Donnerstag, 27. Januar 2011

Theater ist abergläubig

Immer wieder erschrecke ich junge Schauspieler, indem ich sie unerwarteterweise anranze, wenn sie ihre Stullen, Karotten oder Schokoriegel mal eben so schnell auf der Bühne verspeisen wollen. Sie dürfen nicht pfeifen (außer in 'ner Szene) und Gott verhüte, sie setzen ihren privaten Hut nicht ab, bevor sie die Bretter betreten, ich erweitere das einfach auch auf Mützen. Dass die historischen Gründe für diese Regeln, wie Gaslampen, Theaterratten, etc. schon längst nicht mehr existieren, ist mir egal (Obwohl: Theaterratten? Naja, ein paar habe ich doch getroffen.).
Ich liebe Aberglauben im Theater, all die eigenartigen Rituale, die den eigentlichen Bühnnvorgang umgeben. Um Gottes Willen nicht für ein toi toi toi bedanken, bei dem man natürlich unbedingt über die linke Schulter spucken muss. (Vor meiner ersten kanadische Premiere führte mein inniges Spucken über jugendliche kanadische Schultern zu einiger Verwirrung und dann dazu, dass mir zwei eifrige Schauspielstudenten mitten auf die Brille spuckten.) Generalproben müssen möglichst wackelig ablaufen, sonst wird die Premiere eh nix. Und applaudiert darf zur GP auch nicht werden. Ach ja: wehe mir wünscht jemand viel Glück vor der Vorstellung.
Dazu kommen noch die unzähligen, unerklärbaren Idiosynkrasien (Ein schönes Wort, nicht?), die ein Spieler mehr oder weniger heimlich mit sich herumschleppt. Ich zum Beispiel MUSS vor dem Auftritt circa 5 Kilometer hin- und herlaufen. (Im Garderobengang im Parterre des Deutschen Theaters gibt es so etwas wie eine kleine Laufrinne, die ich persönlich in 15 Jahren Vorauftrittsmärschen dort eingewandert habe.) Bestimmte Vorstellungen brauchen einfach bestimmte Unterwäsche oder den immer gleichen nicht sehr guten Witz des Spielpartners vor dem Auftritt.
Warum das alles? Warum belaste ich die Hirne und das Gewissen unschuldiger junger Spieler mit all diesem Nonsens? Weil es Spass macht! Weil Rituale strukturieren. Weil Zaubertricks, Magie und Unalltäglichkeit einen Raum erschaffen, der besonders ist. Ja, man könnte sagen, ich glaube, all dieses wirre Zeug hilft der Konzentration auf das Eigentliche, das Spiel.
Natürlich sind nicht alle meiner Meinung, siehe folgendes Link.
http://www.flohimohr.de/aberglaube-im-theater/
Ich halte dagegen mit Paulus, dem alten Mistkerl, 1. Korintherbrief 4/10:
"Wir sind alle Narren um Christi willen."
Man muss nur Christ mit Theater auswechseln.
Wir sind Narren um Christi willen (1. Korintherbrief 4, 10)
Das Pauluswort Wir sind Narren um Christi willen (1. Korintherbrief 4, 10)
Das Pauluswort Wir sind Narren um Christi willen (1. Korintherbrief 4, 10)

5 Kommentare:

  1. Alexander Höchst27. Januar 2011 um 09:31

    Ja, das macht Spaß... Was auch ein sehr schöner Moment, neben dem Spielen natürlich, auf der Bühne ist, die Zeit zwischen zwei Auftritten, die ich in irgenteinem Winkel, Ecke, Loch auf der Bühne verbringen muss, da ich nicht von der Bühne komme. Das sind wunderschöne einsame Unorte, die niemand erreicht, still, nur das Geschehen auf der Szene ist zu hören... Das sind Orte ohne Zeit und Raum und unantasbar...

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  2. Winnie Böwe schrieb auf facebook: Meine polnische Dozentin Grazyna hat das Aberglauben-Repertoire noch erweitert: Man darf am Tag der Premiere nicht den Text des Partners sprechen (passiert mir dauernd, weil ich so gern imitiere) und das Textbuch darf nicht auf dem Boden liegen, wen es runterfällt, muß man (notfalls auf jede Seite) drei mal treten!! Da hat man zu tun... Ich bin dem Aberglauben schrecklich verfallen und alle lachen mich aus und fressen Ihre Bananen.

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  3. Natürlich sind wir Alle heute (oder wollen es sein ) „moderne“ und „coole“ Menschen, wir zeigen kaum noch Gefühle – Doch am Theater…! Hier darf man das, nein, hier muss man das !
    Auch ich, der ich fast 30 Jahre am Deutschen Theater bin, nehme den Hut vom Kopf, wenn ich über die Bühne gehe – selbst, wenn ich alleine bin. Das tue ich nicht, weil ich Angst habe oder abergläubisch bin – ich tue es aus Ehrerbietung ( um das Wort Ehrfurcht nicht zu benutzen, weil Furcht darin vorkommt und die habe ich nicht) – nein ich Ehre damit Alle diejenigen, die auf diesen Brettern Menschen berühren oder berührt haben.
    Es ärgert mich, wenn junge Menschen im Zuschauerraum essen und mit ihren „Coffee-to-go“ wichtig herum stehen oder in den Reihen unter den Sitzen die Colaflaschen stehen lassen – und meistens die Leute, die gar nicht auf der Bühne stehen; aber wenn sie es nicht selber merken …. ich möchte nicht den Zeigefinger erheben …. wer bin ich denn – es macht mich nur traurig, denn ihnen ist etwas nicht gegeben – Die Ehrfurcht vor dem „Geist“ des Theaters, der Fantasie, die Gänsehaut die man bekommen kann, wenn ein „abergläubischer“ Schauspieler spricht.
    Schauspieler! Was für ein toller Beruf. Ach, wenn ich mir doch auch solche ellenlangen Texte merken könnte und mich mit Ehrfurcht vor der Rolle und der Person, die man dann spielt, in die Welt eines Dichters begeben könnte – doch auch als Tonmeister kann man sich mit in dieses Wunderland begeben, dazu gehören und mit jeder neuen Inszenierung eintauchen.
    Nichts war schöner für mich, als nach der Vorstellung, wenn man schon fast der Letzte im Haus ist und nachdem man alle seine Mikrofone und Lautsprecher wieder geordnet hat, über die Bühne zu gehen – im Bühnenbild zu stehen – in den Zuschauerraum zu schauen (man hört fast das Pfeifen der alten Gasleuchten), dann am Bühnenpförtner das Haus zu verlassen und auf dem Weg nach Hause das Publikum über die gerade gesehene Inszenierung sprechen zu hören.
    Dabei nehme ich gerne in Kauf, über Johannas Laufrinne zu stolpern und nicht der Einzige „abergläubische“ zu sein. Leider sprechen in letzter Zeit immer weniger Leute über das gerade gesehene … wir sind ja jetzt cool … oder woran liegt das?

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  4. Jaja, und nie vor der Vorstellung den Titel jenes Shakespeare-Stückes erwähnen, nicht wahr?
    Ich mag all diese Bräuche auch sehr.

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  5. Ich mache, wie ich gerade erfahren habe, gerade das russische Äquivalent
    zum schottischen Stück. Ob das in Ingolstadt auch gilt? Oje!

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