Freitag, 15. April 2011

April - Hilde Domin

April
Die Welt riecht süß
nach Gestern.
Düfte sind dauerhaft.

Du öffnest das Fenster.
Alle Frühlinge
kommen herein mit diesem.

Frühling der mehr ist
als grüne Blätter.
Ein Kuß birgt alle Küsse.

Immer dieser glänzend glatte
Himmel über der Stadt,
in den die Straßen fließen.

Du weißt, der Winter
und der Schmerz
sind nichts, was umbringt.

Die Luft riecht heute süß
nach Gestern –
das süß nach Heute roch.




Ich will dich
 
Freiheit
ich will dich
aufrauhen mit Schmirgelpapier
du geleckte

(die ich meine
meine
unsere
Freiheit von und zu)
Modefratz

Du wirst geleckt
mit Zungenspitzen
bis du ganz rund bist
Kugel
auf allen Tüchern

Freiheit Wort
das ich aufrauhen will
ich will dich mit Glassplittern spicken
daß man dich schwer auf die Zunge nimmt
und du niemandes Ball bist

Dich
und andere
Worte möchte ich mit Glassplittern spicken
wie Konfuzius befiehlt
der alte Chinese

Die Eckenschale sagt er
muß
Ecken haben
sagt er
Oder der Staat geht zugrunde

Nichts weiter sagt er
ist vonnöten
Nennt
das Runde rund
und das Eckige eckig


3 Kommentare:

  1. Beide Bilder in blau sind von Picasso. Man, ich muss mir endlich merken, sowas gleich dazu zu schreiben.

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  2. Ötti schrieb:
    Die Bilder:
    Die jungen Picasso-Frauen.
    Tief melancholisch, fast aus der Welt, die mit den verschränkten Armen. Hilflos verzweifelt die andere. Es ist so gemein, dass der Scheißkerl Picasso seine Frauen derart unglücklich machte, damit er so wunderbare Bilder aus ihren Seelen herausmalen konnte.
    Das Fotoporträt der alten Dommin.
    Heiter. Warmherzig. Klug. Da guckt Leben in Leid und Glück aus einem offenen, gelösten Antlitz zu mir. Gespeicherte Liebesfähigkeit.
    Ich korrigiere: Die Junge Frau ist noch nicht verzweifelt. Ich denke, eher erschrocken und verstört. Die Verzweiflung ist dem Gesicht aber schon insgeheim eingeschrieben.

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  3. Und Ötti fügte hinzu:
    Die Gedichte.
    Auch das scheint mir ein Kriterium guter Lyrik: die sinnliche und musikalische Verbindung von Obendrauf und Innendrin und Darüberhinaus.

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