Sonntag, 27. Februar 2011

Mein Computer und mein Gehirn

Was für ein erstaunliches Ding, so ein Computer. Ich sitze in Ingolstadt, da die Schauspieler unglaublich viele Vorstellungen spielen, habe ich nur gelegentlich Probe (Irrsinn!) und dieses mattsilberne Ding ermöglicht mir den Kontakt zur Welt außerhalb der bayrischen Provinz.
ABER, wenn er launisch ist, ärgerlich, eingeschnappt, was weiß ich, dann ist die Welt und die Hälfte meines Hirns, das auf meiner Festplatte lagert, einfach WEG! Lobotomie durch Entdigitalisierung. Es folgt Panik, vorsichtiges Herumexperimentieren mit Tasten und mehr Tasten, einmal musste ich 5 Tasten gleichzeitig drücken, und mein heftiges Verkrampfen ist nur ein weiterer Beweis dafür, dass ich nie hätte Pianist werden können, und dann will das Ding doch nicht, oder wenn es will, begreife ich nicht, warum diesesmal und vorher nicht. Das Ganze funktioniert also genau wie mein biologisches Gehirn, sprunghaft, überraschend, gelegentlich beängstigend und nur scheinbar unter meiner Kontrolle. Jede Dummheit, die ich begehe, jeder Schwachsinn, den ich von mir gebe (und ich bin wirklich froh, dass Proben nicht mitgeschnitten werden, was rede ich nicht manchmal, um eine wirre Idee irgendwie nachvollziehbar zu machen!), aber auch die raren Geistesblitze, Querverbindungen kommt aus dem gleichen Gehirn mit der gleichen Zahl Neuronen, aber wo es da klickt, blitzt, Stromverbindungen koppeln oder reissen? Schon allein, was ich erinnere und was nicht, entzieht sich meiner Kontrolle. Dieser Blog ist sprechender Beweis. Was schießt mir wann durch den Kopf, warum lagern in den sogenannten Windungen unzählige Gedichte, irrelevante Details über entscheidende historische Ereignisse, deren Hauptzusammenhänge ich nur mit Mühe oder gar nicht rekonstruieren kann (oder mit Google) und bitte fragt niemals nach Jahreszahlen? Warum weiss ich was ein Haiku ist, kann mir aber ums Verrecken nicht merken, wann Shakespeare geboren wurde. Und sagt nicht, das liegt an der linken, rechten oder sonst einer Gehirnhälfte, denn auch in den diesen zugeordneten Aufgaben, kann ich bei meinen Denk-und Erinnerungvorgängen nur wenig Ordnung, Regel oder Zuverlässigkeit finden.
Allerdings ist man an das eigene verwirrte Denken gewohnt und solange nicht (Gott oder wer immer schütze uns!) Kalk, Schlaganfall oder andere Katastrophen die Festplatte löschen, lebt man meist ganz gut mit dem eigenen Chaos im Kopf. Nur anzunehmen, dass jemand anderes wirklich nachvollziehen kann, wie und warum ich zu bestimmten Entscheidungen und Einfällen gekommen bin, das fällt mir schwer. Und so leben wir in unseren individuellen Universen inclusive Schwarzer Löcher, Zeitkrümmung und Evolution und behaupten die Möglichkeit der Kommunikation.



Raoul Schrott / Arthur Jacobs: Gehirn und Gedicht - Wie wir unsere Wirklichkeiten konstruieren Hanser 2011

Warum können wir uns beim Lesen so in ein Buch vertiefen, dass wir die Welt um uns vergessen? Warum gehen uns Reime ein Leben lang durch den Kopf, und warum schlagen Metaphern manchmal ein wie der Blitz? Raoul Schrott hat auf der Suche nach dem Geheimnis des Gedichts die neuesten Spuren der Biologie und Wissenschaft aufgenommen. Zusammen mit Arthur Jacobs zeigt er, wie sich in elementaren literarischen Stilmitteln neuronale Prozesse erkennen lassen. Anhand vieler Beispiele aus unterschiedlichsten Epochen führt er uns vor, wie wir denken, warum wir es so tun, wie wir es tun, und wie daraus Dichtung entsteht.

3 Kommentare:

  1. Burkhard Ritter schrieb:
    Heißt es nicht oft der Computer ist nur so intelligent wie sein Benutzer, der ihn bedient.
    Wenn es nach Science-Fiction Autor William Gibsons geht, wird daran gearbeitet über sogenanntes Brain Interface – man "steckt ein", um direkt per Hir...n mit dem Rechner und dem darin abgebildeten Netz verbunden zu werden.
    Einiges gibt es sogar heute schon um Prothesen nach Amputationen oder Lähmungen zu steuern indem man Elektroden ins Gehirn eingesetzt, weil auch festgestellt wurde, das sich das Gehirn erstaunlich gut an solche Systeme anpasst.

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  2. Rahel Ohm schreibt:
    liebe johanna, hab deinen computertext gelesen und mußte an kontrolle denken. gott sei dank gibt es sie nicht, wie könntest du dich und dein team überraschen? wie soll man theater machen ohne fühlen, wie soll man da leben? das fühlen ist das was uns bestimmt, und die möglichkeit darüber zu kommunizieren, und da sind wir wieder beim theater. diesen luxus des reflektierten fühlens, kannste überall haben. wenn man sich auf die seite des nicht fühlen wollen schmeißt landet man unteranderem in der ratio, was auch sein soll, aber auf dauer nicht gesund sein kann, weil wir eben keine pc`s sind. erst wenn mein lappentopf mir zu verstehn gibt, ich bin traurig, weil ich ihn angebrüllt habe, da ich irgendwas nicht importieren konnte oder so, wird mein weltbild ins schwanken kommen. bis dato ist mir das erforschen der gefühlswelt an lebenden objekten inclusive mir, wertvoller. übrigens sheakespeare lebte, im 16. jahrhundert, reicht das nicht? grüße nach ingolstadt. rahel
    Rahel Ohm
    liebe johanna, hab deinen computertext gelesen und mußte an kontrolle denken. gott sei dank gibt es sie nicht, wie könntest du dich und dein team überraschen? wie soll man theater machen ohne fühlen, wie soll man da leben? das fühlen ist das was uns bestimmt, und die möglichkeit darüber zu kommunizieren, und da sind wir wieder beim theater. diesen luxus des reflektierten fühlens, kannste überall haben. wenn man sich auf die seite des nicht fühlen wollen schmeißt landet man unteranderem in der ratio, was auch sein soll, aber auf dauer nicht gesund sein kann, weil wir eben keine pc`s sind. erst wenn mein lappentopf mir zu verstehn gibt, ich bin traurig, weil ich ihn angebrüllt habe, da ich irgendwas nicht importieren konnte oder so, wird mein weltbild ins schwanken kommen. bis dato ist mir das erforschen der gefühlswelt an lebenden objekten inclusive mir, wertvoller. übrigens sheakespeare lebte, im 16. jahrhundert, reicht das nicht? grüße nach ingolstadt. rahel

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  3. Ötti schrieb: Na endlich ! Jetzt verstehe das eine durch das andere besser und kann mit beidem nachsichtiger sein.
    Öttigruß

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