Mittwoch, 23. Februar 2011

Sappho 4

Es gibt da ein sehr schönes Buch: Raoul Schrott Die Erfindung der Poesie. Gedichte aus den ersten viertausend Jahren.  Frankfurt am Main: Eichborn 1998. Schrott hat auf etwa 500 Seiten versucht eine Anthologie der Dichtung der Welt herzustellen, meist abseits der allbekannten Standardlyrikbeispiele.
Wenn er über Poesie theoretisiert, mag ich ihm manchmal nicht folgen, aber wenn er recht rau und direkt Dichter aus dem Sumer des 24. Jahrhundert v. Chr., aus Wales im 14. Jahrhundert, Arabien, Irland und eben auch Sappho überträgt,  dann klingt oft eine Saite der Poesie, die ich bei herkömmlichen "Übersetzungen" alter Texte, selten habe klingen hören.

Ehrlich • ich wollte ich wäre tot
sie hat geweint

als sie mich verließ und zu mir
sagte: wirklich ich wollte ich
wäre tot – wie ungern verlasse
ich dich Sappho!

Und ich sagte zu ihr: sei nicht
traurig du weißt ja wie sehr ich
wie sehr wir dich liebten • traurig
ist nur was man

vergißt und ich weiß ja daß du
alles vergißt was man dir sagt
drum laß dich daran erinnern
wie es war als du

hier bei uns warst: weißt du
noch die kränze aus veilchen rosen
und krokus und jene
aus anis und dill?

Wie wir uns girlanden aus ginster
und gras flochten und sie uns
um den hals legten und wie sie
dich stachen?

Wie viele salben hast du immer
gebraucht – brentho und basileion
für deine haut damit sie glatt würde
wie für einen könig!

Was warst du doch für ein kindskopf
schliefst lang in den tag hinein und
träumtest von wasweißichwas -
wußte ich wem?

Bei keinem einzigen tanz aber hast
du gefehlt keinem einzigen opfer
keinem einzigen trank und es gab
keinen hain

wo wir uns nicht den frühling holten
und ihn mit unseren liedern wieder
vertrieben – du hast ja auch damals 
meist falsch gesungen!

Wirklich ich wollte ich wäre tot ich
habe dich weinen gesehen als du fort
von uns gingst und ich nichts richtig
zu sagen vermochte

Übertragung: Raoul Schrott

Und Eros verdreht mir den kopf
wie der wind wenn er vom berg
herab in die eichen fällt 

Übertragung: Raoul Schrott

Und untergegangen ist der mond mit den pleiaden – versunken mitten im dunkeln – aus der schale der nacht rinnt die zeit und nur ich – ich schlafe allein 

Übertragung: Raoul Schrott 


 Sappho Portrait von einer griechischen Vase aus dem 5. Jahrhundert v.Chr.

Für die Englischsprecher unter euch: Anne Carson If not, Winter. Fragments of Sappho, besser geht es nicht!!!!!
Deathless Aphrodite of the spangled mind,
child of Zeus, who twists lures, I beg you
do not break with hard pains,
O lady, my heart
but come here if ever before
you caught my voice far off
and listening left your father’s
golden house and came,
yoking your car. And find birds brought you,
quick sparrows over the black earth
whipping their wings down the sky
through midair–
they arrived. But you, O blessed one,
smiled in your deathless face
and asked what (now again) I have suffered and why
(now again) I am calling out
and what I want to happen most of all
in my crazy heart. Whom should I persuade (now again)
to lead you back into her love? Who, O
Sappho, is wronging you?
For if she flees, soon she will pursue.
If she refuses gifts, rather will she give them.
If she does not love, soon she will love
even unwilling.
Come to me now: loose me from hard
care and all my heart longs
to accomplish, accomplish. You
be my ally.

1 Kommentar:

  1. Ötti schrieb: Die Bilder von Mengin und Gleyre sind hübsch, aber doch sehr mit Zeitgeschmack des Akademismus verbunden. Gleyres Bild mit dem koketten Hohlkreuz scheint nur das erotische Etikett Sappho für einen lieblichen Akt zu benutzen. Mengin verführt zuerst durch Melancholie, aber ist eher süß. Beides sind natürlich ganz legitime Sichten von Malern, wirken auf mich aber neben den Gedichten in Deinem Blog wie ironische Kommentare.

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