Sonntag, 13. März 2011

Die Sonntagmorgen-Matinee

Nahezu jedes mir bekannte Theater veranstaltet morgendliche Sonntagstreffen mit interessiertem Publikum, um die nächsten Premieren dramaturgisch und unterhaltend vorzustellen und ich kann mich nicht entscheiden, ob ich mich zu diesen Anlässen in Abscheu zusammenknäueln oder sympathisierend dauernicken möchte.
Gegen 10.30 bewegen sie sich in kleinen Grüppchen und verwitwet einzeln gen Theater, die Interessierten. Sie sind alt. Das ist keine Disqualifizierung, ich bin auch nicht jung, aber sie sind alle alt, sehr sehralt, nur hin und wieder verirrt sich ein stützender besorgter Enkel dazwischen. Sie kommen schon immer, die Neuberin hat damals noch selbst die Veranstaltungen geleitet und ihnen höchstpersönlich die Entlassung des Hanswurst verkündet. 
Letztlich in Baden-Baden, dem geriatrischen Disneyland, untermauerten zwei Damen mit Rollatoren ihre zarte und melancholische Kritik an meiner dort zur Premiere gekommenen Inszenierung eines Goldonistücks, mit dem bedauernden Satz: "Wir haben doch nach dem Krieg so schönes Theater gesehen." (Nach welchem?)
Der Ablauf: Ein Dramaturg führt, je nach Fähigkeit, in literaturhistorische und biographische Details des jeweiligen Tschechow/Goethe/Shakespeare/Müller/Pollesch Materials ein. Ein paar Literaturbeispiele, obskure Gedichte, Biographieauszüge, lustige Anekdoten werden dazwischengemischt und von Darstellern (herrliches Wort!) vorgetragen. Die Interessierten hören zu, sie haben sich fein gemacht, sie sind ruhig, sie kichern gern, danach gehen sie zum Mittag. Sicher sind sie alle ganz verschieden, haben faszinierende, tragische, überraschende Biographien, aber an diesen Sonntagmorgen verschmelzen sie zur braven Gruppe "der Interessierten". Und das ist alles gut und richtig so, aber auch schrecklich traurig. Als wir in Rostock diese Matineen in Freitag-Nacht Soireen verwandelt haben, kamen viele, aber da eben nur junge. Auch keine Lösung. Entweder laut und deutlich sprechen für das Blumenkohlfeld oder Nuscheln im verzweifelten Umwerben der Twitter Generation. Und einen Jahrmarkt haben wir nicht, nur Foyers. Insbesondere die flugzeughallenartigen Eingangsräume in den Gussbetontheaterbauten des westlichen Deutschlands tun das ihrige, um die Wirkung der morgendlichen Zelebration ins postindustriell Absurde zu verstärken. 
Ja, ich meckere, gern, ausgiebig. Das ist wohl das Alter!




3 Kommentare:

  1. Ist das nicht ein bißchen hochmütig?

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  2. Nö, finde ich nicht. Es beschreibt ja ein Problem, das wir als Theater haben und geht nicht gegen die Leute, die kommen.

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  3. Hacks hat mal gesagt, das, was der Autor zu sagen hat, hat er in seinem Werk gesagt. Darüber hinaus hat er nichts zu sagen. Das gilt für die Darstellenden Künsten ebenso. Die Publikumsbegegnungen nach oder vor den Vorstellungen, morgens oder abends, gleichwie, riechen nach Friseursalon. Bunte, Gala, Aspekte; von allem etwas, gut durchgeschüttelt.

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