Dienstag, 12. Juli 2011

Theater hat auch Schweiß


Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen. 1. Mos. 3, 19 

Wenn ich spiele, schwitze ich. Immer. Selbst bei Lesungen.
Es will mir nicht gelingen mit luftiger Frisur über den Abend zu kommen, bzw., wenn es denn eine Perücke ist, sammelt sich literweise Schweiß darunter, löst den Kleber oder schießt als Sturzbach hervor, wenn die "Mütze" abgenommen wird. Maskenbildnerinnen verzweifeln bei dem Versuch, künstliche Schönheit oder andere artifizielle Effekte dauerhaft auf mein Gesicht zu spachteln. Pant rhei - Alles fließt, im direktesten Sinne des Wortes.
Manchmal, da man die praktisch-gräßlichen Joggerstirnbänder beim Spielen nur selten tragen kann, läuft das salzige Zeug in die Augen und ich kann nur sagen - halbblind geht auch. Ein Kollege transpirierte sogar derart, dass eine Zuschauerin, die zum wiederholten Mal in einer Vorstellung saß, sich mit einer altmodischen Regenpellerine gewappnet hatte, um den regengussartigen Angriffen seiner Intensität, nicht schutzlos ausgeliefert zu sein.

Und tief innen, da wo der gesunde Menschenverstand schweigt, mißtraue ich den Nichtschwitzern, denen, die mit kühler Stirn und trockenem Kostüm die andere Seite des Theaterabends erreichen. Vielleicht ist es nur Neid?
Aber es heißt doch Lampenfieber! Ohne es, ohne das Flackern im Bauch, die Lust an der Panik, die Imagination der Niederlage, mag ich nicht auftreten. Und Fieber läßt schwitzen, Fieber muß rausgeschwitzt werden. Das schließt einen kühlen Kopf nicht aus. Ein heißes Herz und ein kühler Kopf, vielleicht ist es das.
Ich liebe die erschöpft-glücklichen Gesichter von Spielern am Ende eines gelungenen Abends, ganz offen, verletzlich und frei. Ein kurzer Moment nur, aber kostbar.
Nebenbei: im Stück gestorben, tot auf der Bühne liegend, beginnt ein einzelner Schweißtropfen seinen Schlängelweg über Stirn, Nase, Oberlippe bis zum Kinn und man darf sich, natürlich nicht bewegen, man ist ja tot. Oh, selige Folter.

Michael Stipe, Los Angeles, 1994 © Michael Tighe

3 Kommentare:

  1. Alexander Höchst13. Juli 2011 um 00:33

    Warum tue ich mir das an?
    Ich muss gar nichts. Ich kann doch gehen. Ich kann nicht gehen; das geht nicht. Ich habe probiert, gearbeitet, geschwitzt und wollte auf den Punkt kommen, den ich den Leuten zeigen muss. Und doch, warum tue ich mir das an? Weil ich es will. Weil ich es brauche. Weil ich schwitzen muss. Es befreit mich den Moment und länger. Es hält nIcht an. Es ist ein Abenteuer, dessen Ausgang nicht sicher sein kann. Es ist Leben, unmittelbar und künstlich aber es ist.

    AntwortenLöschen
  2. Das ist großartig, hm? Wenn so ein Salztropfen, Makeup vor sich herspülend, den Weg bis ins Auge gefunden hat, sich salzig brennend rund um die Kontaktlinse und dahinter ablagert und dort das unwiderstehliche Gefühl einer Pfefferspray-Attacke hinterläßt... gaaaanz großartig!
    Je nach Rinnsalverlauf sammelt sich auf diese Weise zusätzlich ein beachtlicher Schmierfilm auf den Linsen. Der darin enthaltene Fettanteil kann die Bretterwelt zusätzlich in einen David Hamilton Film verwandeln... oder den ohnehin schon durch körpereigene Drogen durchfluteten Bühnenkörper um einen weiteren bekifften Sinneseindruck bereichern.

    AntwortenLöschen
  3. So ein schöner Text! Theaterliebe, ganz und gar.
    Uneitel und leidenscvhaftlich und stolz.
    ( Nur, der letzte Satz, nein.)

    AntwortenLöschen