Freitag, 5. August 2011

Gerechtigkeit wie geht das? - Magnus Gäfken lächelt

Ich begebe mich heute auf dünnes Eis, aber ich muss meine Gedanken ordnen und aufschreiben hilft.

Herr Magnus Gäfken hat ein Kind getötet. Der Satz selbst ist schon unerträglich. Er hat ein ein elf Jahre altes Kind getötet. Er hat, um eine Millionen Euro zu erpressen, Jakob von Metzler entführt und dann getötet. Er hat ihn erstickt und in einen Weiher geworfen.

Im Anschluß an den Erhalt des Lösegeldes hat Herr Magnus Gäfken einen Urlaub gebucht. 
Nach seiner Festnahme hat er über den Verbleib seines Opfers gelogen, die Polizei glaubte zu diesem Zeitpunkt immer noch, dass der Junge am Leben sei. Daraufhin ordnete der damalige Polizeivizepräsident an, durch Gewaltandrohungen, die aus seiner Sicht lebensrettende Aussage, zu erzwingen. Die Aussage erfolgte. Die Polizei fand die Leiche des Entführungsopfers am benannten Ort. Herr Magnus Gäfken hat ein Kind getötet.

Jetzt wurde dem wegen Mordes zu lebenslänglicher Haft ohne Bewährung Verurteilten eine Entschädigung in Höhe von 3000 Euro auf Grund der "Verletzung der Menschenwürde durch Folterandrohungen" zugesprochen. Er hatte im Verfahren mit seiner Traumatisierung durch die Folterandrohung argumentiert. Schmerzensgeld erhält er nicht.

Ich grüble seitdem. 

Die Diskussionen überschlagen sich. 
Die Bandbreite ist enorm, von moralischer Empörung über die Unsittlichkeit von Gäfkens Forderungen, bis zum wütenden Aufschrei, dass 3000 Euro zu wenig und überhaupt nicht vom Staat, sondern von den Beamten selbst zu bezahlen seien. Auch Rufe nach Gesetzesänderungen, nach Gesetzesübertretungen werden laut und es gibt viel hilflose Bestürzung.
Das letztere verstehe ich gut. Mein Bauch-Herz sagt: Rache für Kindermord. Es ist das schlimmste Verbrechen, weil es Hoffnungen tötet, weil es sicher vor gleichstarker Gegenwehr geschieht, weil Kinder töten heisst, die Welt zu töten.

Aber. Dieses schreckliche Wort. Aber.

Der Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention schreibt vor: Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

Niemand, auch nicht der, der Menschenrecht verletzt hat. Herr Magnus Gäfken ist ein Mensch, der ein Kind getötet hat.

Nach den Ereignissen des 11. Septembers 2001 hat man in den USA den USA PATRIOT Act (Uniting and Strengthening America by Providing Appropriate Tools Required to Intercept and Obstruct Terrorism Act, auf deutsch etwa: „Gesetz zur Stärkung und Einigung Amerikas durch Bereitstellung geeigneter Instrumente, um Terrorismus aufzuhalten und zu blockieren“) verabschiedet. Er schränkt die allgemeinen Bürgerrechte stark ein, er erschwert das Einreisen und er ermöglicht es, des Terrorismus verdächtige Menschen, die nicht Bürger der USA sind, ohne Begründung auf unbestimmte Zeit zu inhaftieren. Irrsinn! Aber. 

Aber, die Argumentation, die dann direkt zu den Fürchterlichkeiten von Abu Grahib führte, ist verführerisch. Diese "Terroristen" halten sich an keine rechtlichen Verabredungen, also müssen wir, um ihrer Herr zu werden, diese auch unsererseits aufgeben. Rechtlosigkeit, um das Recht zu schützen.

Wenn wir also Herrn Magnus Gäfken anders behandeln als den Schuldlosesten unter uns, machen wir uns schuldig.

Ich habe keine Ahnung, ob mir in einer wirklichen Notsituation diese Einsicht helfen würde, die richtige, rechte Entscheidung zu treffen. Ich weiss nicht einmal, ob sie mich dann noch interessieren würde.




14 Kommentare:

  1. http://networkedblogs.com/lijvN

    Kommentar der Süddeutschen Zeitung

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  2. Olaf Brühl schreibt: Du ersparst einem aber auch nichts ... Das ist doch klar. Die prügeln ungeahndet auf freundliche Demonstranten ein, die gegen Atomreaktoren, Kriegseinsätze oder Sozialabbau sind - aber bei Gefahr in Verzug, wenn ein Kommissar von so einem kalten Schnösel den Aufenrthalt des Kindes herauskriegen will, gehts plötzlich um "Menschenrechte" (bei Obdachlosen gehts darum nie! Werden die als Menschen wahrgenommen? Als Persönlichkeit? Oder die Asylbewerber in den Flüchtlingslagern, wo unglaubliche Bedingungen herrschen und die enorm unter Druck gesetzt werden - wie auch viele Hartz-IV-Empfänger durch Behörden: kennen wir zB die Selbstmordstatistik?): ich hätte dem Beamten sein Bußgeld gerne aus meiner Tasche bezahlt, wenn ichs übrig gehabt hätte. Der hatte ihm ja nur gedroht, dem potentiellen Mörder eines kleinen Jungen - um dessen junges Leben zu retten...!

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  3. Aber es läßt sich nicht eine Ungerechtigkeit durch eine andere aufheben, oder? Weil die nicht, der auch nicht? Ich bin doch auch nicht froh damit, aber ich muss einen Gedanken bis zu Ende denken, auch wenn mir das Ergebnis nicht passt.

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  4. Gerechtigkeit gibt es nicht, denke ich, weil sie ein subjektives Abstraktum ist.

    Aber ich bin dankbar, in einem Land zu leben, in dem Folter und deren Androhung (was bereits psychische Folter ist) nicht staatlich sanktioniert sind, nicht zum Verhörprotokoll gehören.
    Dafür muss ich hinnehmen, dass Gesetze schamlos ausgenutzt werden können.

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  5. Alexander Höchst5. August 2011 um 22:52

    Ich glaube, dass die Praxis von exekutiver Gewalt, Auswirkungen auf die Betroffenen von Gesetzen wie Harz IV, die Behandlung von Obdachlosen die eine Seite ist und die Gerichte, die aufgrund unserer Gesetze urteilen eine andere. Die Praxis hält sich nicht zu einhundert Prozent an die Gesetze. Wo kein Richter, da kein Urteil. Kommt ein Fall aber vor Gericht, versuchen die Gerichte die Grundrechte umzusetzen. Darüber bin ich sehr froh. Wenigstens darauf kann man sich verlassen. Der Polizist, der dem schweigenden Kindermörder gedroht hat, hat meiner Meinung nach richtig gehandelt. Ich glaube, er hat in diesem Moment nur an das zu rettende Kind gedacht. Ich finde aber auch die Entscheidung des Gerichtes richtig. Der Verbrecher hat sein Urteil für den Mord bekommen und hat eben auch Anspruch auf das Recht. Moralisch finde ich das dreiste, das Opfer verhöhnende Handeln von Gäfgen unerträglich.

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  6. Ich muss Ötti in diesem Punkt zustimmen. Auch wenn es gegen das eigene moralische Empfinden geht - Grauzonen dürfen nicht eröffnet, staatlich nicht toleriert werden. Auch um den Preis, dass gewissenlose Mörder davon partizipieren.
    Demokratie ist Segen und Verpflichtung... man muss sich fragen, ob unser Rechtsstaat in der Mehrheit Recht ist, Sinn macht. Ja, das tut er. Er kann es aber nur, wenn er absolut unantastbar ist, unaufweichbar... in jedem denkbaren Fall. Das Große betrachtend muss man im Einzelfall hinnehmen, dass er sich absurd verkehrt.
    Das ist notwendig, damit er sich nicht im Großen ad absurdum führt.
    Der Patriot Act ist ein undemokratisches Multitool, weil eine Nation etwas anderes höher gestellt hat, als die Demokratie und den Rechtsstaat. Das darf in Deutschland niemals (wieder?) geschehen, nicht mal im kleinen, nicht mal, wenn es uns sinnvoll erscheint.
    Ausnahmen ebnen einen Weg, der, meiner Meinung nach, zu keinem guten Ort führt.
    Der Preis ist hoch, für die Hinterbliebenden muss er unvorstellbar, unerträglich hoch sein. Und unser Rechtsstaat ist nicht perfekt, ganz sicher. Aber er seine Sicherung, seine Lückenlosigkeit ist ein hohes Gut, das ich persönlich universell gewahrt sehen will.

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  7. Im Rechtstaat gelten Regeln - wer sie nicht einhält wird bestraft. Das gilt auch für die Vertreter des Rechtsstaates. Das Letzteres tatsächlich so ist, muss als hohes Zivilisationsgut erachtet werden. Bei genauerem Nachdenken bleibt dem Gericht - so ekelhaft Gäfgens Auftreten auch ist - keine andere Wahl, als das Verhalten der Beamten zu bestrafen, weil es im anderen Falle nur noch eine Frage des Ermessens der potentiellen Täter wäre, wann tatsächlich gefoltert wird. Die Argumentation "im Notfall foltern wir" heisst im Klartext "wir foltern" - die erste Hälfte des Satzes ist unerheblich weil das Argument im Kern besagt dass Folter stattfinden darf. Es ist der wichtigste Schritt einer Argumentationskette die einen Rechtstaat auf dem Weg eine Willkürherrschaft zu transformieren (bzw. auf einer anderen Ebene eine Demokratie in eine Diktatur. "Im Notfall gibt es einen alleinigen, uneingeschränkten Entscheider" bedeutet auch hier "es gibt einen alleinigen uneingeschränkten Entscheider". Im wesentlichen war das der Argumentstionsweg des Kronjuristen der Nazis, Carl Schmitt ). Es müssten dann nur noch diejenigen, die an transparenten, rechtstaatlichen oder demokratischen Vorgehensweisen keinen Bedarf haben, in die Position kommen, den Notfall als gegeben zu erklären und durchsetzen zu können. Den letzteren Weg sind die USA in Folge des 11. September gegangen, und haben mit "Rechtsgutachten" des Verteidigungsministeriums jegliche Hoffnung auf Bestrafung staatlich organisierter Folter genommen. "My lawyer told me it was legal" nimmt in der juristischen Realität der USA im Jahre 2011 den Wind aus den Segeln aller Klagen.

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  8. Lieber ein unvollkommer Rechtsstaat, als vollkommene Willkür.

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  9. Martin Baucks
    Alles in allem ist dies doch ein recht "gelungener" demokratischer Akt, ähnlich wie ihn Müller im "Horatier" beschreibt. Zwei verschiedene Taten, zwei verschiedene Urteile. Die Dinge sind unterschieden und nicht moralisch miteinander vermengt worden. Die Androhung von Folter empfinde ich in der Lage absolut nachvollziehbar, aber ebenso fragwürdig. Sie als Möglichkeit eines Rechtes in ein Gesetz zu gießen widerspricht meinem Menschenbild. Die Demokratie hat all ihre Möglichkeiten ausgeschöpft, eingeschlossen einer "kleinen" Grenzüberschreitung der Ordnungshüter, die ebn auch ein Mittel ist. Für mich zeigen solche Beispiele eher wie "gut" diese Gesellschaft doch hin und wieder funktioniert, denn im Gesamtbild bleibt der Täter ein Mörder und wird durch dieses Urteil in keiner Weise rehabilitiert. Und dieses Kind bleibt sein Opfer und hier liegt die eigentliche Tragik, die auch als solche wahrgenommen wird.

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  10. Katharina Palm Ich denke, dass das Urteil richtig war. Demokratie ist nicht immer moralisch fair, wie in diesem Fall. Ich mag zum Beispiel auch nicht, dass Nazis von Polizei bewacht demonstrieren dürfen. MIch beruhigt aber, der Gedanken, dass Kindermörder in der Hierarchieordnung der Gefängnisse ganz, ganz unten stehen und seine Mitgefangenen ihn das spüren lassen werden.

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  11. In der DDR war man gegen Polizeiwillkür machtlos. Jeder Polizist konnte Dich schikanieren, und jede Beschwerde dagegen war sinnlos bzw. hat Dir geschadet. Jetzt schützt mich das Gesetz bzw. hilft mir. Das ist in Ordnung. Es schützt jeden. Andererseits, daß Beamte Gesetzesverstoß und zu erwartende Konsequenzen in Kauf genommen haben, um das Leben dieses Kindes zu retten, hat meinen Respekt.

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  12. Der Polizist hat richtig gehandelt! Hätte er das Schwein erst zum Kaffee einladen sollen und fragen bitte bitte lieber Entführer sag mir jetzt mal wo du das Kind hingebracht hast? Das ist eine Frechheit das Gäfkin jetzt noch dafür belohnt wird:(

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  13. Herr oder Frau Anonym, nehmen Sie die Fakten zur Kenntnis: Der Mördermensch wurde für den Kindesmord nicht belohnt sondern verurteilt.

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  14. Lieber ötti aber 3000€ sind für mich eine belohnung

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