebel wunderbar" gewesen.


Welches Glück, einen mit Stentorstimme und ebensolcher Gestik ausgestatten Großspieler zu beobachten, der anstatt der poetischen Worte des Königs Theseus im Sommernachtstraum: " Fangen diese Vögel erst jetzt sich zu paaren an?", mit wildem Blick und dem Versuch gegen Ende noch die Stimme zu lindern: "Fangen diese Paare erst jetzt sich zu ....vögeln...an?" in den, in diesem Fall, bis auf den letzten Platz gefüllten Saal des Deutschen Theaters schmettert.

Oder, die Verwunderung des Schauspielers, der die Bühne leer vorfand, nachdem er, ohne es selbst zu bemerken, das berühmte: "Wie es sich alles SCHickt und Findet" unter Verwirrung der Anfangsbuchstaben intoniert hatte. Niemand war mehr da, die anderen Beteiligten des "Kaufmanns von Venedig" lagen in den Gassen und versuchten ihr Lachen in den Griff zu bekommen.

"Ihr habt euch die Suppe eingelöffelt, jetzt müßt ihr sie auch ausbrocken.", habe ich auch gehört, oder wie wäre es mit Moliere "Don Juan": "Die Verhärtung in der Sünde führt zu einem schrecklichen Ende", klingt doch anders, als wenn die Verhärtung am Ende zu einer schrecklichen Sünde führt, oder?
 
Meine Großmutter soll eine geniale Versprecherin gewesen sein. Ob bei "morgens komm' ich immer so schwer in die Füß'. oder "So wie es wird, bleibt es nicht", anstatt des fatalistischen "so wie es ist, bleibt es" im Chor der "Mutter", hatten die auf ärmlich und leidend geschminkt und verkleideten Kollegen, in harten Kämpfe um den dialektischen Ernst zu kämpfen.

Erstaunlicherweise, wenn die Haltung stimmt, merkt das Publikum oft gar nix vom Wortsalat, so zum Beispiel, als ein von mir geliebt und verehrter Kollege sich, in einer Szene, empört mit den unsterblichen Worten an mich wandte: "Schradampf lmki Padass!".



Schnee und Schnee und Schnee


Wilson Alvyn "Snowflake" Bentley

Wilson Bentley geboren am 9. Februar 1865 in Jericho/Vermont, gestorben, passenderweise, im tiefsten Winter am 23. Dezember 1931, war Schneephotograph. Er erfand eine Methode, Schneeflocken auf schwarzem Samt einzufangen und sie dann unter dem Mikroskop zu photographieren, bevor sie schmolzen. Er fotografierte im Laufe seines Lebens mehr als 5.000 Schneekristalle und stellte die Behauptung, dass es keine zwei identischen Schneeflocken gäbe, auf, die allerdings 1988 von einer amerikanischen Forscherin widerlegt wurde, die in einem Artikel die Photos zweier völlig übereinstimmender Schneekristalle veröffentlichte.
Gefrorne Tränen
Gefrorne Tropfen fallen
Von meinen Wangen ab:
Und ist's mir denn entgangen,
Daß ich geweinet hab?

Ei Tränen, meine Tränen,
Und seid ihr gar so lau,
Daß ihr erstarrt zu Eise,
Wie kühler Morgentau?

Und dringt doch aus der Quelle
Der Brust so glühend heiß,
Als wolltet ihr zerschmelzen
Des ganzen Winters Eis.

Wilhelm Müller aus: Die Winterreise

Ein Schneekristall

Der Lindenbaum

Am Brunnen vor dem Tore
Da steht ein Lindenbaum:
Ich träumt in seinem Schatten
So manchen süßen Traum.

Ich schnitt in seine Rinde
So manches liebe Wort;
Es zog in Freud und Leide
Zu ihm mich immerfort.

Ich mußt auch heute wandern
Vorbei in tiefer Nacht,
Da hab ich noch im Dunkel
Die Augen zugemacht.

Und seine Zweige rauschten,
Als riefen sie mir zu:
»Komm her zu mir, Geselle,
Hier findst du deine Ruh!«

Die kalten Winde bliesen
Mir grad ins Angesicht,
Der Hut flog mir vom Kopfe,
Ich wendete mich nicht.

Nun bin ich manche Stunde
Entfernt von jenem Ort,
Und immer hör ich's rauschen:
Du fändest Ruhe dort!

Wilhelm Müller ebenda

Letzte Hoffnung
 
Hier und da ist an den Bäumen 
Noch ein buntes Blatt zu sehn, 
Und ich bleibe vor den Bäumen 
Oftmals in Gedanken stehn.

Schaue nach dem einen Blatte, 
Hänge meine Hoffnung dran; 
Spielt der Wind mit meinem Blatte,
 Zittr' ich, was ich zittern kann.

Ach, und fällt das Blatt zu Boden, 
Fällt mit ihm die Hoffnung ab, 
Fall ich selber mit zu Boden,
 Wein' auf meiner Hoffnung Grab.

Wilhelm Müller ebenda


Der stürmische Morgen

Wie hat der Sturm zerrissen
 Des Himmels graues Kleid! 
Die Wolkenfetzen flattern 
Umher in mattem Streit.

Und rote Feuerflammen 
Ziehn zwischen ihnen hin.
 Das nenn ich einen Morgen 
So recht nach meinem Sinn!

Mein Herz sieht an dem Himmel 
Gemalt sein eignes Bild 
Es ist nichts als der Winter, 
Der Winter kalt und wild!

Wilhelm Müller ebenda

Montag, 21. November 2011

Der Leierschwanz und Oliver Messiaen


Ein kleiner Sperlingsvogel aus Australien ist einer der besten Geräusch-Imitatoren der Welt. Der Leierschwanz, oder lyrebird, was eigentlich Leier- oder Lyravogel hieße, buhlt um sein Weibchen, indem er die Gesänge anderer Vögel, Klänge aus seiner Umgebung, wie die der Kettensägen der Waldarbeiter, oder ihr Hämmern und sogar menschliche Stimmen in seinen Lockruf einbaut. Die Weibchen können das auch, sind aber eher "verschwiegen".

1933 brachte ein australischer Ornithologe ein Buch über die Leierschwänze heraus und ihre Gesänge wurden im Radio übertragen. Oliver Messiaen, fuhr extra nach Australien und wanderte tagelang durch den Busch, um einen der Vögel "live" zu hören. Er nutzte dann deren Klangfolgen in seinem Werk L'Oiseau-Lyre et la Ville-Fiancee = Der Leierschwanz und die Braut-Stadt. (Siehe auch FAZ vom 20.11.2011)



Sonntag, 20. November 2011

Paweł Althamer: Almech


Paweł Althamer: Almech - Auftragsarbeit für das Deutsche Guggenheim, Berlin unter den Linden Ecke Friedrichstrasse

© Deutsche Guggenheim, Fotos: Mathias Schormann, Daisy Loewl
Hyperrealistischen Gipsadrücke menschlicher Gesichter und Drahtgestelle auf Rädern werden mit Plastematerial in erhitztem Zustand umwickelt und es entstehen Traumwesen. Teils körperlich, hier und da durchsichtig, ein realistischer Fuß vielleicht, der Arm ist nur ein Knochen oder nur Stoff. Die Haltungen sind wiedererkennbar, manche erinnern an pompeiianische Lavaabdrücke.

Der Vater des Künstlers hat eine kleine Kunststofffabrik (3 f!!!) in Warschau, dort stammt das Wickelmaterial her, dass aussieht wie kleine Perlen und sich erst unter Hitze in biegsamen weissen Plastestoff verwandelt. 

Die Gesichter, sind Gesichter von Ausstellungsbesuchern, dass heisst zu Beginn der Ausstellung gab es keine Ausstellung und vollständig wird sie erst am letzten Tag sein. 
A Work in progress im eigentlichen Sinne. In einem kleinen einsehbaren Raum entstehen weitere Figuren, während man sich die schon vorhandenen betrachtet.

Und die Figuren selbst? Mumien im Aufbruch, entspannte Gespenster, Flüchtlinge aus einem Kriegslazarett, mittelalterliche Heilige, Weltraumabenteurer, Engel, mittendrin ein Indianer.


© Deutsche Guggenheim, Fotos: Mathias Schormann, Daisy Loewl